Über viele Schritte wird diskutiert, die den Lehrermangel an den Schulen bekämpfen sollen. Man kann die Lehrerausbildung straffen und verschlanken (wie es die GEW will), man kann Teilzeit-Lehrern eine Ausweitung ihrer Arbeitszeit schmackhaft machen – oder man kann ein Arbeitszeitkonto verpflichtend vorgeben. Dann würden die Lehrer jetzt mehr arbeiten und bekämen das später in mehr Freizeit abgegolten. Ein Vorschlag lautet, den Pensionären die Rückkehr in den Schuldienst finanziell verlockend zu versüßen. Die Rundblick-Redaktion streitet über diesen Weg in einem Pro und Contra.

Wir können auf die Fähigkeiten und die Leistungsstärke der Babyboomer (noch) nicht verzichten. Damit der Übergang aber gelingt, braucht es neue Berufsbiografien, die ein Ausschleichen aus dem Erwerbsleben normalisieren. Das erhält Kräfte und schafft gleichzeitig Raum für Innovation, meint Niklas Kleinwächter.
Eigentlich sollte es die Aufgabe meiner Generation sein, die Babyboomer in Rente zu schicken. Je weiter hinten im Alphabet die Buchstaben auftauchen, die eine Generation bezeichnen, desto despektierlicher scheint man sich über die „Boomer“ äußern zu müssen: Nichts haben sie verstanden, alles haben sie kaputtgemacht – insbesondere unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten. Und jetzt lassen sie uns damit auch noch allein. In den kommenden Jahren werden sich mehr als 21 Millionen Angehörige der Babyboomer-Generation, die in Deutschland zwischen 1946 und 1964 zur Welt gekommen sind, in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Dem gegenüber stehen nicht einmal 12 Millionen Mitglieder der sogenannten Generation Z, also die Kinder der Jahrgänge 1996 bis 2012, die in derselben Zeit ins Berufsleben starten.
Für die nachfolgenden Generationen bedeutet der Weggang der Älteren zum einen, dass endlich wichtige Positionen frei werden, die von den „Boomern“ angeblich über Jahre und Jahrzehnte blockiert worden sind. Ein Grund zur Freude also für all jene, die nach oben streben und die Welt in entscheidender Position verändern wollen. Gleichzeitig bedeutet diese Entwicklung aber auch, dass immer mehr wichtige Positionen nicht mehr besetzt werden können. An allen Ecken und Enden wird das Personal fehlen, die schlichte Manpower. Und es wird eine ganze Menge Wissen und Knowhow verlorengehen. Es drohen echte Wohlstandsverluste. Zudem geht auch eine Generation mit viel Erfahrung, Robustheit und Durchsetzungsstärke. Schließlich musste sich die Jugend von damals gegen doppelt so viele Konkurrenten und Mitbewerber durchsetzen wie die Jugend von heute.
Die Lücke, die sich gerade auftut, ist riesig und wird allmählich spürbar. In den Schulen fällt es uns ganz besonders auf, weshalb dort nun nachvollziehbarer Weise zuerst der Vorschlag ausformuliert wird, vielleicht doch noch länger auf die Pensionäre zurückgreifen zu wollen. In Niedersachsens Landesregierung ist man sich einig, dass man den aus dem Dienst scheidenden Lehrkräften ein Angebot machen möchte, das eine befristete und reduzierte Weiterbeschäftigung attraktiv macht. Das ist in jedem Fall ein kluger Schritt, um die sich gerade auftuende Lehrkräftelücke von mindestens zehn Jahren zu überbrücken. Eine Rolle spielt bei dieser Überlegung auch, dass demnächst ja wieder geburtenstärkere Jahrgänge an die Universitäten strömen und man so vielleicht eine Art von Gleichgewicht wieder herstellen kann. Die Pensionäre als Puffer bis es wieder passt.
Niedersachsens Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) hat aber gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass es bei etwaigen Regeländerungen um das Beamtenrecht gehen wird – und dass wir dabei deshalb nie nur über Lehrer allein reden. Ich würde deshalb an dieser Stelle noch einen Schritt weiter gehen und die Frage der Weiterbeschäftigung von Pensionären und Rentnern mit dem perspektivisch in seiner jetzigen Form bedrohten Rentensystem in Verbindung bringen und daraus eine Diskussion über „New Work“ formen: Allein schon der Begriff des „wohlverdienten Ruhestands“ löst in mir ein Störgefühl aus. Er ist das Resultat einer sozialpolitischen Wende in einer Zeit, als die Verhältnisse andere waren.
Die ursprüngliche Form der Alters-Rente sicherte zum Zeitpunkt ihrer Durchsetzung keinen neuen, von Erwerbsarbeit gänzlich freien letzten Stand – den Ruhestand. Sie sollte lediglich die geringer werdende Leistungsfähigkeit ausgleichen: Gearbeitet hat man noch, so gut man konnte. Und was man nicht mehr durch eigener Hände Arbeit erwirtschaften konnte, glich der Staat aus. Die Idee eines „wohlverdienten Ruhestands“ – zweifellos eine fabelhafte Vorstellung! – geht hierzulande aber wohl eher auf eine Zeit zurück, in der es viele junge Arbeitskräfte gab, die das Deutschland von damals lieber in Lohn und Brot haben wollte.

Bevor nun der große Aufschrei kommt: Es geht nicht primär darum, die Lebensarbeitszeit weiter und weiter auszudehnen. Wobei natürlich eine Anpassung an die Lebenserwartung und die Leistungsfähigkeit immer wieder zu verhandeln sein wird. Die Empathie für Handwerker, die mit 70 nicht mehr aufs Dach steigen sollten, oder Altenpfleger, die sich nicht selbst aus dem Bett heben können, sei hier versichert. In anderen Berufen braucht es allerdings mehr Flexibilität am Ende des Erwerbslebens.
Dazu gehört nicht nur die Option, später in den vollständigen Ruhestand zu wechseln. Sondern dazu gehören auch Modelle, die das für alle Beteiligten attraktiv machen. Es braucht Entwicklungsstufen, die sich noch stärker als heute der sich wandelnden Leistungsfähigkeit anpassen; das Simpelste ist eine schlichte Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Man muss aber auch über andere Aufgaben reden, anders gelagerte Verantwortungen.
Es muss künftig zur Normalität werden, dass die Karriereleiter nicht nur immer weiter nach oben, sondern beizeiten auch wieder etwas herunter oder zur Seite führen kann – ohne Verlust von Ansehen und Antrieb. Das heißt also, dass es normaler werden muss, dass ein Häuptling seine Krone abnimmt, noch bevor er den Stamm gänzlich verlässt. Auf das Beispiel der Schule gemünzt heißt das: Ein Schulleiter soll gerne noch länger im Dienst bleiben, aber bitte nicht als Direktor. Andernfalls bleibt das anfangs beschriebene Momentum der Modernisierung aus, was zu Frust führt und Innovation hemmt.
Das steigende Durchschnittsalter der Deutschen müsste sich, idealerweise, auch in einem wachsenden Durchschnittsalter der Erwerbstätigen widerspiegeln. So weise und richtig dieser Grundsatz ist, so falsch wäre es, ihn einfach auf die Schulen zu übertragen. Es nützt den Kindern wenig, wenn sie hauptsächlich von Senioren unterrichtet werden, meint Klaus Wallbaum.
Geld löst viele Probleme, und so könnte es durchaus erfolgversprechend sein, mit Sonderprämien für Pensionäre viele Ruheständler zur Rückkehr in den Schuldienst zu bewegen. Wie oft hört man von Klagen älterer Menschen, vor allem solcher mit akademischer Ausbildung, dass sie ohne geregelten Arbeitstag wenig mit sich anzufangen wissen. Viele suchen eine Aufgabe – und in den Schulen werden gerade jetzt viele helfende Hände gebraucht. Ist es aber richtig und sinnvoll, gerade auf diese Gruppe zu setzen?
Vermutlich nicht. Sicher, diejenigen Lehrer, die es bis zur Regel-Altersgrenze in den Schulen ausgehalten haben, zählen zu den robusten Kräften – vermutlich auch zu jenen, die leidenschaftlich gern jungen Menschen etwas beibringen. Viele von den übrigen sind häufig schon Jahre vor der Altersgrenze frühpensioniert worden. Gerade unter den Lehrern ist der Anteil derer, die vorzeitig die Segel streichen, besonders groß – ohne dass dies in der öffentlichen Diskussion viele Menschen sonderlich aufregt. Man würde also vermutlich „die guten“ Pensionäre als Rückkehrer in die Klassen bekommen, wenn man sich um sie bemüht. Aber lohnt es sich, gerade an dieser Stellschraube zu drehen und auf die Älteren zu setzen?

So sinnvoll die Pensionäre im Ehrenamt sind oder in der freien Wirtschaft, wo Erfahrung, Wissen und Kontakte weitergegeben werden – so fragwürdig ist es doch für den Unterricht in der Schule. Die Schulen sind Durchlauf-Stationen, in denen alle Jahre immer neue Gruppen junger Menschen zusammenkommen und auf das Leben vorbereitet werden. Das sind andere Bedingungen als in der Wirtschaft. In den Unternehmen spielen Spezialisierung, Netzwerkarbeit und Innovation eine entscheidende Rolle. Wettbewerbsfähigkeit hängt mit wachsender Tiefe der Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter zusammen. Das ist in der Schule anders – dort geht es weniger um vertiefte Inhalte und mehr um die Eignung, Kenntnisse möglichst gut zu vermitteln und begeistern zu können.
Die Zeiten, in denen die Lehrer „die Autoritätspersonen“ waren, sind nun lange vorbei. Wie die Gesellschaft hat sich auch der Unterrichtsalltag gewandelt. Wandel braucht wandlungsfähiges Personal. Das ideale Bild eines Lehrers ist das eines Menschen, der in der Altersstufe und im Auftreten zwischen den Eltern liegt und den Schülern selbst – also etwa 15 bis 20 Jahre älter ist als diejenigen, die er unterrichtet. Die Eltern sind dann 25 bis 35 Jahre älter als die Kinder. Damit wird der Lehrer nicht mit dem Wertekanon und den Prägungen der Eltern gleichgesetzt, bringt also idealerweise mehr Verständnis für die Sorgen, Nöte und täglichen Konflikte der Schüler auf, als es ihre in einer anderen Erfahrungswelt geprägten Väter und Mütter tun können. Zugleich ist er so viel älter als die Schüler, dass er nicht ihr „Kumpel“ ist, sondern immer noch eine Respektsperson.
Hinzu kommen noch weitere Unterschiede. Ältere Lehrkräfte sind, bei allen individuellen Eigenschaften im Charakter, häufig weniger flexibel und weniger gegenüber Neuerungen aufgeschlossen als die jüngeren. Sie sind es meistens gewohnt, ihren in vielen Jahrzehnten eingeübten und bewährten Rhythmus fortzusetzen – oft in der vermeintlichen Überzeugung, damit genau das Richtige zu tun. Es gibt aber veränderte äußere Bedingungen für den Unterricht, die mit dem Schlagwort „Digitalisierung“ beschrieben werden können.
Künftig wird es verstärkt darum gehen, den Schülern die Wege einer schnellen Wissensaneignung beizubringen und nicht das Wissen selbst. Es wird darum gehen, ihnen Ruhe und Selbstbewusstsein im Umgang mit einer täglichen Flut an neuen Daten zu vermitteln. Es wird darum gehen, ihnen kommunikatives Verhalten anzutrainieren, ohne das sie in der Arbeitswelt nicht bestehen können. Und: Lehrer müssen die Art, wie sie den Schülern gegenübertreten, ständig neu in Frage stellen und zu Änderungen ihrer Methoden bereit sein.
Sicher stimmt es: Ein geringeres Lebensalter allein garantiert noch keine stärkere Modernität und Reformbereitschaft. Es gibt verstockte 40-Jährige und höchst wandlungsfähige 65-Jährige. Trotzdem kann ein zu großer Altersabstand zwischen Lehrenden und Lernenden hinderlich sein – gerade dann, wenn die Bedingungen sich stark verändern und der Schulalltag sowieso extrem schwierig ist. Deshalb der Rat: Ohne die Alten geht vieles nicht. Ob sie in der Schule die richtigen sind, darf man indes bezweifeln.