7. Mai 2023 · Wirtschaft

Reibungslos? Zuweilen fiel der Start des Deutschland-Tickets doch recht schwer

Lange Schlangen vor den Ticketschaltern, überlastete Server bei der Deutschen Bahn und trotz Kaufs taucht kein Ticket in der App auf: Der Start des 49-Euro-Tickets am 1. Mai war noch etwas holprig. Während zahlreiche Kunden ihrem Ärger in den sozialen Medien Luft machten, weil sie am 1. Mai kein Ticket kaufen konnten, zeigten sich die regionalen Verkehrsbetriebe hingegen zufrieden. „Im Vorfeld war es für alle Beteiligten eine anstrengende Zeit. Aber es ist gelungen, rechtzeitig allen Menschen, die ein Deutschland-Ticket haben wollten, dieses auch auszuhändigen“, sagt Eckhard Spliethoff, Pressesprecher des Verkehrsverbundes Bremen/Niedersachsen (VBN). Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies sprach gar am Dienstag von einem reibungslosen Ablauf an den ersten Tagen. 

Foto: GettyImages/Firn

Bei dieser Formulierung kann sich Stephanie Winkler (Name von der Redaktion geändert) das Schmunzeln nicht verkneifen. Sie ist eine von vielen, bei denen das am Montag dann doch noch nicht so ganz mit dem Deutschlandticket klappen wollte. Dabei hatte alles noch so gut angefangen. Bereits Ende März bekam Winkler als Abonnentin Post von Transdev. In dem Schreiben wurde ihr angeboten, dass sie das bestehende Ticket ihrer Tochter Leonie in ein Deutschland-Ticket umwandeln könne. Leonie ist 12 Jahre alt und pendelt jeden Tag mit der Bahn zur Schule – für rund 52 Euro monatlich, der Busverkehr ist exklusive. Dementsprechend erwartungsvoll hatte Familie Winkler auf den Start des 49-Euro-Tickets geblickt. „Das war dann auch alles total simpel zu ändern“, erinnert sich Winkler, die bei Transdev nur einen QR-Code scannen musste und dann direkt den Vertrag ändern konnte. Kein unübliches Vorgehen. Es sah also zunächst alles so gut aus… 

GVH startet wegen Hackerangriff erst im Juni mit Verkauf

Auch der Verkehrsverbund Region Braunschweig (VRB) informierte seine Abonnenten vor dem Start, dass sie zum Deutschland-Ticket wechseln könnten. Mehr als 21.000 Menschen würden bisher die Karte nutzen, davon rund 7500 Neukunden. Beim Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (VBN) wurden bis zum 30. Mai 35.000 Tickets verkauft. Mittlerweile habe man mit den Abo-Unternehmen im Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen die 50.000-Marke geknackt. Der Großraum-Verkehr-Hannover (GVH) ist indes seit einem Hackerangriff auf die Üstra ausgebremst. Erst am 1. Juni soll eine Bestellung des Deutschland-Tickets im GVH möglich sein. Für Träger einer Ehrenamtskarte heißt es deshalb warten, sie können nicht einfach so ohne Weiteres für die Buchung auf einen anderen Verkehrsverbund ausweichen. Die anderen Kunden können in der Zwischenzeit die Karten beim VBN kaufen. „Wir haben mit mehreren Regionen in Niedersachsen – nicht nur der GVH – eine Vereinbarung abgeschlossen, die vorsieht, dass wir die über die Fahrplaner-App erzielten Einnahmen zum Deutschland-Ticket nach Postleitzahlen aufteilen werden, wenn diese Regionen aktiv den Fahrplaner bewerben“, sagt Spliethoff.



Neben dem VBN weicht ein Teil der GVH-Kunden offensichtlich auch auf den VRB aus. Dort erklärt man sich die zusätzlichen Kunden nicht nur mit dem Hackerangriff, sondern auch mit dem besseren Service. „Wir bieten das Ticket in diesem Jahr auch als Papier-Ticket und im nächsten Jahr als Chipkarte an. Wir haben festgestellt, dass sehr viele Abonnenten das Ticket in Papierform wünschen. Dazu gehören auch viele Menschen aus dem Raum Hannover“, sagt VRB-Pressesprecherin Gisela Noske. Schon jetzt sei der Andrang auf Chipkarten groß, weiß Rainer Levelink, Vorsitzender der Fachvereinigung Omnibus und Touristik im Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN). Ein Viertel bis ein Drittel seiner Fahrgäste würden eine Chipkarte präferieren, viele aus Sorge, dass der Handyakku mal leer sein und man dann nicht das Deutschlandticket vorzeigen könnte. Wegen der hohen Nachfrage seien schon jetzt die Lieferzeiten enorm. Eine weitere Erkenntnis des Busunternehmers Levelink: „Viele kaufen lieber vor Ort ein Ticket als online – insbesondere Menschen mit einem ausländischen Hintergrund.“ 

Kaufbeleg ersetzt Deutschland-Ticket

Zurück zu den Winklers. Ende April kam dann die Bestätigung per Post und die Erinnerung daran, sich in der Fahrplaner-App zu registrieren, über die dann das Ticket aufzurufen ist. Fahrplaner-App laden, registrieren, die E-Mail-Adresse bestätigen und das Deutschland-Ticket laden: Alles war in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung genauestens erklärt. Doch bereits bei Schritt 2, der Registrierung, war für Winkler Schluss. Ihre Mail-Adresse sei nicht vergeben. „Ich habe mich gefragt: Woran liegt das jetzt? Und es mehrmals probiert“, sagt Winkler. Ohne Erfolg. Während andere am Tag der Arbeit das Wetter genossen, einen Ausflug unternahmen oder an einer der zahlreichen Demonstrationen teilnahmen, hing sie am 1. Mai in einer Warteschleife fest. Mindestens fünfmal habe sie es jeweils über eine halbe Stunde lang versucht, schließlich jedoch entnervt aufgegeben, so Winkler. „Ich habe irgendwann die Schnauze voll gehabt. Du musst die ganze Zeit über auf die Fünf drücken, um in der Leitung zu bleiben. Sonst kicken die dich raus. Die Ansage kommt gefühlt alle 15 Sekunden.“ Nach über einer halben Stunde des monotonen Drückens habe sie es auch mal schlichtweg vergessen, sei sofort herausgeflogen und habe alles wieder von vorn beginnen müssen. So musste ihre Tochter Leonie am nächsten Tag ohne Fahrkarte in die Schule fahren. Stattdessen bekam sie den Brief von Transdev mit, in dem der Kauf des 49-Euro-Tickets bestätigt wurde.  

Das Deutschland-Ticket ist je nach Verkehrsbetrieb nicht nur digital in einer App, sondern auch als Papier-Ticket oder Chipkarte erhältlich. | Foto: VRB

Viele Fahrgäste fuhren in den ersten Tagen statt mit einem Deutschland-Ticket mit einem ausgedruckten Kaufbeleg in der Hand oder einer digitalen Bestätigung auf dem Handy durchs Land, immer auf das Entgegenkommen des jeweiligen Schaffners angewiesen. Bei der Deutschen Bahn heißt es, dass man sich „aufgrund des hohen Eingangsvolumens und den damit verbundenen Druck- und Versandprozessen“ dazu entschieden habe, bei der Ticketkontrolle in den ersten Tagen kulant zu sein. „Für Kunden, die bis dahin noch kein Deutschland-Ticket erhalten haben, wird die Bestellbestätigung des Deutschland-Tickets vorübergehend, bis voraussichtlich Mitte Mai 2023, als gültige Fahrkarte anerkannt.“

In der Anfangsphase gilt häufig eine Kulanz-Regelung

Auch andernorts sind die Fahrkontrolleure zur Kulanz angehalten, die Fahrgäste werden um Nachsicht gebeten. „Das unerwartet hohe Aufkommen der schriftlichen Bestellungen hat in Einzelfällen dazu geführt, dass die Tickets nicht rechtzeitig zugestellt wurden. Dafür gab es eine Kulanz-Regelung“, sagt Noske. VBN-Pressesprecher Spliethoff berichtet ebenfalls von Zustellungsproblemen bei Papiertickets in den vergangenen Wochen. Diese Probleme seien kurzfristig behoben worden.

Im Verkehrsverbund Region Braunschweig schlägt man sich hingegen immer noch mit Zustellungsproblemen herum. Zurzeit seien die Mitarbeiter in der Abo-Zentrale mit der Zustellung fehlgeleiteter oder fehlender Tickets beschäftigt, so Noske. Hinzu kommen in einigen Busunternehmen Software-Probleme. So erkannte bei Levelink in Meppen das Prüfgerät anfangs nicht die Tickets. „Das konnte aber unser Software-Dienstleister noch am selben Tag lösen.“ Viele Busunternehmen seien noch unterwegs, die gar nicht die Technik hätten einen Barcode auslesen zu können und sich stattdessen zum Deutschland-Ticket den Lichtbildausweis zeigen ließen.  

„Kopfschmerzen bereiten uns ein bisschen die unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Verkehrsregionen."

Rainer Levelink

Winkler rief indes auch am Dienstag wieder bei Transdev an. Statt ihrer gewohnten Arbeit nachgehen zu können, hing sie den ganzen Morgen über am Telefon – in Absprache mit ihrem Chef. „Auf einmal hörst du dann ein Tuten und eine Stimme geht ran. Ich war ganz aufgeregt“, gibt sie grinsend zu. Doch die Mitarbeiterin konnte auch nach Rücksprache mit einem Kollegen nicht weiterhelfen. Also versuchte es Winkler zu Hause mit einer anderen Mail-Adresse und siehe da: Das Konto zum Deutschland-Ticket war aktiviert. Doch in der Fahrplaner-App auftauchen wollte das Ticket nicht. Entnervt klemmte sich die Mutter erneut hinter den Hörer und hatte Glück. Sie kam nicht nur verhältnismäßig schnell durch, sondern hatte auch eine „sehr Nette“ am Telefon. „Sie hat gesagt, dass ich nicht die einzige bin. Es gibt bei der Fahrplaner-App Probleme mit der IT. Das Ticket leuchtet nicht auf. Sie hoffen, dass es bis Juni klappt.“ Busunternehmer Levelink schätzt, dass es noch eine Zeit lang dauern wird, bis die Umstellung auf das Deutschland-Ticket bei allen Verkehrsbetrieben geglückt ist. „Kopfschmerzen bereiten uns ein bisschen die unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Verkehrsregionen. Das ist irgendwie blöd. Es heißt Deutschland-Ticket, dann sollte das auch überall identisch sein“, sagt Levelink. So sei Konfliktpotential zwischen Fahrgästen und Schaffnern praktisch vorprogrammiert. 

Mittlerweile gab es bei Familie Winkler jedoch ein Happy End. Am Mittwochmorgen rief Tochter Leonie um kurz vor 7 Uhr überglücklich bei ihrer Mutter an. Das Deutschland-Ticket war endlich in der App aufgetaucht. Winkler ist erleichtert: „Ich bin froh, dass es innerhalb von drei Tagen bei uns geklappt hat. Die Leute im Callcenter tun mir auch echt leid, dass sie jedem erklären müssen, warum was nicht klappt.“

Dieser Artikel erschien am 8.5.2023 in Ausgabe #083.
Audrey-Lynn Struck
AutorAudrey-Lynn Struck

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