Ein schonungsloses Urteil fällt der Landesrechnungshof (LRH) zur Digitalisierung der Landesverwaltung: Diese Aufgabe erfordere eigentlich eine „präzise Steuerung“, doch diese sei in der Landesregierung bisher nicht gelungen, heißt es in einem 38 Seiten starken Gutachten, das die Prüfbehörde vorgelegt hat. In dem Papier, das dem Politikjournal Rundblick vorliegt, werden gravierende Mängel aufgelistet.

„Die Steuerungsstruktur in der Landesverwaltung für Aufgaben der IT und der Verwaltungsdigitalisierung ist unsystematisch und zergliedert. Entscheidungen im Landesinteresse werden so verhindert. Das Land muss hieraus Konsequenzen ziehen und radikal umsteuern“, heißt es. Bei dem derzeitigen Rückstand in dieser Aufgabe sei es nicht möglich, EU-Anforderungen zu erfüllen. Speziell greift der LRH das „Online-Zugangsgesetz“ (OZG) des Bundes heraus, das seit 2018 dem Innenministerium (damals geführt von Boris Pistorius, jetzt von Daniela Behrens) zugeordnet sei. Der landesweite Überblick zeige nun, dass von 6913 Einzelleistungen, die eigentlich schon zu Anfang Januar dieses Jahres online den Bürgern zur Erledigung angeboten werden sollten, in Niedersachsen lediglich 333 verfügbar sind – also nur fünf Prozent. Im Bereich der Gesundheitsverwaltung sehe es etwas besser aus, dort seien schon 20 der verlangten 56 behördlichen Einzelleistungen über das Netz möglich.
„Das Land hat die Kommunen, bei denen der Hauptteil der Online-Dienste eingesetzt werden muss, zu spät und nur unzureichend unterstützt“.
Der Rechnungshof fügt in diesem Zusammenhang weitere Kritikpunkte an. „Das Land hat die Kommunen, bei denen der Hauptteil der Online-Dienste eingesetzt werden muss, zu spät und nur unzureichend unterstützt“. Zu lange habe sich Niedersachsen auf Einzelaspekte konzentriert. Das Urteil der Prüfer ist nun besonders drastisch: „Das Scheitern der OZG-Umsetzung in Niedersachsen zeigt exemplarisch die Unzulänglichkeit der bisherigen Verwaltungsdigitalisierung insgesamt – in diesem Fall sogar als Verstoß gegen geltendes Recht.“ Nötig sei nun ein radikaler Systemwechsel. Die bestehende Steuerungsstruktur, die an der Eigenverantwortlichkeit der Ministerien nicht gerüttelt hat und einen CIO (Chief Information Officer) mit lediglich schwachen Kompetenzen vorsieht, könne den Aufgaben nicht mehr gerecht werden.

Die IT-Strategie des Landes bleibe „ungenau und unverbindlich“, in verschiedenen Verwaltungsebenen seien zum Teil veraltete Systeme im Einsatz, die mühsam miteinander verbunden werden müssten – das sei „offensichtlich unwirtschaftlich“. „In dieser heterogenen Systemlandschaft halten und pflegen die Behörden ihre Daten individuell. Das führt zwangsläufig zu Daten-Inkonsistenzen.“ Besonders schwierig werde das bei Cyber-Angriffen und anderen Problemen: „Während der Emotet-Angriffe beschloss der niedersächsische IT-Planungsrat die kurzfristige Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen binnen zwei Tagen. Nach einem Jahr war festzustellen, dass lediglich vier von 44 Stellen diese Maßnahmen realisierten. Damit bestand das inakzeptable Risiko für die IT-Sicherheit im Sicherheitsverbund des gesamten Landesdatennetzes über einen langen Zeitraum.“
Besonders fatal ist nach dem Urteil des LRH auch die bisherige Vorgehensweise der Landesregierung angesichts der Probleme. Viele Ministerien hätten die Steuerungskompetenz für den IT-Einsatz für sich beansprucht, das sei dann aber von der Regierungsspitze nicht zurückgewiesen worden – vielmehr habe man die Befugnisse des CIO (derzeit Horst Baier als Stabstellenleiter im Innenministerium) formal reduziert. Bei der Krisenintervention habe der CIO seit 2019 nur das Recht zur Koordinierung. Der LRH moniert auch Probleme bei den Finanzen. Einerseits seien für viele wichtige Felder kaum Gelder abgeflossen, andererseits hätten sich bei Einzelprogrammen Finanzierungslücken ergeben. „Die gesamten Kosten für IT in Niedersachsen einschließlich der Kosten der Verwaltungsdigitalisierung lassen sich bisher nicht zentral aus dem Haushalt ablesen und sind dem Gesetzgeber nicht in Gänze bekannt.“
„Die gesamten Kosten für IT in Niedersachsen einschließlich der Kosten der Verwaltungsdigitalisierung lassen sich bisher nicht zentral aus dem Haushalt ablesen."
Für die Zukunft gebe es „erhebliche Finanzierungsrisiken". Die in der mittelfristigen Planung vorgesehenen 50 Millionen Euro reichten nicht, da viele Digitalisierungsprogramme noch nicht abgeschlossen seien. „Jedes Ressort verfolgt seine IT-Ziele. Damit werden Synergien nicht möglich.“ Zudem gebe es „überholte Abläufe und Strukturen“ – eine Aufgabenkritik zur Neuordnung der Verwaltungsaufgaben, auch angesichts der bevorstehenden Pensionierungswelle und des Fachkräftemangels, fehle immer noch. Problematisch sei auch der Einsatz von externen Dienstleistern für die Digitalisierung – das betreffe in Niedersachsen rund 162 Vollzeit-Stellen, teilweise ziele das auf 80 Prozent des Bedarfs. Zum anderen würden Beratungsleistungen noch über Dienstleistungsverträge eingekauft, das erhöhe den Steuerungsaufwand zusätzlich.
Ein Übel ist aus Sicht der Prüfer auch „die zersplitterte IT-Landschaft“. IT-Niedersachsen betreue mehr als 30.000 Arbeitsplatzrechner, der IT-Betrieb für die Justiz sei für 18.000 Rechner zuständig, Dataport in der Finanzverwaltung für 11.000 Arbeitsplätze und das „Servicezentrum Landentwicklung und Agrarförderung“ für 2000 Anwender. Der Rechnungshof folgert: „Die Landesregierung verfehlt ihr eigenes Ziel, IT-Niedersachsen zum zentralen Dienstleister auszubauen.“