18. Nov. 2022 · Kultur

Rat von Michael Fürst: Bekämpfung von Antisemitismus gehört in die Staatskanzlei

Diskutieren über den Umgang mit Antisemitismus (von links): Kathrin Wahlmann, Felix Klein, Rebecca Seidler, Michael Fürst und Franz Rainer Enste. | Foto: Wallbaum

Der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden, Michael Fürst, hält die administrative Gewichtung und Ausstattung der Stelle des Antisemitismus-Beauftragten für unzureichend. „Ich finde, diese Position sollte in der Staatskanzlei angesiedelt werden“, sagte Fürst in einer Diskussionsrunde mit den Länder-Beauftragten für jüdisches Leben in Hannover. Zu der Jahrestagung hatten der Bundesbeauftragte Felix Klein und der Landesbeauftragte Franz Rainer Enste nach Hannover eingeladen. Enste versieht sein Amt ehrenamtlich und wird von einer kleinen Geschäftsstelle im Justizministerium unterstützt. In den Bundesländern ist die Arbeit dieser Stellen unterschiedlich organisiert, teilweise werden hauptamtliche Verwaltungsmitarbeiter dafür eingesetzt. Fürst sagte, das Gewicht und die Bedeutung des Amtes seien größer, wenn diese Stellen direkt den jeweiligen Ministerpräsidenten zugeordnet würden. Enste habe seine Sache in Niedersachsen hervorragend gemeistert, er sei in der Politik gut vernetzt – aber die Unterstützung der Landesregierung könne noch besser werden. Die neue Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) sagte in der Veranstaltung, sie setze sehr stark auf Enstes Tätigkeit.

Während ihrer Tagung diskutierten die Beauftragten mit Fürst und seiner Kollegin Rebecca Seidler, die den Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden führt. Beide haben in einigen Fragen unterschiedliche Auffassungen, etwa zum Schutz jüdischer Einrichtungen. Fürst meint, absolute Sicherheit könne es nicht geben, verwirrte Einzeltäter ließen sich nicht durch Stacheldraht abschrecken. Er ging auf das zerstörte Fenster in der hannoverschen Synagoge während des Gottesdienstes zu Jom Kippur Anfang Oktober ein. Damals vermuteten die Teilnehmer einen Anschlag, es sei aber, wie sich inzwischen herausgestellt habe, eine verirrte Taube gewesen. Die Tatsache aber, dass sich sofort die Angst vor einem neuen Anschlag ausgebreitet habe, mache ihn besorgt. Bundespräsident Frank Steinmeier irre, wenn er sage, Antisemitismus habe in Deutschland „keinen Boden“. In Wahrheit sei der Boden sogar sehr fruchtbar und reiche in alle Ebenen der Gesellschaft hinein. Seidler ergänzte, sie höre von jüdischen Schülern, die wegen ihrer Teilnahme an religiösen Feiern gehänselt werden. Oft verzichteten die Familien daraufhin, nicht-jüdische Kinder zu solchen Festen einzuladen, in der Folge würden der Glaube und die religiösen Rituale verschwiegen und drohten zu verkümmern. Ihr sei berichtet worden, dass Sozialarbeiter gegen antisemitische Sprüche in bestimmten Jugendgruppen nicht eingeschritten seien, „da kein Jude und damit kein Betroffener anwesend war“. Das sei ähnlich schlimm wie die Entschuldigung von Kultur-Staatsministerin Claudia Roth dafür, dass sie nicht gegen antisemitische Aktionen bei der Documenta in Kassel eingeschritten sei – und zwar mit der Begründung, das sei ja „nur ein einziger Vorfall“ gewesen. Seidler sagt dazu: „Mich hat diese Haltung entsetzt und wütend gemacht.“

Die nordrhein-westfälische Landesbeauftragte und frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger berichtete, dass jede Eskalation im Nahost-Konflikt sofort zu israelfeindlichen und antisemitischen Aktionen in ihrem Bundesland führe – „dann werden israelische Fahnen verbrannt“. Fürst, Seidler und der bayerische Landesbeauftragte Ludwig Spaenle warben dafür, die Fortbildung für Richter und Lehrer zu verstärken. Diese Berufsgruppen müssten für Gefahren und Erscheinungsformen des Antisemitismus sensibilisiert werden. Fürst bemängelte, dass viele Richter milde Urteile bei antisemitischen Taten verhängen: „Dabei ist es doch so, dass die Täter es ihnen nicht danken und bessere Menschen werden. Die sehen wir wieder vor Gericht.“

Feldjäger-Abzeichen bleibt

In jüdischen Organisationen gibt es durchaus Meinungsverschiedenheiten in bestimmten Fragen. Das wurde jüngst auch deutlich, als der Zentralrat der Juden vom Bundesverteidigungsministerium forderte, den Leitspruch der Feldjäger „suum cuique“ (übersetzt: „Jedem das Seine“) aus deren Wappen zu entfernen. Die Begründung lautete, die Nazis hätten den Spruch zynisch entstellt und am Tor des Lagers Buchenwald befestigt. Fürst und Enste setzten sich dafür ein, am Symbol festzuhalten: Das Motto stamme von Platon und sei 1701 zum Leitmotiv für den preußischen schwarzen Adlerorden gewählt worden, und zwar als Zeichen für die Toleranz der Preußen. Dass die Nazis dieses Symbol später sinnentstellt und -verkehrt hätten, dürfe jetzt nicht zu dessen Verbannung bei den Feldjägern führen. Tatsächlich setzte sich diese Denkrichtung gegen den Zentralrat der Juden und auch gegen das Votum des Bundesbeauftragten Felix Klein durch.

Dieser Artikel erschien am 18.11.2022 in Ausgabe #205.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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