Bei vielen Bildungsexperten macht sich Ernüchterung breit: In den Hochschulen stauen sich die Bauinvestitionen – und was die Personalausstattung angeht, fällt der Bundesvergleich nicht freundlich aus für Niedersachsen. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick erläutern der Präsident der Landeshochschulkonferenz, Prof. Joachim Schachtner, und der Generalsekretär der Volkswagenstiftung, Georg Schütte, wo sie Ansatzpunkte für Veränderungen sehen.

Rundblick: Herr Schachtner und Herr Schütte, ist Niedersachsen überhaupt ein attraktiver Forschungsstandort?
Schütte: Niedersachsen hat dazu absolut das Potenzial, ja. Mit dem neuen Programm „Spitzenforschung für Niedersachsen“ kann das Ministerium in Zukunft herausragende Impulse setzen. Aber bezogen auf die Grundfinanzierung würde ich die Frage dennoch mit nein beantworten.
Rundblick: Warum?
Schütte: Ich will mal einen Indikator nennen, nämlich die Gehälter der Professoren. Das Einstiegsgehalt eines W3-Professors entspricht einer Grundvergütung von 6724 Euro. Das ist im Bundesvergleich das absolute Schlusslicht, Bayern hat mit 7578 Euro den Spitzenplatz inne. Im Durchschnittsverdienst sind die Professoren in Niedersachsen bei 8830 Euro, das ist Platz neun – und damit auch nicht überragend. Professorenbesoldung ist Ländersache, und hier hätte längst schon eine Anpassung geschehen müssen. So bekommen wir nicht die klugen Köpfe nach Niedersachsen, die wir brauchen. Und wir verlieren einen Teil derer, die hier sind.
"Die Finanzierung muss entkoppelt werden von Wahlperioden."
Rundblick: Schlägt sich das auf Wissenschaftsleistungen nieder?
Schachtner: Ja, zu unserem großen Bedauern. Die Gründe für eine geschwächte Wissenschaftsleistung und weiter abnehmende Attraktivität unseres Wissenschaftsstandorts sind bekannt. Das CHE hat im Jahr 2019 ein aussagekräftiges Gutachten zu den Wettbewerbsvor- und -nachteilen der niedersächsischen Hochschulen im Ländervergleich erstellt, welches den Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und Gesellschaft vorgestellt wurde. Neben der Professorenbesoldung wurden beispielsweise Faktoren, wie die mangelnde Hochschulautonomie, eine Detailsteuerung im Zielvereinbarungsprozess und eine erschwerte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an Fachhochschulen attestiert. Aktuell gibt es zwar Unterstützung des Landes, um in der nächsten Wettbewerbsrunde der Exzellenzinitiative des Bundes Cluster einzuwerben – also für den „Kür-Teil“– aber die Grundausstattung der Hochschulen ist damit nach wie vor nicht gesichert. Und mit Blick auf die Landtagswahl am kommenden Sonntag ist mir eines noch wichtig zu erwähnen: Die Finanzierung muss entkoppelt werden von Wahlperioden. Geld ist das eine, die Zusammenarbeit verschiedener Akteure das andere.
Rundblick: Wie ließe sich das ändern?
Schachtner: Wir brauchen eine strategische Hochschulentwicklungsplanung, die mehr als eine Legislaturperiode überdauern sollte und konsequent überparteilich abgestimmt sein muss. Niedersachsen hat diese nicht – das mussten wir beide, als wir in Niedersachsen ankamen, nach einiger Zeit schmerzhaft feststellen. Es geht in einer solchen Planung darum, die Ziele und Perspektiven für den Wissenschaftsraum Niedersachsen und die einzelnen Hochschulen in einem flexiblen Rahmen festzulegen. Wir müssen eine solche strategische Vision für das Wissenschaftssystem entwickeln.
"Gegenwärtig habe ich in der Hochschulpolitik den Eindruck, dass man sich verzettelt."
Rundblick: Was genau meinen Sie?
Schütte: Nehmen wir die Besonderheiten von Niedersachsen, die Transformation der Großindustrie im Automobilbau und in der Stahlproduktion – oder auch die Bedeutung der Landwirtschaft. Das sind gewaltige Aufgaben, die vor uns stehen. Von einer Wissenschaftspolitik, die im Idealfall auch die wirtschafts- und kulturpolitischen Belange mitdenkt, erwarte ich, dass sie strategisch an diese Fragen geht und Bedingungen schafft, damit in zehn Jahren die Leute für diese Aufgaben ausgebildet sind, die wir dringend benötigen.
Schachtner: Die Potenziale, soviel ist klar, sind doch schon vorhanden – in verschiedenen Disziplinen unserer niedersächsischen Hochschulen. Gegenwärtig habe ich in der Hochschulpolitik den Eindruck, dass man sich verzettelt. Die Volkswagenstiftung leistet da einen wichtigen Beitrag. Und wenn es etwa um die wissenschaftliche Begleitung der Batterieproduktion geht, kooperieren die TU Braunschweig, die Ostfalia und die TU Clausthal bereits hervorragend. Wir brauchen aber mehr, beispielsweise auch die entsprechende Vernetzung zwischen Wissenschaftsministerium auf der einen und den Fachministerien auf der anderen Seite. Das wäre bei der Wissenstransformation in die Förderpolitik das Wirtschaftsministerium, bei der wichtigen Lehrerausbildung das Kultusministerium.
Rundblick: Gegen den Ressort-Egoismus kommt man schlecht an. Was hätten Sie neben Appellen an die Vernunft der Politiker für weitergehende Vorschläge?
Schütte: Einen Innovationsrat, der die Wissenschafts- und die Wirtschaftspolitik zusammenbringt, hielte ich für äußerst sinnvoll. Hier könnten Experten von außen wichtige Impulse geben, um Kirchturmdenken zu überwinden. Außerdem bin ich, was die Lehrerausbildung angeht, für die Formulierung eines Masterplans für die Lehrkräftebildung.

Rundblick: Was soll der bitteschön leisten?
Schütte: Die Lehrerausbildung an den verschiedenen Hochschulen läuft nach meinem Eindruck nicht unbedingt koordiniert. Die Angebote in den Fachwissenschaften und in der Fachdidaktik müssen an den einzelnen Hochschulstandorten zusammenpassen. Und dann brauchen wir Schwerpunktbildungen. Nicht jede Hochschule muss alles machen. Besser wäre es, wenn klare Profile entstünden und die Studierenden wüssten: Hier ist der richtige Ort für mich.
Schachtner: Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch eine stärkere Ausbildung in den MINT-Fächern. Es wäre die Aufgabe von Wissenschafts- und Kultusministerium gewesen, hierfür in den vergangenen Jahren die nötigen Grundlagen zu schaffen. Das ist offensichtlich nicht im erhofften Maße gelungen.
Zu den Personen
Georg Schütte ist seit 2020 Generalsekretär der Volkswagenstiftung und war zuvor für knapp zehn Jahre Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Er war außerdem in den Aufsichtsräten verschiedener wissenschaftlicher Organisationen tätig. Professor Joachim Schachtner ist Präsident der Technischen Universität Clausthal und Vorsitzender der Landeshochschulkonferenz. Der aus Bayern stammende Biologe wirkt seit gut dreieinhalb Jahren in Niedersachsen, zuvor arbeitete er an der Universität Marburg. (as)
Rundblick: Eine wichtige Forderung betrifft auch die Bausubstanz der Hochschulen…
Schachtner: Es ist kurz vor zwölf und das nicht erst seit gestern! In Hörsälen werden Eimer aufgestellt, wenn es regnet, Labore und Gebäude verrotten, seit Jahren wird die Bausubstanz vernachlässigt. Die Kultusministerkonferenz hat bereits 2016 auf eine deutschlandweite Finanzierungslücke von 35 Milliarden Euro bis 2025 hingewiesen; für die Universitätsklinika müssten weitere zwölf Milliarden Euro veranschlagt werden. Zuletzt hat der Deutsche Hochschulverband gefordert, dass der Bund den Hochschulbau wieder zu einer Bund-Länder-Aufgabe machen solle, da die Länder drohen, mit dieser Pflichtaufgabe nach dem Auslaufen der Entflechtungsmittel überfordert zu sein. Ein von der Landeshochschulkonferenz in Auftrag gegebenes Gutachten zur Situation des Hochschulbaus in Niedersachsen hat Anfang 2020 den Sanierungsstau in den niedersächsischen Universitäten und Hochschulen erstmals beziffert – auf satte 4,3 Milliarden Euro, ohne die Universitätsklinika, deren Sanierung das Land in dieser Legislaturperiode dankenswerterweise in Angriff genommen hat. Seither wird viel über Wege diskutiert, wie das zu bewältigen wäre, beispielsweise mit einem Innovationsfonds oder einer Landesbaugesellschaft. Auch über neue Kreditaufnahmen wird in diesem Zusammenhang gesprochen. Wir hatten vor dem Beschluss über den Doppelhaushalt 2022/2023 einen konkreten Vorschlag unterbreitet, die Entscheidung wurde leider vertagt.

Schütte: Es geht nicht allein um die Summen, die sicher nötig werden. Es geht auch darum, die enorm langen Planungs- und Bauzeiten zu verkürzen. Hier sollten die teilweise komplizierten und überladenen Planverfahren aufgeteilt werden in einen Planungs- und eine Ausführungsphase. Mit der kürzeren und vereinfachten Planungsphase wäre es schneller möglich, fertige Konzepte zu erhalten, die dann rascher umgesetzt werden können.
Rundblick: Es läuft also vieles nicht rund in der gegenwärtigen Wissenschaftspolitik?
Schachtner: Dankbar sind wir für vieles, auch dafür, dass die Tarifsteigerungen im Etat für die Hochschulen verankert wurden. Nur: Mehr eben nicht. Es fehlt ein Inflationsausgleich in Höhe von mindestens einem zweistelligen Millionenbetrag. Und wie die Energiekostensteigerung der Universitäten aufgefangen werden soll, steht auch noch in den Sternen. Zudem fehlen uns auch in Zukunft die 30 Millionen Euro in der Grundfinanzierung, die uns durch die sogenannte „Globale Minderausgabe“ des aktuellen Haushalts abhandengekommen sind. Die Bayern, die Baden-Württemberger, die Nordrhein-Westfalen und die Hessen gehen in der Hochschulpolitik entschlossener und zielgerichteter voran. Niedersachsen hinkt leider hinterher, das ist schade.