Prozess in Bückeburg: Darf die Regierung schweigen?
Was müssen die Minister im Landtag sagen, wenn ein Abgeordneter sie fragt – und wann haben sie das Recht zu schweigen? Der Staatsgerichtshof in Bückeburg, das höchste Gericht des Landes, hat sich mit dieser Frage schon mehrfach beschäftigt, und heute Vormittag wird das wieder der Fall sein. Im „Organstreitverfahren“ meldet sich die AfD und richtet schwere Vorwürfe an die Regierung. Ihren verfassungsmäßigen Auftrag, die Fragen im Parlament „nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig“ zu beantworten, habe sie nicht erfüllt – und damit verfassungswidrig gehandelt.
In der Sache geht es um das betäubungslose Töten von Tieren, das sogenannte „Schächten“. In bestimmten Religionsgemeinschaften wird dieser Weg gewählt, etwa bei Muslimen oder Juden. Es steht also die im Grundgesetz geschützte Freiheit der Religionsausübung gegen das – im Vergleich dazu geringerwertige – Staatsziel des Tierschutzes.
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Vor Gericht dürfte es aber weniger um diesen Konflikt gegen als vielmehr um die Frage, wie detailliert die Regierung auf Fragen dazu eingehen muss. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Dana Guth hatte sich erkundigt, wie viele Ausnahmen vom Tierschutzgesetz die Landesregierung erteilt hat, damit Betrieben das Schächten erlaubt ist. Daraufhin hatte Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) die korrekte Zahl mitgeteilt. Die nächste Frage von Guth jedoch, um welche Schlachtbetriebe es sich handele, wurde mit dem Hinweis auf den Datenschutz verweigert.
Tatsächlich sieht Artikel 24 der Landesverfassung vor, dass es mehrere Ausnahmen von der Auskunftspflicht gibt: Wenn die Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Landesregierung beeinträchtigt ist, wenn Nachteile für das Wohl des Landes oder Bundes drohen oder wenn „schutzwürdige Interessen Dritter verletzt werden“. Um diese schutzwürdigen Interessen, den Datenschutz, dürfte sich die Verhandlung heute im Bückeburger Staatsgerichtshof drehen. In ihrer Antwort an Guth erklärte die Agrarministerin Ende August 2019, es bestehe die Gefahr, dass der Betrieb „im negativen Sinn ins Zentrum der öffentlichen Auseinandersetzung geraten würde“, woraus ein Wettbewerbsnachteil folgen könne. Eine „noch stärkere Anfeindung“ sei zu befürchten, auch ein Angriff „auf Betriebsmittel oder im Betrieb tätige Personen“.
Was wiegt schwerer: der Anspruch des Betriebes oder der Anspruch des Landtags?
Was wiegt nun stärker – der Anspruch des Betriebes, nicht genannt zu werden (weil etwa Proteste von Tierschützern drohen), oder der Anspruch des Landtags auf Auskunft über die Abläufe? Der AfD-Rechtspolitiker Christopher Emden sagt einerseits, die Gefahr von Angriffen halte sich praktisch in Grenzen – denn ein Betrieb sei bereits in den Medien genannt worden, die öffentlichen Reaktionen darauf seien aber nicht stark ausgeprägt gewesen. Andererseits habe die AfD aber ein großes Interesse, in allen Schlachthöfen, in denen geschächtet wird, die Prozesse im Blick zu behalten. Das parlamentarische Interesse daran, dass hier Tierschutzbestimmungen eingehalten werden, sei erheblich. „Die Abgeordneten müssen überprüfen können, was hier geschieht“, sagt der Landtagsabgeordnete.
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Außerdem gebe es ja unter den Befürwortern des Schächtens auch Leute, die eine Einhaltung der religiösen Regeln auch dann für erfüllt halten, wenn eine bestimmte Form der Betäubung angewandt wird. „Nur bei Kenntnis des Schlachtbetriebs können wir darüber diskutieren, ob das hier angewandt werden kann“, meint der AfD-Politiker. Gut möglich ist, dass die Vertreter der Landesregierung entgegnen, die Absichten der AfD seien gar nicht ernst gemeint, ihr gehe es vielmehr doch nur darum, mit Kritik am Schächten ihre Kritik an der muslimischen Glaubensrichtung vorzutragen. Sollte das so sein, müsste das Gericht entscheiden, ob man von unterstellten Intentionen der Fraktion auf deren Rechte gegenüber der Regierung schließen kann.
Frühere Urteile zeigen, dass der Prozess für Überraschungen sorgen kann
Es dürfte also spannend werden, inwieweit sich der Staatsgerichtshof auf diese Argumentation einlassen wird. Die Geschichte der Bückeburger Prozesse zum Auskunftsrecht zeigt jedenfalls, dass es durchaus Überraschungen geben kann. 2007 hatte der Grünen-Abgeordnete Andreas Meihsies den damaligen Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) in einer Debatte über die Energiepolitik gefragt, ob ihm die Steuersubventionen für die Atomenergie bekannt seien. Sander verstand das als rhetorische Frage und antwortete nicht. Meihsies klagte in Bückeburg – und verlor. Ein „hinreichendes Informationsbegehren“ des fragenden Abgeordneten müsse zu erkennen sein, hieß es im Urteil.
2016 wollte Björn Försterling (FDP) in einer Nachfrage nähere Details zur Unterrichtsversorgung von der damaligen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) wissen, bezogen auf einen bestimmten Ort. Försterling zog nach Bückeburg und verlor ebenfalls, weil sich die Nachfrage auf einen speziellen Einzelfall bezogen habe, der von der ursprünglichen „Dringlichen Anfrage“ abgewichen sei. Einen Erfolg verbuchte hingegen die SPD-Landtagsfraktion unter ihrem damaligen Vorsitzenden Stefan Schostok, als sie 2012 viele detaillierte Fragen zum „Nord-Süd-Dialog“ stellte, bei dem es um unvertretbares Sponsoring ging. Der damalige Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) hatte erklärt, zu manchen Details gar keine Auskünfte zu haben und daher nicht zu kleinen Vorgängen antworten zu können. Die Richter sahen es damals anders und bescheinigten der Regierung eine unvollständige Beantwortung.
Wie wird es diesmal? Der Umfang der Fragen ist kein Problem, es geht um eine kurze und knappe Information, die einfach zu beschaffen ist. Niemand wird auch behaupten können, die Frage passe nicht zum eigentlichen Thema – denn sie war schon in der ersten Hauptfrage aufgeführt und ist keineswegs nachgeschoben worden. Es besteht auch kein Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Auskunftsbegehrens der AfD-Fraktion. Sie will das, was sie fragt, schon ernsthaft wissen. Damit wird die Verhandlung heute sicherlich sehr spannend. (kw)