Pro & Contra: Sollte Cannabis freigegeben werden?
Der Landtag berät am Freitag über eine Freigabe von Cannabis. Die FDP-Fraktion hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Darin fordert sie unter anderem. Den Konsum zu entkriminalisieren und Lizenzen für spezialisierte Cannabis-Shops zu vergeben. Ein Pro & Contra aus der Rundblick-Reaktion.
PRO: Alkohol gehört zur Kultur, das Kiffen in den Augen der Politik allerhöchstens zur Jugendkultur und die findet in der Politik eben nicht statt, bemängelt Martin Brüning.
Als Pendler kommt man teilweise aus dem Staunen nicht heraus. Wenn ich am Freitagnachmittag mit dem ICE von Berlin nach Hannover fuhr, wurde es nach dem Stopp in Wolfsburg immer voll im Bordbistro. Und in der Feierabendlaune wurden bei so manchen zugestiegenen Fahrgast aus einem Hefeweizen gleich zwei – wohlgemerkt auf der Fahrt von Wolfsburg nach Hannover, die gerade mal eine halbe Stunde dauert.
Nun will ich niemandem sein Bier zum Feierabend missgönnen, aber es gibt in dieser Gesellschaft eine inkongruente Betrachtungsweise in Bezug auf Drogen. Während Alkohol bei vielen in der Freizeit und bei jeder Feier automatisch dazugehört, wird der Kiffer immer halb der Unterwelt zugeordnet. Bei vielen Männern ist es ein beliebtes Gesprächsthema, welche Biersorte nun besser schmeckt und je höher das Einkommen, desto häufiger dehnt sich dieses Gespräch auf Weinsorten aus. Dabei würde niemand bestreiten, dass Alkohol gefährlich sein kann. Wer sehen will, was zu viel Alkohol mit einem Menschen anrichten kann, der sollte einmal tagsüber über den hannoverschen Raschplatz in Bahnhofsnähe laufen, wo die örtliche Trinkerszene zuhause ist. Oder er schaut sich einfach mal im kommenden Winter auf einer Après-Ski-Party um. Warum finden Sie auf den Flaschen mit alkoholischen Getränken eigentlich keine Bilder von weggetretenen Party-Trinkern, die in ihrem Erbrochenen liegen?
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Die Gegner einer Legalisierung von Cannabis argumentieren, dies käme einer strafrechtlichen Kapitulation im Kampf gegen Drogen gleich. Das kann man so sehen, aber dann müssten wir eine Diskussion über alle Drogen führen – dazu gehört auch der Alkohol, der eine gesellschaftliche Relevanz hat, die er eigentlich nicht haben sollte. Also Wasser statt Weizen nach dem Feierabend oder Saft statt Sekt auf der nächsten Silvesterfeier? Das wäre sicherlich übertrieben – genauso übertrieben wie die Verteufelung von Cannabis.
Beim Kiffen ist es aktuell wie beim Glücksspiel: Es findet in einer Grauzone statt. Die Politik gefällt sich darin, dass das, was verboten ist, irgendwie nicht existieren kann. Alkohol gehört zur Kultur, das Kiffen in den Augen der Politik allerhöchstens zur Jugendkultur, und die findet in der Politik eben nicht statt. Dabei wäre in einem regulierten Markt eine bessere Kontrolle möglich. Damit ließen sich die Konsumenten besser schützen und illegale Dealer, die mit fragwürdigen Substanzen handeln, würden überflüssig. Die Polizei könnte sich endlich stärker auf Wohnungseinbrüche konzentrieren und müsste nicht demjenigen hinterherlaufen, der ein paar Gramm Cannabis bei sich trägt.
Angeblich greifen in Deutschland vier Millionen Menschen zum Joint. Dabei ist das Kiffen für Jugendliche in Zukunft möglicherweise viel weniger interessant als für Senioren. Denn während das Rauchen bei den jungen Menschen inzwischen verbreitet als uncool gilt, kann Cannabis für kranke Menschen eine schmerzlindernde Alternative sein. Das ist auch die Chance für eine politische Neubewertung: Angesichts der großen Anzahl älterer Wähler gibt es seit Jahren ein Entscheidungs-Ungleichgewicht in der Politik zugunsten der Alten. Wenn nun bald die Arbeitsgemeinschaft SPD 60 Plus in Verbindung mit der Seniorenunion „Gebt das Hanf frei“-Broschüren auf den Parteitagen verteilen, könnte es ein Umdenken geben. Die Legalisierung von Cannabis wäre dann die moderne Politik von morgen. Bisher ist die Politik bezüglich weicher Drogen nämlich von gestern.
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CONTRA: Es ist die falsche Zeit, über die Zulassung neuer Rauschdrogen nachzudenken, meint Klaus Wallbaum:
Gegenwärtig versuchen einfach zu viele Menschen hierzulande, und nicht nur hier, der tristen Wirklichkeit zu entfliehen. Die einen fangen an zu trinken, die anderen suchen Ablenkung in jeglicher Form um fast jeden Preis. Dritte wiederum rauchen Cannabisprodukte. Wenn man sich Menschen anschaut, die den ganzen Tag vor dem Computer sitzen und dort mit ihren „Freunden“ chatten, erkennt man auch darin einen Versuch, sich vom wirklichen Leben abzuwenden und sich eine neue, virtuelle Welt zu erschließen. Eine Hypothese sei gewagt: Der Anteil der Verschwörungstheoretiker, die hinter allem und jedem feindliche Mächte wittern, ist unter den intensiven Computer-Nutzern viel stärker verbreitet als im Durchschnitt der Bevölkerung. Und das ist auch eine Form von Rausch.
Was das alles mit der Hasch-Debatte zu tun hat? Auf dem ersten Blick nicht viel. Es gibt die Diskussion über die Legalisierung dieser Droge schon lange. Sie flammt alle paar Jahre mal wieder auf, löst kurzzeitig eifrige Debatten aus und bleibt dann meistens folgenlos. Es wäre also unfair, wenn man den neuen Vorstoß der FDP-Landtagsfraktion allein als Ausdruck einer besonderen aktuellen Schräglage der deutschen Gesellschaft bezeichnen würde. Aber trotzdem: Diese Initiative passt einfach nicht in die Zeit. Denn ganz gleich, ob übermäßiger Alkohol-Konsum, zu tiefes Eintauchen in die Computerwelt oder intensiver Hasch-Genuss – zu viele Menschen sind gegenwärtig dabei, sich von der Gesellschaft abzuwenden und in Schein-Realitäten abzuschweifen.
Nun stimmt der Einwand, dass eine ausdrückliche Konsumerlaubnis vermutlich nicht viel am Konsumverhalten ändern wird. Längst nicht entschieden ist auch, dass Cannabis etwa gefährlicher wäre als Alkohol. Natürlich ist es nicht stringent, wenn Alkoholgenuss toleriert wird, Haschkonsum aber nicht. Doch weil Parlamente, die Gesetze beschließen, nicht einfach nur Recht setzen, sondern auch Signale aussenden, wäre eine Cannabis-Legalisierung am Ende doch fatal: Der Staat würde ein Rauschmittel nach Jahren der restriktiven Politik auf einmal für tolerabel erklären – und damit sagen, dass das Sich-Berauschen an sich auf einmal nicht mehr so schlimm sei.
Dabei setzt genau hier der Haupteinwand gegen die Haschisch-Freigabe an: Rauschmittel an sich sind eben nicht nur gesundheitlich gefährlich, sondern auch sozial. Gesundheitlich ist nicht bewiesen, wie die Langzeit-Folgen eines intensiven Cannabis-Konsums sein können. Es gibt unterschiedliche Studien, ihre Aussagekraft ist begrenzt. Sozial ist die gesellschaftliche Abstinenz großer Teile der Bevölkerung ein wachsendes Problem – weil immer mehr Menschen sich zurückziehen, vereinsamen oder sich in kleinen Gruppen abschotten. Dass der Alkoholismus heute womöglich weniger verbreitet ist als vor einigen Jahrzehnten, ist hier kein überzeugendes Gegenargument, denn es gibt neben Alkohol und Hasch heute andere Möglichkeiten als vor 20 Jahren, sich der Gemeinschaft zu entziehen. Das Aufrechterhalten des Cannabis-Verbots führt natürlich nicht zu mehr Miteinander in der Bundesrepublik, dazu sind nun ganz andere Schritte notwendig. Aber eine Cannabis-Freigabe würde wie eine Aufforderung klingen: Berauscht Euch, bitte! Wir brauchen aber nicht mehr, sondern weniger Ablenkung. Wir brauchen eine Politik, die Mut macht für mehr Mitwirkung in Vereinen, Verbänden und Parteien. Der Staat müsste noch deutlicher machen als bisher, dass Drogengenuss der verkehrte Weg ist. Was wir brauchen, ist mehr Hinwendung und weniger Ablenkung.