9. Sept. 2020 · Soziales

Lügde: Sonderermittlerin kritisiert Jugendamt Hameln

Die erschreckenden Pannen im Jugendamt des Kreises Hameln-Pyrmont, die einem offenbar pädophilen Pflegevater in Lügde über Jahre ermöglichten, Kinder in seinem Wohnwagen zu beherbergen, sind jetzt schwarz auf weiß niedergeschrieben. Der Bericht der vom Landkreis Hameln-Pyrmont eingeschalteten Sonderermittlerin in diesem Fall ist inzwischen den Mitgliedern des Sozialausschusses im Landtag übermittelt worden. Verfasst hat ihn die frühere Stadträtin Christa Frenzel aus Salzgitter, die sowohl die rechtliche Seite gewürdigt als auch das Verhalten des Jugendamtes kritisch beleuchtet hat. Zwar kommt sie unterm Strich zu dem Ergebnis, dass keine organisatorischen Änderungen in der Kreisverwaltung nötig seien. Die Fehler, die geschehen sind, beruhten auf der Missachtung der Vorgaben. Die Beschreibung der Versäumnisse, Fehler und mangelnden Abstimmungen, die in der Mitte des Berichts ausführlich vorgenommen wird, endet für den Kreis Hameln-Pyrmont allerdings wenig schmeichelhaft. So wird hier dokumentiert, dass die Behörde in Hameln mindestens vier Mal Hinweise auf die zweifelhafte Eignung des Pflegevaters erhalten hat, davon mehrere mit der ausdrücklichen Ergänzung, es könne sich bei ihm um einen Pädophilen handeln. In allen Fällen jedoch ging die Behörde in Hameln dem nicht ausreichend nach, die Hinweise versandeten oder wurden heruntergespielt.
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Der Bericht von Frenzel, der von Ende Juni datiert, ist ausdrücklich nicht zur Kontrolle des Kreises verfasst worden. Vielmehr hat der Landkreis ihn selbst in Auftrag gegeben, um etwaige organisatorische Schwachstellen aufdecken und bereinigen zu können. In dieser Hinsicht allerdings gibt Frenzel eine Entlastung, schwerwiegende Mängel im Behördenaufbau und den vorgesehenen Meldewegen wurden nicht identifiziert. Der Fehler besteht offenbar eher darin, dass die zuständigen Mitarbeiter sich an die eigenen Regeln nicht gehalten haben. Das Jugendamt im Kreis Hameln-Pyrmont mit seinen rund 100 Mitarbeitern habe in dem speziellen Fall eine „unzureichende Aktenführung“ gezeigt. Die Unterlagen seien nicht chronologisch geordnet worden, es hätten Hinweise auf die Unterrichtungen anderer Behörden oder der Betroffenen gefehlt.

Mangelhafte Kommunikation zwischen Jugendämtern

Im Einzelnen werden dann die Versäumnisse aufgeführt. Es geht um ein 2011 geborenes Mädchen einer damals minderjährigen Mutter. 2014 fiel den Behörden auf, dass die Mutter mit dem Kind nicht zur Früherkennungsuntersuchung gegangen war. Später folgten unregelmäßige Besuche im Kindergarten, Hinweise der Großmutter wurden registriert, dass das Kind Sprachprobleme hatte. Die Oma teilte mit, die Mutter sei mit dem Sorgerecht überfordert – auch der Stiefbruder des Mädchens werde nicht ausreichend versorgt. Mit der Mutter, so geht aus den Akten hervor, sei die Zusammenarbeit des Jugendamtes schwierig gewesen. Die Mutter habe dann im Frühjahr 2016 angeboten, das Kind beim späteren Pflegevater V. in Lügde unterzubringen. Später fällt auf, dass V. sich weigert, sein Führungszeugnis abzugeben. Als Schwierigkeit stellt sich schnell heraus, dass für die Kontrollen in Lügde das Jugendamt des Kreises Lippe in NRW zuständig ist, für die in Hameln gemeldete Mutter das Jugendamt des Kreises Hameln-Pyrmont. Die Kommunikation zwischen beiden ist aber offenkundig in diesem Fall mehr als nur mangelhaft gewesen. Viermal werden Hinweise auf Probleme erhoben. Im August 2016 erhebt ein Vater, der das Mädchen bei V. in Lügde gesehen hat, den Verdacht auf die Pädophilie von V. Bei der Polizei in Blomberg (NRW) geht der Hinweis zunächst ein, später dann auch beim Jugendamt Hameln. Dort wird das offenbar nicht weiter verfolgt. Im September 2016 teilt die Kindergarten-Psychologin mit, sie habe bei dem Mädchen ein „ungutes Gefühl“, sie sehe in dem Pflegevater einen Pädophilen. Das Jugendamt entscheidet im Oktober, eine Rückführung des Kindes zur Mutter sei „sehr unwahrscheinlich“, der Familienhilfsdienst solle künftig „auf Anhaltspunkte achten“.

Hinweise wurden per Vermerk abgewiegelt

Im November 2016 teilt ein Mitarbeiter des Jobcenters in Lippe mit, das Mädchen wolle „nicht mehr zu stinkenden Männern“. Das Jugendamt in Lippe stuft das als „nicht relevant“ ein. Später informiert die Dienststelle das Partner-Jugendamt in Hameln, auch dort geht man dem Fall nicht weiter nach. Der vierte Hinweis folgt dann im April 2018, anderthalb Jahre später. Die Familienhilfe stuft V. als „nicht erziehungsfähig“, das Mädchen als „massiv chronisch gefährdet“ ein – doch in den Akten des Jugendamtes Hameln dazu findet sich nur ein weiterer abwiegelnder Vermerk. Im Bericht der Ermittlerin Frenzel heißt es, die Summe handwerklicher Fehler habe dazu geführt, dass „die Taten nicht verhindert werden konnten“. Hinweise auf Kindeswohlgefährdung seien nicht zwischen den Jugendämtern Hameln und Lippe ausgetauscht worden, die Kontakte zur Mutter seien mangelhaft gewesen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #157.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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