
Bestimmte Themen wie Familienpolitik oder Kinderbetreuung spielen in der Politik auch deshalb oft eine untergeordnete Rolle, weil sie bei Männern – anders als bei Frauen – häufig keine Priorität haben.
Der größte Handlungsbedarf besteht laut Reimann zunächst auf Bundesebene, da im Bundestag beim Erfolg nur einer Partei in den Wahlkreisen sehr viele Überhang- und Ausgleichsmandaten nötig würden und enorm viele Abgeordnete in das Parlament einziehen müssten. Die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf rund 240 zu reduzieren, wie es Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) vorgeschlagen habe, sei ein sinnvoller Weg. Dies könne dann mit einer Paritäts-Reform verknüpft werden.
Die niedersächsische Sozialministerin hält das auch deshalb für geboten, weil die geringe Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten, gemessen an ihrem Anteil in der Bevölkerung, für Schräglagen ursächlich sei: „Bestimmte Themen wie Familienpolitik, Kinderbetreuung, Lohngerechtigkeit oder Sexualstrafrecht spielen in der Politik auch deshalb oft eine untergeordnete Rolle, weil sie bei Männern – anders als bei Frauen – häufig keine Priorität haben.“ Dass Rechtsexperten meinen, man dürfe nicht in die Freiheit der Kandidatenaufstellung von Parteien eingreifen, sieht Reimann schon. Sie entgegnet aber: „Ich sehe es nicht als Einschränkung für die Parteien, sondern als Erweiterung der Möglichkeiten der Wähler, wenn auch ausreichend weibliche Kandidaten aufgestellt werden müssen.“
So könnte das Kommunalwahlrecht geändert werden
Reimann regt Änderungen auch für das Kommunalwahlrecht an. Gerade in kommunalen Vertretungen sei der Frauenanteil oft erschreckend gering. Bisher hat jeder Wähler in Niedersachsen die Möglichkeit, bei einer Kreistagswahl drei Stimmen zu vergeben – er kann die Liste einer Partei ankreuzen, die Stimmen auf mehrere Kandidaten verteilen oder einem bestimmten Kandidaten mehrere Stimmen geben. Die Ministerin würde diese Möglichkeiten nicht einschränken, sondern noch erweitern. Eine vorsichtige Variante wäre, auf jeden Stimmzettel einen Hinweis zu drucken, aus dem hervorgeht, dass die stärkere Repräsentanz von Frauen erwünscht ist. Daneben könne man auch für Kommunalwahlen quotierte Listen vorschreiben – also solche, auf denen sich Männer und Frauen auf den Plätzen abwechseln müssen. Die Sozialministerin bringt noch das Modell einer „Frauenstimme“ ins Gespräch: Wer diese ankreuzt, bewirkt damit, dass seine drei Stimmen auf alle Frauen der entsprechenden Liste gleichmäßig verteilt werden. „Wir werden in Ruhe prüfen, welche Variante in Betracht kommen kann“, sagt Reimann.Lesen Sie auch: Die Frauen im Landtag wollen mehr Parlamentarierinnen
Als Sozialministerin ist Reimann auch für die Frauenförderung im öffentlichen Dienst zuständig. Die Novelle des „Gleichberechtigungsgesetzes“, das Frauen einen besseren Zugang zu Führungspositionen in der staatlichen Verwaltung bieten soll, steht auch auf ihrem Programm. „Es geht dabei um eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf, um die Förderung von Teilzeitkräften in Führungspositionen und um eine Reform der Beurteilungsmaßstäbe im Dienstrecht“, sagt Reimann. Bisher ist für Beförderungen maßgeblich, welche Leistungen der Bewerber bisher vorzuweisen hat. Dabei spielt das Kriterium, wie gut er für die konkrete gesuchte neue Rolle geeignet wäre, nur eine untergeordnete Rolle. „Wir prüfen, was sich dort verändern lässt“, sagt die Sozialministerin.