Prof. Menzel-Riedl: „Die Hochschulen brauchen mehr Autonomie“
Seit einem Jahr führt Prof. Susanne Menzel-Riedl, die Präsidentin der Universität Osnabrück, den Vorstand der Landeshochschulkonferenz. Die 21 Hochschulen Niedersachsens haben sich in der LHK zusammengeschlossen. Beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick berichtet sie, wie die Gespräche über anstehende Reformen verlaufen.
Rundblick: Frau Menzel-Riedl, ihr Vorgänger war Prof. Joachim Schachtner, der damalige Präsident der TU Clausthal. Er hatte schon im Januar 2021 einen Forderungskatalog aufgestellt. Jetzt ist Prof. Schachtner Staatssekretär. Setzt er um, was er damals verlangt hat?
Menzel-Riedl: Zunächst möchte ich feststellen, dass es einen sehr offenen und konstruktiven Meinungsaustausch zwischen der Spitze des Wissenschaftsministeriums und uns gibt. Das ist eine neue und sehr positive Qualität des Austauschs. Es geht dabei auch um den Hochschulentwicklungsvertrag, der für 2024 erneuert werden muss. Herr Schachtner hat einen eigenen Entwurf als LHK-Präsident geschrieben, der jetzt auf seinem neuen Schreibtisch als Staatssekretär liegt. Die Kommunikation mit ihm und mit seinem Minister Falko Mohrs läuft sehr gut.
„Ganz wichtig ist die Hochschulautonomie. Da gibt es viel nachzuholen.“
Rundblick: Wie steht es nun um diesen Vertrag? Was sind Ihre Erwartungen?
Menzel-Riedl: Der Vertrag muss in der Landesregierung abgestimmt werden, da geht es vor allem um eine Verständigung zwischen dem Wissenschafts- und dem Finanzministerium. Für uns sind nun mehrere Punkte wichtig – es geht um Tarifausgleich, eine angemessene Bezahlung des Personals, um ausreichende Sachmittel, um den hohen Sanierungsrückstand und um die Digitalisierung. Ganz wichtig ist auch die Hochschulautonomie – da gibt es viel nachzuholen.
Rundblick: Was genau verstehen Sie unter „mehr Hochschulautonomie“?
Menzel-Riedl: Neue Studiengänge müssen nicht mehr genehmigt werden, das ist gut so. Aber sie werden im Ministerium geprüft. Und das dauert viel zu lange, der Gesamtprozess manchmal zwei Jahre. Der Maßstab ist, dass sich nicht zu viele Hochschulen gegenseitig Konkurrenz machen sollen. Aber die Prüfpfade sind immer noch viel zu zeitaufwendig. Dann geht es um die Stellenbewirtschaftung oder um die Bezeichnung von Professuren. Hier können wir viel dynamischer und agiler sein, wenn die Hochschulen weniger mit Vorbehalten des Ministeriums konfrontiert werden. Ein anderes Beispiel sind die Hochschulen, die keine eigene Bauherreneigenschaft haben und auf die Kooperation mit dem Staatlichen Baumanagement angewiesen sind. Die umfangreiche Abstimmung, die bisher bei jedem Schritt erforderlich ist, kostet viel zu viel Zeit.
Rundblick: Das klingt nicht gerade nach einem harmonischen Miteinander…
Menzel-Riedl: Ich glaube schon, dass es eine lange Tradition des gegenseitigen Misstrauens zwischen der Landeshochschulkonferenz und dem Wissenschaftsministerium gibt. Wir haben, wie gesagt, derzeit eine sehr gute Gesprächsatmosphäre – aber doch könnte noch vieles einfacher sein, wenn die Kontrolle verringert würde. Dabei geht es allerdings immer auch um Machtfragen.
„Dass Niedersachsen Schlusslicht ist, spricht sich ja herum und trägt nicht zur Attraktivität des Wissenschaftsstandorts bei.“
Rundblick: Was könnte denn im Hochschulentwicklungsvertrag stehen? Herr Schachtner hatte im Januar 2021 vom Auffangen der Tarifsteigerungen gesprochen, von einem Inflationsausgleich – und von der gewaltigen Summe der nötigen Investitionen, es ging um 4,3 Milliarden Euro.
Menzel-Riedl: Wir hoffen, dass die Übernahme der Tarifsteigerungen fest zugesagt wird – und diese Steigerungen dürften wohl sehr hoch sein. Ein Inflationsausgleich ist dort in gewisser Weise schon enthalten, da der Personaletat der Hochschulen zwischen 60 und 80 Prozent ausmacht. Was den Investitionsstau angeht, befürchte ich schon, dass die damals genannte Summe von 4,3 Milliarden Euro deutlich gewachsen ist. Die Kanzler der deutschen Hochschulen haben neulich bundesweit eine Zahl von 74 Milliarden Euro genannt, das wären dann für Niedersachsen – gerechnet mit knapp 10 Prozent – mehr als 7 Milliarden Euro. Bisher zeichnet sich in den Gesprächen mit dem Ministerium noch nicht ab, wie das Problem gelöst werden soll – über einen Fonds, über ein Sondervermögen, über Fortschritte bei der Bund-Länder-Finanzierung? Für mich ist klar, dass auch der Bund künftig bei diesem Thema stärker aktiv werden muss.
Rundblick: Eine andere Baustelle ist noch die Professorenbesoldung…
Menzel-Riedl: Im Ländervergleich liegt Niedersachsen auf dem 16. Platz von 16 Plätzen. Das macht es für uns doppelt schwer. Bei Berufungsverhandlungen müssen wir viel mit Zulagen arbeiten, wenn wir gute Leute für eine Professorenstelle gewinnen wollen – oder wenn es darum geht, eine Abwerbung zu verhindern. Auf der anderen Seite wirkt der psychologische Effekt: Dass Niedersachsen Schlusslicht ist, spricht sich ja herum und trägt nicht zur Attraktivität des Wissenschaftsstandorts bei.
„Es wäre schon wichtig, dass die Hochschulen eine vorausschauende Personalpolitik betreiben können.“
Rundblick: Das Programm „Zukunft Niedersachsen“ aus der Sonderdividende des Porsche-Börsengangs verspricht für die kommenden Jahre Investitionen von einer Milliarde Euro in die Hochschulen Niedersachsens. Läuft hier alles so, wie Sie es wollen?
Menzel-Riedl: Was wir hier brauchen, ist vor allem größere Transparenz: Wer erstellt die Begutachtungen, wo werden Schwerpunkte gesetzt? Und: Gibt es Ausschreibungen, wie lange sollen die laufen? Die Volkswagenstiftung und das Ministerium müssen das steuern, wir werden gern einbezogen. Es wäre schon wichtig, dass die Hochschulen eine vorausschauende Personalpolitik betreiben können: In Drittmittelprojekten machen bis zu 80 Prozent Personalkosten aus, dafür muss viel befristetes Personal eingestellt werden. Hier wäre es wichtig, die Leute dort einzusetzen, wo in einigen Jahren dann feste Stellen frei werden – und gute Leute in hohe Positionen nachrücken können, also auch in der Verwaltung. Es wird darum gehen, diese Menschen frühzeitig zu gewinnen und ihnen dann eine Perspektive zu geben. Das Geld kann auch in kompetitiv gewonnene EU-Projekte gesteckt werden, die anlaufen, aber auf mittlere und längere Sicht nicht ausfinanziert sind. Schließlich muss in den Hochschulen für die Digitalisierung mehr getan werden. Neulich hatten wir einen Hacker-Angriff auf die Hochschule Hannover. Die Schutzvorkehrungen gegen derartige Vorkommnisse müssen unbedingt besser werden!
Rundblick: Sind die staatlichen Hochschulen eigentlich noch attraktiv genug für Abiturienten, die einen Studienabschluss anstreben?
Menzel-Riedl: Ich sehe mit Sorge, dass die Angebote von privaten Hochschulen für viele junge Leute sehr attraktiv wirken. Was die Gesundheitswissenschaften angeht, sind schon die Hälfte derer, die ein Studium beginnen, bei privaten Hochschulen eingeschrieben. Woran liegt das? Diese Einrichtungen sind bei der Bezeichnung neuer Studiengänge, bei den Studienbedingungen und bei der Praxisorientierung sehr viel weiter als wir. Oft gibt es im Hintergrund eine enge Kooperation mit Unternehmen, und auch Teilzeit-Studiengänge werden angeboten. Wenn man in einer staatlichen Hochschule mehr digitale Formate einführen will, stößt das oft auf Hindernisse. Oder nehmen wir die leidige Kapazitätsverordnung. Sie gibt sehr genau vor, welcher Lehrumfang unter welchen Bedingungen erbracht werden darf – und wie groß beispielsweise die Studiengruppen sein dürfen. Bisher sind solche Vorgaben sehr bürokratisch. Die staatlichen Hochschulen wären viel besser auf die künftigen Herausforderungen vorbereitet, wenn es hier wesentlich mehr Flexibilität – durch Autonomie der Hochschulen – gäbe.
Dieser Artikel erschien am 15.11.2023 in der Ausgabe #198.
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