5. Okt. 2016 · 
Kommentar

Pro & Contra: Wahlalter 16

Im Landtag wird über ein Wahlrecht für 16- und 17-Jährige bei Landtagswahlen diskutiert. Rot-Grün will die Reform, die FDP steht dem auch aufgeschlossen gegenüber – die CDU aber eher skeptisch. wahlalter-16_pro-und-contra   PRO: Das Wahlalter 16 ist eine Frage des Respekts gegenüber Jugendlichen, die durchaus in der Lage sind, selbstbewusst und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen, meint Martin Brüning. Alles schon einmal dagewesen: Die Diskussion um die Absenkung des Wahlalters ist zu Beginn der 70er Jahre schon einmal geführt worden. Es ging um die Absenkung von 21 auf 18 Jahre. Der CSU-Abgeordnete Richard Jaeger sagte damals im Bundestag: „So wie man im Militär erst gehorchen lernt, bevor man befehlen kann, kann man auch im Staatsleben zuerst einmal dienen, ehe man führt." Gottlob sind zumindest solche Argumente (bei den meisten) inzwischen aus der Mode gekommen. Allerdings sind auch die aktuellen Argumente der Gegner einer Absenkung des Wahlalters vielfach unverständlich. Aus der Jungen Union, die in der Debatte so klingt, als gäben altväterliche Juristen schon bei der Jugendorganisation der CDU den Ton an, ist zum Beispiel das Argument zu hören, wer als 16-Jähriger noch nicht einmal einen Handyvertrag abschließen dürfe, der könne auch noch nicht wählen. Ich selbst darf zwar einen Handyvertrag abschließen, blicke aber bei dem komplizierten Tarif-Wirrwarr nicht mehr durch – disqualifiziert mich das für die Wahlkabine? https://soundcloud.com/user-385595761/kurz-kommentar-ja-zum-wahlalter-16 Für das Wahlrecht mit 16 sprechen drei große B’s: Beispiele, Beteiligung und Bewertung. Beispiele: Niedersachsen wäre nicht das erste Bundesland, das das Wahlrecht mit 16 einführt. Interessierte konnten sich schon in Hamburg, Bremen, Brandenburg und Schleswig-Holstein anschauen, was passiert, wenn 16- und 17-Jährige auch die Wahlurne dürfen. In Hamburg lag dabei die Wahlbeteiligung dieser Gruppe sogar deutlich höher als die der 18- bis 34-Jährigen. Eine wesentliche Stärkung extremer Parteien ging von den jugendlichen Erstwählern nicht aus. Allerdings gibt es durchaus Unterschiede im Wahlverhalten: Die Grünen schneiden oftmals deutlich besser ab, die CDU deutlich schlechter. Das kann bei der Union aber bestimmt nicht der Grund dafür sein, die Absenkung des Wahlalters abzulehnen, oder…? Beteiligung: Wer sich nach der 10. Klasse für eine Ausbildung entscheidet, tritt ins Berufsleben ein. Frühes Aufstehen, malochen gehen,  Steuern zahlen – fühlt sich alles sehr erwachsen an. Warum sollte man also nicht auch wählen dürfen? Dasselbe gilt für die Schüler, die vielleicht besser über gute und schlechte Bildungspolitik urteilen können als so manche Mutter oder mancher Vater. In Niedersachsen können nur Wähler an der Wahlurne über Schulpolitik abstimmen, die die Schule schon hinter sich haben. Gerecht ist das nicht. Bewertung: Immer wieder heißt es, 16- und 17-Jährige könnten politische Fragen noch gar nicht bewerten, ihnen fehle das nötige Wissen. Das ist das schlechteste Argument von allen. Wer auf der Großen Straße in Osnabrück, der Langen Straße in Oldenburg oder der Georgstraße in Hannover einmal politisches Basiswissen abfragt, der wird vermutlich erstaunliche Antworten erhalten. Merke: Unwissenheit schützt nicht vor dem Stimmzettel in der Hand. Und wer wirklich der Meinung ist, die Jugendlichen in Deutschland wüssten zu wenig über Politik, der sollte sich über den Schulunterricht Gedanken machen – was der 17-Jährige nicht lernt, weiß der 18-Jährige nicht aus heiterem Himmel. Übrigens: Warum Jugendliche politische Zusammenhänge auf kommunaler Ebener, auf der sie bereits mitwählen dürfen, besser verstehen sollten als auf Landesebene, erschließt sich auch nicht. Die Absenkung des Wahlalters ist keine Maßnahme gegen Politikverdrossenheit, wie manche argumentieren. Politik und Medien müssen völlig unabhängig vom Wahlalter schon selbst dafür Sorge tragen, Politik interessant und bürgernah zu vermitteln. Das Wahlalter 16 ist eine Frage des Respekts gegenüber Jugendlichen, die durchaus in der Lage sind, selbstbewusst und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Ein Land, das demographisch auf dem Weg zu einer Republik der Alten ist, sollte den Jungen bei Wahlen eine starke Stimme geben. Das kann im besten Fall auch zu einer ausgewogeneren Politik führen. Mail an den Autor dieses Kommentars   CONTRA: Das Wahlrecht sollte etwas ganz besonderes bleiben. Es darf nicht zum Experimentierfeld werden, meint Klaus Wallbaum: Sicher sind viele 16-Jährige heute politisch reifer als viele 40- oder 50-Jährige. Das, was wir „politische Reife“ nennen, hängt mit dem Bildungsstand zusammen. Je mehr ich über politische Prozesse weiß, desto besser kann ich sie beurteilen, desto weniger fremd erscheinen sie mir. Und: Je natürlicher für mich die Politik ist, weil sie einfach dazugehört und zutiefst menschlich ist, desto weniger werde ich sie als „abgehoben“ erleben. Das ist es aber, was viele von denen, die eine Wahlteilnahme verweigern, immer wieder beklagen: die Politik sei abgehoben, fern von den Menschen und ihren Problemen. „Die da oben“ verstünden nichts von den Sorgen da unten, heißt es dann. Sie lebten in einer anderen Welt. Dabei koppeln sich die, die so denken, von der Politik ab. Was die Republik nötig hat, ist eine Rehabilitierung der Politik: Eine Wahl muss für die Menschen wieder als wichtiges Ereignis wahrgenommen werden, als eine Chance, die Geschicke der Gemeinschaft mitzugestalten. Alle Politiker müssen zu diesem Zweck näher an die Leute heran, sich stärker dort bewegen, wo sie leben und arbeiten. Gehört dazu auch, das Wahlrecht auf 16- und 17-Jährige auszuweiten? Eher nicht. Dabei geht es gar nicht um die Jugendlichen selbst, viele von ihnen dürften für ein Wahlrecht sogar dankbar sein, nicht wenige kann man vielleicht für eine dauerhafte Mitwirkung an der Gemeinschaft gewinnen. Nur: Die Jugendlichen sind nicht das Problem, das Problem sind die vielen Menschen vornehmlich in sozial schwachen, bildungsferneren Schichten, die gar nicht mehr wählen gehen (oder, wenn sie es doch tun, Proteststimmen für reine Dagegen-Parteien abgeben). Was aber denkt jemand, der dem Politikbetrieb distanziert oder ablehnend gegenübersteht, wenn er von der Einführung des Wahlrechts für Jugendliche hört? Er wird meinen, dass sich die Politiker wieder nicht um ihn kümmern, dass es ihnen nicht darum geht, sich stärker auf Leute wie ihn zuzubewegen. Vielleicht wird er über die Wahlen als „Kinderkram“ lästern, weil er annimmt, die Sache sei wohl tatsächlich nicht ernst, wenn jetzt auch Jugendliche dort mitbestimmen sollten. Wie viele Menschen in bildungsfernen Schichten trauen 16-Jährigen zu, die Politik mitgestalten zu können? Vermutlich sind es weitaus weniger als in den Schichten, die wir das „Bildungsbürgertum“ nennen. Der wichtigste Grund gegen das Wahlrecht für 16- und 17-Jährige ist das Signal, das die Politik mit einer solchen Reform an das Wahlvolk abgibt: Man wolle die sinkende Wahlbeteiligung damit ausgleichen, dass man jetzt auch Kinder an die Wahlurne lässt – oder anders: den Politikern fällt nichts anderes ein, bürgernäher zu werden, als sich denen zuzuwenden, die noch als manipulierbar gelten, den Jugendlichen. Sicher sind solche Urteile ungerecht und falsch, weil sich die Befürworter vom Wahlalter 16 tatsächlich ganz andere und tiefschürfende Gedanken gemacht haben. Aber in der Politik, und auch in solchen Wahlrechtsdebatten, wirken Stimmungen und Gefühle auf die Menschen viel stärker als sachliche Argumente. Deshalb wäre es vielleicht sinnvoller, die Politiker würden sich stärker um die Frage kümmern, wie man die Wahlverweigerer, die selbstgewählten Politik-Aussteiger wieder für die Mitwirkung an der Mitgestaltung der Gemeinschaft gewinnen kann. Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #179.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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