Die Inflation ist höher als in den vergangenen Jahren. Ist das ein Problem? Die Wissenschaftler sind sich nicht einig. Manche meinen, es handele sich um einen vorübergehenden Effekt, der noch mit den gestörten Lieferketten in der Corona-Pandemie zu tun hat – und sich bald wieder legen wird. Andere sehen ernste Gefahren. Das ist Anlass für die Rundblick-Redaktion, aus unterschiedlichen Blickwinkeln das Thema zu beleuchten.

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PRO: Die Gruppe derer, die durch die Geldentwertung nicht enteignet werden in Deutschland, wird immer kleiner. Daher gibt es wirklich keinen Grund zur Entwarnung angesichts der beruhigenden Analysen von Wirtschaftsexperten. Vielmehr sollte die Politik umsichtig reagieren, meint Christian Wilhelm Link.

In Deutschland sieht man das Thema Inflation bisweilen etwas emotionaler als in anderen Ländern. Wilhelm Röpke, der geistige Vater der Sozialen Marktwirtschaft, bezeichnete sie als „eine der schwersten Wirtschaftskrankheiten“. Ludwig Erhard nannte sie eine „unverzeihliche Sünde“. Aus Sicht von Schriftsteller Stefan Zweig hinterließ die Inflation von 1914 bis 1923 gar eine größere Narbe auf der deutschen Volksseele als der verlorene Erste Weltkrieg. Während man trotz der Niederlage auch immer wieder einzelne Erfolge feiern konnte, habe Deutschland sich durch die Geldentwertung „einzig beschmutzt, betrogen und erniedrigt“ gefühlt. „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation“, analysiert Zweig. Doch wer aus der Geschichte lernen will, muss auch das richtige Kapitel betrachten.

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„History Says Don’t Panic About Inflation“ betitelte der US-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman kürzlich einen Kommentar in der New York Times. „Es sieht heute so aus, als ob die Nachfrage das Angebot in den meisten Wirtschaftsbereichen übersteigt“, erklärt Krugman darin den jüngsten US-Report zum Verbraucherpreisindex. Er vergleicht die aktuelle Wirtschaftslage mit den Nachkriegsjahren in den USA. Damals habe es plötzlich eine riesige Nachfrage nach Waren gab, die in Kriegszeiten nicht verfügbar waren. Heute würden die Verbraucher aufgrund der Corona-Pandemie weniger Geld für Dienstleistungen, dafür mehr für Produkte ausgeben. Verstärkt werde der daraus folgende Mangel durch Lieferkettenstörungen und steigende Energiepreise. „Damals wie heute hat die Wirtschaft etwas Zeit gebraucht, um sich auf die veränderte Nachfrage einzustellen“, so Krugman. Seine Empfehlung lautet: Abwarten und nicht überreagieren.

Auch der scheidende Bundesbankpräsident Jens Weidmann macht die außergewöhnlich hohe Inflation in Deutschland vor allem an einigen „Sondereffekten“ fest. Im Interview mit der Ludwig-Erhard-Stiftung nannte Weidmann hier „das Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung, das Klimapaket, der gestiegene Ölpreis und eine statistische Besonderheit bei Pauschalreisen“. Mittelfristig werde sich die Inflation im Euro-Raum wieder bei 2 Prozent einpendeln. Der Bundesbank-Chef sagt: „Beunruhigend für uns Notenbanker wäre es, wenn ein anhaltend überhöhter Preisdruck drohte — das sehe ich im Moment aber nicht.“

Grund zum Aufatmen ist das aber nicht. Bislang hat die deutsche Politik auch bei einer Inflationsrate von nur rund 2 Prozent keine Konzepte entwickeln können, um den Wohlstand für die breite Masse der Bürger dauerhaft zu sichern. Die privilegierte Gruppe derer, die durch die ganz normale Geldentwertung nicht heimlich enteignet werden, wird immer kleiner. Für Kleinanleger ist es kaum möglich, das Vermögen bei einer Rendite von mehr als 2 Prozent anzulegen. Und auch die Löhne steigen in vielen Branchen längst nicht in dem Maß, in dem sie sollten. Ein Beispiel dafür ist der jüngste Tarifabschluss im öffentlichen Dienst. Bei einer Inflation von aktuell 5,3 Prozent in Niedersachsen bedeutet ein Gehaltsplus von 2,8 Prozent ganz klar einen Reallohnverlust. Natürlich war angesichts der von Corona geschröpften öffentlichen Haushalte nicht viel mehr möglich. Das liegt aber auch daran, dass die finanziellen Gewinner der Krise nicht mit zusätzlichen Abgaben herangezogen werden, um dem Staat mehr Handlungsfähigkeit zu verschaffen.

Diese Handlungsfähigkeit könnte aber noch dringend nötig werden. Um die deutsche Wirtschaft klimaneutral zu machen, werden Mehrinvestitionen von 860 Milliarden Euro nötig sein, ließ der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ausrechnen. Ich befürchte: Mindestens ein Teil dieser Kosten wird indirekt an denen hängen bleiben, die ohnehin schon am meisten unter der Inflation leiden. Zudem gibt es in der Industrie den Trend zu Recycling und Regionalisierung, sodass Produktionskapazitäten wieder zurück nach Deutschland geholt werden – was zu ebenfalls zu Verteuerungen führen dürfte. Und dann warnen Ökonomen auch noch davor, dass der demographische Wandel und der Anstieg der Rentner zu einer sinkenden Produktivität führt und damit inflationär wirkt. Für die neue Bundesregierung bedeutet das vor allem eins: Die Ampel-Koalition muss darauf achten, nicht noch mehr Einmaleffekte zu erzeugen, die die Inflation befeuern. Das Landesamt für Statistik Niedersachsen hat ausgerechnet, dass die Verbraucherpreise beim Verkehr innerhalb eines Jahres um 15,2 Prozent gestiegen sind. Wir wissen alle, dass eine Mobilitätswende dringend nötig ist, aber so kann das mit der Kostenverteilung nicht weitergehen. Mal sehen, ob die neue Regierung hier erfolgreicher sein wird als die Große Koalition. Die Zahl der nominellen Wirtschafts- und Finanzexperten im Kabinett wird ja deutlich zunehmen – hoffentlich nicht inflationär.


CONTRA: Natürlich ist die Geldentwertung ein ernstes Problem. Noch ernster ist aber die Angst vor einer solchen Geldentwertung – denn sie kann nicht nur das Verhalten der Konsumenten beeinflussen, sondern auch die politischen Verhältnisse durcheinanderwirbeln. Die Inflation können wir in den Griff bekommen, wenn die Regierenden klug genug agieren. Die Ängste vor der Inflationen zu zerstreuen, ist eine viel größere Aufgabe, meint Klaus Wallbaum.

So richtig schlimm wird eine Inflation, wenn mit ihrem Auftreten das Vertrauen in die Währung – und damit in die gewohnten Verhaltensweisen im Wirtschaftsleben – verloren geht. Steigen die Preise immer weiter an, so beginnen die Leute irgendwann, das Geld nicht mehr als Basis zu akzeptieren. Dann gibt es neuartige Tauschgeschäfte und eine Schatten-Wirtschaft, die Folgen etwa für den Staat, der die Steuereinnahmen braucht, wären fatal. Eine galoppierende Inflation hätte dann wohl noch einen weiteren Effekt: Immer mehr würde sich der Eindruck verfestigen, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierenden verfehlt ist, dass die Politiker überfordert mit dem Problem sind, dass ihnen die Geschicke entgleiten.

Chefredakteur Klaus Wallbaum | Foto: Tomas Lada

Nun sind wir meilenweit von solchen Zuständen entfernt. Dass die Preise derzeit so stark steigen wie seit vielen Jahren nicht, ist zwar eine Tatsache. Aber es mehren sich die Stimmen derer, die vor falscher Panik warnen und von einem Corona-Effekt sprechen: Die Wirtschaft war heruntergefahren worden, als es den Lockdown gab. Nun steigt die Nachfrage sprunghaft wieder an – aber die Systeme der Produktion, des Transports und des Handels sind darauf noch nicht ausgelegt, sie können nicht so schnell reagieren. Es brauche alles seine Zeit, bis die Verhältnisse sich wieder ordnen. Aber dann, dann sei alles wieder im Lot. Es gebe keinen Grund zur Panik.

Wenn es so kommt, wäre ja alles gut. Aber kommt es so? Die Wissenschaftler sind uneins. Diejenigen, die die Gefahr einer ernsthaften Inflation bestreiten, verweisen auf die demographische Entwicklung: Da die Menschen hierzulande im Schnitt deutlich älter werden, wächst der Anteil derer, die ihr Geld lieber zur Seite legen und damit nicht den Geldkreislauf verstärken, die also nicht als zusätzliche Nachfrager auftreten. Verwiesen wird auch auf die Politik der Europäischen Zentralbank und der anderen Notenbanken, die auf die verschiedenen Krisen mit immer mehr Liquidität für die Banken reagiert haben – aber sich bisher weigern, die Zinsen anzuheben und damit dem Geldkreislauf zu drosseln. Das funktioniert noch reibungslos. Aber wenn die Preise steigen und die Löhne womöglich nicht so schnell nachziehen, dann werden viele Bürger ihr Erspartes antasten müssen – für das sie schon jetzt, sofern es auf der Bank liegt, keine Zinsen mehr bekommen. Der Unmut über die Preissteigerung dürfte lauter werden. Man hört es jetzt schon, nach dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst. Einige Stimmen betonen, das reiche nicht, um den Anstieg der Preise auszugleichen. Womöglich sind das Vorboten einer lauter werdenden Diskussion.

Nun sind die Rahmenbedingungen, unter denen sich all das ereignet, auch nicht gerade so, dass man sich entspannt zurücklehnen könnte. Mit der Abkehr von den fossilen Brennstoffen öffnen sich Versorgungslücken, die übergangsweise gestopft werden müssen – und die internationale Verwicklungen erzeugen können, wie das Beispiel der Gaspipeline Nordstream II aktuell gerade belegt. Protektionistische Tendenzen, die vor allem von der US-Administrationen von Donald Trump eingeleitet wurden, kommen ebenso hinzu wie bedenkliches Großmachtstreben, das derzeit beispielsweise in China zu bemerken ist. Das alles sind Anzeichen dafür, dass der weltweite Handel in Zukunft eher schwieriger als einfacher werden könnte. Jede Schwierigkeit aber kann Verzögerungen und wirtschaftliche Nachteile heraufbeschwören, kann Ungeduld und Misstrauen fördern – und auch das kann Inflation begünstigen. Dann kommen die Rufe nach erheblichen staatlichen Investitionsprogrammen hinzu, die teilweise – etwa in den USA – schon auf den Weg gebracht wurden. Aber was geschieht, wenn eine solche erhebliche Nachfrageverstärkung auf eine Wirtschaft stößt, die nur ein begrenztes Angebot an Fachkräften und Material hat? Weitere Preissteigerungen dürften die Folge sein. Dass wir uns zudem aktuell in einer Situation befinden, in der Staaten wie Privatwirtschaft unter einer enormen Schuldenlast leiden, macht beide anfällig für einen Zinsanstieg, der womöglich irgendwann doch als letztes Mittel der Notenbanken zur Eindämmung der Inflation beschlossen werden könnte.

Ist das alles übertrieben, wie manche Ökonomen sagen?  Mag sein, aber auf der Welt sind gegenwärtig genügend politische Kräfte unterwegs, denen man mit Fug und Recht destruktive Ziele unterstellen kann. Ihre Basis sind die Ängste der Bevölkerung, und Preissteigerungen sind ein hervorragendes Mittel, Ängste zu erzeugen oder zu verstärken. Eine unsichere Welt aber belastet auch das Vertrauen in die Weltwirtschaft – und treibt dieses Problem noch weiter an. Also: Kein Grund zur Gelassenheit.