Die SPD will nach ihrer Wahlniederlage bei der Bundestagswahl nicht erneut mit der Union koalieren – sagt zumindest der SPD-Vorsitzende Martin Schulz. „Es ist völlig klar, dass der Wählerauftrag an uns der der Opposition ist“ so Schulz. Die frisch gewählte SPD-Bundestagsabgeordnete Yasmin Fahimi sagte wiederum: „Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, über eine Große Koalition nachzudenken.“ Welcher Weg ist der Richtige? Lesen Sie dazu ein Pro und Contra von Klaus Wallbaum und Martin Brüning.

Pro & Contra: Martin Brüning (li.) und Klaus Wallbaum

 

PRO: Staatspolitische Verantwortung wiegt höher als Parteitaktik – und entspricht auch dem, was die Wähler erwarten, meint Klaus Wallbaum.

Es hat nur Sekundenbruchteile gedauert, bis nach der ersten Prognose um 18 Uhr schon die Linie der SPD feststand. „Wir gehen jetzt in die Opposition“, sagte Thomas Oppermann aus Göttingen, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Alle anderen führenden Sozialdemokraten wiederholten das bis zum späten Abend – die Linie war offenbar schon seit Tagen abgestimmt. Die Marschrichtung der SPD ist damit klar. Aber ist sie auch klug? Natürlich ist das Risiko vorhanden, dass eine SPD, die Juniorpartner in der Großen Koalition bleibt, in vier Jahren noch weiter zerrieben wird. Dass sie ihr Profil neben der übermächtigen Kanzlerin nicht schärfen kann, dass sie sich wie bisher schwertut, ein Gleichgewicht zwischen Abgrenzung zur CDU und Verteidigung der gemeinsam mit der CDU erreichten Politik zu finden. Auf der anderen Seite ist auch richtig: Mit dem Weg in die Opposition muss nicht die Erneuerung und Stärkung verbunden sein, das kann auch der Weg in die Bedeutungslosigkeit der Partei werden. Dazu später mehr.

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Zunächst ein paar Gründe dafür, dass nicht die Rolle der SPD in der Großen Koalition die Ursache für die dramatisch schlechten SPD-Ergebnisse ist. Erstens: Martin Schulz hat einen Wahlkampf „für mehr Gerechtigkeit“ gestartet – einen betont linksorientierten Wahlkampf. Dabei geht es dem klassischen SPD-Wähler gut, er konnte sich nur bedingt von den Parolen einer Partei angesprochen fühlen.

Zweitens: Liegt es vielleicht doch an den Personen, dass die Partei so schlecht abschneidet, nicht aber an der gerade aktuellen Rolle im Parlament? Es ist doch so, dass die Partei es dreimal mit drei unterschiedlichen Leitfiguren versucht hat, Merkel die Macht streitig zu machen. Übrigens auch mit unterschiedlichen Ausgangskonstellationen. 2013 schnitt die SPD mit 25,7 Prozent ziemlich schlecht ab – allerdings nicht als Folge einer Großen Koalition, sondern nach vier Jahren Schwarz-Gelb. Man hat damals viel auf den Spitzenkandidaten Peer Steinbrück geschoben. 2009 war Frank-Walter Steinmeier der Kanzlerkandidat, für sein bescheidenes Resultat gab es ganz verschiedene Erklärungen. Gestern war es nun Martin Schulz, der gegen Merkel verlor, und zwar noch schlechter. Sigmar Gabriel, der wortgewaltige und höchst polarisierende Politiker, hatte die Chance der Herausforderer-Rolle nie gehabt. Vielleicht waren ja die drei S-Politiker (Steinmeier, Steinbrück und Schulz) tatsächlich nicht diejenigen, denen die Menschen die Staatsgeschäfte eher zutrauen wollten als der Amtsinhaberin. Vielleicht wäre es mit Gabriel am Ende doch besser gelaufen.

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Drittens sprechen die Ausgangsbedingungen tatsächlich gegen die These, dass eine SPD nach weiteren vier Jahren Großer Koalition bei der Bundestagswahl 2021 ähnlich schlecht dastehen dürfte wie heute. Einiges spricht dafür, dass Merkel in vier Jahren nicht erneut als Kanzlerkandidatin der Union antreten wird. Vielleicht gibt sie das Amt schon innerhalb der jetzt beginnenden Wahlperiode ab. An wen? Ursula von der Leyen könnte es sein, auch Thomas de Maizière, vielleicht auch Julia Klöckner und ausgeschlossen sind auch Politiker wie Jens Spahn nicht. Ob der Übergang bei der Union reibungslos gelingt, darf man wohl bezweifeln. Und ob eine Ursula von der Leyen, ihren politischen Qualitäten zum Trotz, eine ähnliche Aura wie Merkel verbreiten kann, ist auch fraglich. Das wäre die Chance für die SPD – vielleicht für Andrea Nahles, vielleicht für Heiko Maas oder noch mal für Sigmar Gabriel. Richtig ist: Neben einem starken Kanzler verblassen die weiteren Personen im Kabinett, neben einem neuen Kanzler aber, der seine Rolle erst finden muss, kann die Leitfigur des Koalitionspartners an Profil gewinnen. In Österreich, wo parallel zu unserer Landtagswahl ein neues Bundesparlament gewählt wird, wird dafür gerade ein Beispiel geliefert.

In den nächsten Tagen dürften viele Kommentatoren die SPD ermahnen, einen Prozess der Selbstfindung zu beginnen – und die Positionen in der Sozial-, Finanz- und Innenpolitik zu überdenken. Viele, die das fordern, haben dabei eine neue Mehrheit im Sinn, nämlich jenes Bündnis von SPD, Grünen und Linkspartei, das ohne den Einzug der AfD in den Bundestag jetzt schon eine Option gewesen wäre. Aber ist eine derartige Linkswende wünschenswert für die SPD? Und ist sie wünschenswert für Deutschland? Anders, als im Wahlkampf vielfach verbreitet wurde, haben die vergangenen vier Jahre der Großen Koalition dem Land nicht schlecht, sondern sie haben ihm gut getan.

Die SPD könnte in der Opposition noch viel stärker aufgerieben werden als in der Regierungsverantwortung – am Ende bliebe von ihr, wie andere europäische Länder zeigen, womöglich nichts mehr übrig

Die Ränder links- und vor allem rechtsaußen haben sich lautstark artikuliert, doch sie sind in ihrer Stärke überschaubar geblieben. AfD und Linkspartei sind weit davon entfernt, das politische System in der Republik wirklich zu erschüttern – von einigen Auswüchsen in manchen ostdeutschen Regionen mal abgesehen. Der manchmal zu unspektakulär und ermüdend wirkende Kurs der Mitte, kombiniert aus Sparsamkeit, Beständigkeit und Wirtschaftsfreundlichkeit bei den Konservativen und sozialen Wohltaten bei den Sozialdemokraten, war für Deutschland nicht verkehrt – und wird es auch künftig nicht sein. Zwar fehlte bisher eine Reformpolitik, die neue Herausforderungen frühzeitig aufgreift und dafür Antworten findet – etwa bei der Digitalisierung. Aber dass Schwarz-Gelb-Grün darauf besser reagieren könnte als Schwarz-Rot, ist doch wohl nicht zu erwarten.

In einem politischen System, das im Wesentlichen von zwei großen Blöcken ausgeht – dem einen rechts der Mitte und dem anderen links der Mitte – ist es natürlich eine Idealvorstellung, dass die eine Seite regiert und die andere opponiert. Nur so können beide Lager jeweils ihre integrative Kraft erhalten, die Gefahr der Ausdifferenzierung an den jeweiligen Rändern wird geringer. Allein aus diesem Grund aber eine Große Koalition jetzt auszuschlagen, wie die SPD es gerade tut, wäre grundverkehrt – denn es muss doch zuallererst um die Frage gehen, welche Politik die beste für das Land ist. Außerdem wäre längst nicht ausgemacht, dass der Weg in die Oppositionsrolle für die SPD tatsächlich ein Segen wäre. Denn der jahrzehntelang ungelöste Konflikt, ob man eine sozialliberale und wirtschaftsfreundliche Reformpolitik will oder eine Umverteilungspolitik nach Art der Linken, würde damit nicht leichter zu lösen sein. Die SPD könnte in der Opposition noch viel stärker aufgerieben werden als in der Regierungsverantwortung – am Ende bliebe von ihr, wie andere europäische Länder zeigen, womöglich nichts mehr übrig. Dann doch lieber die Chance nutzen, die Geschicke der Bundesrepublik mitzugestalten. (kw)

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CONTRA: Die SPD zieht die richtigen Schlüsse aus dem Wahldesaster, so kann es nicht weitergehen. Es ist Zeit für die SPD, sich grundsätzlich über ihren künftigen Kurs Gedanken zu machen. Das geht nicht in einer Neuauflage der Großen Koalition, meint Martin Brüning.

Angela Merkel hat eine Qualität: sie kann kleinregieren. Das erreicht sie bei vielen Themen, aber sie schafft es auch bei ihren Koalitionspartnern. In der FDP reibt sich mancher noch heute verwundert die Augen, wie man von der Kanzlerin abseits aller selbstgemachter Fehler eiskalt abgezockt wurde. Die SPD, die fehlerfreier agiert hat und aus einer anderen Fallhöhe kam, erlebt dennoch seit Jahren einen ähnlichen Prozess. Auch eigene Erfolge wie Mindestlohn oder Frauenquote konnten ihr nicht helfen, haben eher noch die Linke stärker gemacht. Nach dem Ergebnis des gestrigen Abends kann es in Sachen Groko nur noch eine Empfehlung an die Genossen geben: Raus da!

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Für die SPD geht es in diesen Tagen nicht darum, wer welches Ministerium übernehmen könnte. Es geht um die Zukunft der Traditionspartei. Will sie in Zukunft auf Bundesebene wieder eine Volkspartei mit der Chance auf die Kanzlerschaft werden, kann es so nicht so weitergehen. Dafür braucht sie einen Erneuerungsprozess ähnlich der FDP. Es wird darum gehen müssen, einen Kandidaten aufzubauen, der durchaus Martin Schulz heißen könnte. Und die Partei muss nach Jahren des Siechtums auf der Bundesebene zu sich selbst finden. Die SPD pendelt irgendwo zwischen Volkspartei der Mitte, bürokratieverliebter Funktionärspartei und linkem Juso-Revolutions-Flügel. Das alles zusammen ergibt keine Linie und damit auch kein Ergebnis, das nur ansatzweise über die 30-Prozent-Marke führt.

Vielleicht brauchen nicht nur die SPD, sondern alle Programmparteien eine Erholung nach einer Koalition mit einer Kanzlerin, deren Programm sich tagesaktuell ändern kann. „Es ist Zeit“, stand auf den SPD-Plakaten. Die SPD braucht jetzt Zeit, um sich einmal grundsätzlich über ihren künftige Kurs Gedanken zu machen. Der liegt, im Gegensatz zu den Forderungen des linken Lagers, in der Mitte. Angela Merkel wird von zahlreichen Menschen gewählt, die sich vor zehn und mehr Jahren nicht im Traum hätten vorstellen können, ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Die SPD dagegen zerreibt sich selbst zwischen ihrem Gebaren als grüner Volkspartei auf der einen und linker Gerechtigkeitspartei auf der anderen Seite. Wer sich hier auf den Kampf mit den kleineren Originalen, Grüne und Linke, einlässt, hat den Kampf um den Status der Volkspartei schon verloren. Auch hier gilt die Empfehlung: Raus aus der linken Ecke. So bekommt Deutschland keinen SPD-Kanzler mehr.

Die SPD pendelt irgendwo zwischen Volkspartei der Mitte, bürokratieverliebter Funktionärspartei und linkem Juso-Revolutions-Flügel

Abseits der Bedeutung für die SPD hätte ein Nein zur großen Koalition auch für den Parlamentarismus einen positiven Nebeneffekt. Es gäbe wieder eine große Oppositionspartei im Bundestag. Es hat der Politik in den vergangenen Jahren nicht gut getan, dass die Opposition im Parlament eindeutig unterrepräsentiert war. Das ist nicht die Schuld der Linken und der Grünen. Beide Fraktionen waren den Regierungsfraktionen zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen. Tritt die SPD in eine große Koalition ein, erlebt die Opposition möglicherweise einen ungewollten Bedeutungsgewinn. Denn mit dem Erstarken der rechtspopulistischen AfD könnte sich ein neuer oppositioneller Wortführer herausbilden, der von der breiten Bevölkerung nicht wirklich erwünscht ist. Wenn die SPD also über ihre staatspolitische Verantwortung nach dieser Wahl nachdenkt, kann sie dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das bessere Ergebnis wäre der Verzicht auf eine Regierungsbeteiligung.

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