14. Juni 2022 · Parteien

Pro Moskau – oder für Verfolgte? Das Schröder-Verfahren bringt es an den Tag

Wohin führt der Kurs der SPD: Zu einer Annäherung mit dem Kreml oder mit Kiew? | Fotos: GettyImages/Zeffss1, Aleksandr Mokshyn

Das war eine Überraschung: Am vergangenen Freitagabend, kurz nach der offiziellen Eröffnung des „Tages der Niedersachsen“, ging Altkanzler Gerhard Schröder, dicht neben seiner Ehefrau und begleitet von zwei Sicherheitsbeamten, über das Festgelände. Es stand zu lesen, er habe „sichtlich entspannt“ gewirkt. Doch wer Schröder etwas abseits der Kameras begegnete, sah einen in sich gekehrten, ernst vor sich hinstarrenden Menschen. Die Aussagen einiger seiner Freunde in den vergangenen Wochen, Schröder stehe stark unter Druck und leide extrem unter der Situation, scheinen nicht unberechtigt zu sein. Gleichzeitig spricht viel dafür, dass dieser Auftritt des Altkanzlers auch ein bewusstes Signal sein sollte: „Seht her, ich bin noch da. Und ich habe nicht die Absicht, mich zu verstecken.“ Oder auch: „Seht her, ich gebe nicht kampflos auf.“

Der Druck auf Ex-Bundeskanzler und Putin-Versteher Gerhard Schröder wächst. | Foto: Tim Reckmann/ccnull.de/CC-BY 2.0

Seit Monaten steht Schröder öffentlich in der Kritik, weil er nach Putins Überfall auf die Ukraine seine Posten bei russischen Staatsunternehmen nicht oder erst sehr spät zurückgegeben hat. Er blieb russischer Gas-Lobbyist, während immer klarer wurde, dass Putin die Energiepolitik als Waffe in seinem Kampf gegen die westliche Demokratie einsetzt. Schröder, einst oberster Repräsentant einer der größten westlichen Demokratien, degradierte sich selbst zum geschäftlichen Freund eines Angriffskriegers. Vermutlich tat er das gar nicht bewusst, sondern war gefangen in seiner gewohnten Selbstgerechtigkeit. Etliche Ehrenämter, Ehren-Mitgliedschaften und Sonder-Auszeichnungen hat Schröder seither verloren, auch die Ehrenbürgerwürde von Hannover. Er hat es mehr oder weniger achselzuckend hingenommen.

Schiedskommission berät über 14 Parteiausschlussanträge

Am 22. Juni naht nun aber eine Entscheidung, die ihn sehr berühren dürfte: Die Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Hannover muss über inzwischen 14 Parteiausschlussanträge beraten, mehrheitlich kommen sie aus Süddeutschland. Zur dreiköpfigen Kommission gehören altgediente, erfahrene Landespolitiker wie Sozial-Staatssekretär Heiger Scholz als Vorsitzender und Birgit Honé, Europaministerin. Dritter im Bunde ist der frühere hannoversche SPD-Stadtverbandsvorsitzende Manfred Müller. Die drei Juristen schweigen, wenn sie auf das Thema angesprochen werden. Mitglieder von Schiedskommissionen äußern sich in der Regel nicht öffentlich.

Dass Schröder entgegen seiner oft demonstrativ zur Schau getragenen Gelassenheit bemüht ist, es seinen Kritikern nicht zu leicht zu machen, ist offenkundig: Vor dem Parteiausschlussverfahren (nach 59 Jahren Mitgliedschaft) und während der sich in Berlin zuspitzenden Debatte über die Streichung seiner Privilegien als ehemaliger Kanzler zog sich Schröder von einigen russischen Aufsichtsratsämtern zurück. Das zeigt, dass er beides, Parteibuch und Privilegien, nicht einbüßen will. Schröder weiß, wie schwer es ist, jemanden ein parteischädigendes Verhalten nachzuweisen. Die gutbezahlten Ämter, die er bis vor kurzem noch für Putin wahrnahm, noch Monate nach dem Beginn des Angriffskrieges, sind das stärkste Argument dafür, ihn aus der SPD zu werfen. Sie belegen, dass Schröder von Putin als Instrument für seinen Vernichtungskampf gegen die Ukraine genutzt wurde. Vermutlich ist er hineingeschlittert, weil er das Ausmaß seiner eigenen Verstrickung irgendwann nicht mehr erkannt hat.

Wenn die SPD ein Mitglied ausschließen will, muss sie ihm nachweisen, dass er „vorsätzlich gegen die Statuten oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstoßen“ hat. Zudem muss in der Folge dieses Verstoßes „schwerer Schaden für die Partei entstanden“ sein. Die Statuten spielen in Schröders Fall keine Rolle. Der „schwere Schaden“ besteht im Verlust der Reputation. Dass der einstige SPD-Politiker international nach wie vor zu Putins besten Freunden gehört und sich von Putin wenigstens noch bis vor Kurzem bezahlen ließ, hat weltweit Empörung hervorgerufen und die SPD in eine argumentative Zwangslage gebracht. Dies dürfte auch leicht zu belegen sein. Schwieriger ist die Frage, ob Schröders Verhalten tatsächlich den Grundsätzen der SPD widerspricht. Ist seine Politik der Russland-Nähe noch vereinbar mit den Grundsätzen der SPD, da diese immer Partei für die Verfolgten und Unterdrückten ergreift? Prominente SPD-Politiker werden nicht müde zu betonen: „Wir stehen an der Seite der Ukraine!“ Das gilt für Kanzler Olaf Scholz ebenso wie für Ministerpräsident Stephan Weil und für die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken.

Die älteste deutsche Partei ist zu einem Opfer ihrer Erfolge geworden.

Heinrich August Winkler, Historiker

Aber ist diese Haltung überzeugend? Bemerkenswert ist eine vor wenigen Tagen im „Spiegel“ erschienene Veröffentlichung des Historikers Heinrich August Winkler. Er legt an vielen Beispielen klar, dass die SPD „ein Opfer ihrer eigenen Erfolge in der Ost-Politik“ geworden sei – und über Jahrzehnte immer eine große Nähe zu Moskau gepflegt und eine zu geringe Wertschätzung gegenüber anderen osteuropäischen Ländern gezeigt habe. So hätten Egon Bahr, Helmut Schmidt und Herbert Wehner Anfang der achtziger Jahre ihre Distanz zur polnischen Freiheits- und Demokratiebewegung deutlich werden lassen, dies habe sich dann in den Folgejahren fortgesetzt und sei bei der SPD immer wesentlich stärker ausgeprägt gewesen als in anderen Parteien, etwa der Union. Wenn man nun als „Grundsätze“ der SPD nicht nur programmatische Äußerungen versteht, sondern auch das über Jahre in der politischen Praxis geformte Verhalten der führenden SPD-Politiker, dann dürfte Schröders Verhalten durchaus als SPD-grundsatztreu gelten können: Man sucht aus geostrategischen, dem Frieden zwischen den Machtblöcken geschuldeten Gründen eine Nähe zu Moskau und betrachtet deshalb die Freiheitsbestrebungen von Staaten, die im Einflussbereich Russlands verortet werden, mit großer Skepsis oder Distanz. Genau das hat Schröder getan, auch er hat sein Wirken immer mit der internationalen Friedenssicherung begründet.

Dies beschreibt nun aber auch das Dilemma, in dem die dreiköpfige Schiedskommission der SPD steckt. Wenn sie den Anträgen auf Parteiausschluss Recht gibt und einen „erheblichen Verstoß“ gegen die Grundsätze der SPD beim Altkanzler erkennt, würde dies zur Erzählung von Scholz, Weil, Klingbeil und anderen passen, wonach die Partei „fest an der Seite der Ukraine“ stehe. Wenn die Kommission diese Einschätzung jedoch verweigert, wozu auch der historische Blick auf die sozialdemokratische Außenpolitik genügend Anlass gäbe, könnte das schnell als Beleg für die Fragwürdigkeit der aktuellen SPD-Positionen gewertet werden. Das Narrativ der SPD als Putin-Gegnerin geriete ins Bröseln. Das alles zeigt nun klar: Vordergründig geht es bei der Entscheidung der SPD-Schiedskommission um das persönliche Schicksal des dritten sozialdemokratischen Bundeskanzlers in seiner Eigenschaft als Parteimitglied. Das ist auch ein Thema, sicher. Tatsächlich aber geht es um nicht mehr und nicht weniger als die inhaltliche Kursbestimmung der SPD in schwierigen Zeiten. Man möchte in der Haut der Schiedskommission nicht stecken.

Dieser Artikel erschien am 15.6.2022 in Ausgabe #111.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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