
Die SPD könnte in der Opposition noch viel stärker aufgerieben werden als in der Regierungsverantwortung – am Ende bliebe von ihr, wie andere europäische Länder zeigen, womöglich nichts mehr übrig
Die Ränder links- und vor allem rechtsaußen haben sich lautstark artikuliert, doch sie sind in ihrer Stärke überschaubar geblieben. AfD und Linkspartei sind weit davon entfernt, das politische System in der Republik wirklich zu erschüttern – von einigen Auswüchsen in manchen ostdeutschen Regionen mal abgesehen. Der manchmal zu unspektakulär und ermüdend wirkende Kurs der Mitte, kombiniert aus Sparsamkeit, Beständigkeit und Wirtschaftsfreundlichkeit bei den Konservativen und sozialen Wohltaten bei den Sozialdemokraten, war für Deutschland nicht verkehrt – und wird es auch künftig nicht sein. Zwar fehlte bisher eine Reformpolitik, die neue Herausforderungen frühzeitig aufgreift und dafür Antworten findet – etwa bei der Digitalisierung. Aber dass Schwarz-Gelb-Grün darauf besser reagieren könnte als Schwarz-Rot, ist doch wohl nicht zu erwarten.
In einem politischen System, das im Wesentlichen von zwei großen Blöcken ausgeht – dem einen rechts der Mitte und dem anderen links der Mitte – ist es natürlich eine Idealvorstellung, dass die eine Seite regiert und die andere opponiert. Nur so können beide Lager jeweils ihre integrative Kraft erhalten, die Gefahr der Ausdifferenzierung an den jeweiligen Rändern wird geringer. Allein aus diesem Grund aber eine Große Koalition jetzt auszuschlagen, wie die SPD es gerade tut, wäre grundverkehrt – denn es muss doch zuallererst um die Frage gehen, welche Politik die beste für das Land ist. Außerdem wäre längst nicht ausgemacht, dass der Weg in die Oppositionsrolle für die SPD tatsächlich ein Segen wäre. Denn der jahrzehntelang ungelöste Konflikt, ob man eine sozialliberale und wirtschaftsfreundliche Reformpolitik will oder eine Umverteilungspolitik nach Art der Linken, würde damit nicht leichter zu lösen sein. Die SPD könnte in der Opposition noch viel stärker aufgerieben werden als in der Regierungsverantwortung – am Ende bliebe von ihr, wie andere europäische Länder zeigen, womöglich nichts mehr übrig. Dann doch lieber die Chance nutzen, die Geschicke der Bundesrepublik mitzugestalten. (kw)
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CONTRA: Die SPD zieht die richtigen Schlüsse aus dem Wahldesaster, so kann es nicht weitergehen. Es ist Zeit für die SPD, sich grundsätzlich über ihren künftigen Kurs Gedanken zu machen. Das geht nicht in einer Neuauflage der Großen Koalition, meint Martin Brüning.
Angela Merkel hat eine Qualität: sie kann kleinregieren. Das erreicht sie bei vielen Themen, aber sie schafft es auch bei ihren Koalitionspartnern. In der FDP reibt sich mancher noch heute verwundert die Augen, wie man von der Kanzlerin abseits aller selbstgemachter Fehler eiskalt abgezockt wurde. Die SPD, die fehlerfreier agiert hat und aus einer anderen Fallhöhe kam, erlebt dennoch seit Jahren einen ähnlichen Prozess. Auch eigene Erfolge wie Mindestlohn oder Frauenquote konnten ihr nicht helfen, haben eher noch die Linke stärker gemacht. Nach dem Ergebnis des gestrigen Abends kann es in Sachen Groko nur noch eine Empfehlung an die Genossen geben: Raus da!
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Für die SPD geht es in diesen Tagen nicht darum, wer welches Ministerium übernehmen könnte. Es geht um die Zukunft der Traditionspartei. Will sie in Zukunft auf Bundesebene wieder eine Volkspartei mit der Chance auf die Kanzlerschaft werden, kann es so nicht so weitergehen. Dafür braucht sie einen Erneuerungsprozess ähnlich der FDP. Es wird darum gehen müssen, einen Kandidaten aufzubauen, der durchaus Martin Schulz heißen könnte. Und die Partei muss nach Jahren des Siechtums auf der Bundesebene zu sich selbst finden. Die SPD pendelt irgendwo zwischen Volkspartei der Mitte, bürokratieverliebter Funktionärspartei und linkem Juso-Revolutions-Flügel. Das alles zusammen ergibt keine Linie und damit auch kein Ergebnis, das nur ansatzweise über die 30-Prozent-Marke führt.
Vielleicht brauchen nicht nur die SPD, sondern alle Programmparteien eine Erholung nach einer Koalition mit einer Kanzlerin, deren Programm sich tagesaktuell ändern kann. „Es ist Zeit“, stand auf den SPD-Plakaten. Die SPD braucht jetzt Zeit, um sich einmal grundsätzlich über ihren künftige Kurs Gedanken zu machen. Der liegt, im Gegensatz zu den Forderungen des linken Lagers, in der Mitte. Angela Merkel wird von zahlreichen Menschen gewählt, die sich vor zehn und mehr Jahren nicht im Traum hätten vorstellen können, ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Die SPD dagegen zerreibt sich selbst zwischen ihrem Gebaren als grüner Volkspartei auf der einen und linker Gerechtigkeitspartei auf der anderen Seite. Wer sich hier auf den Kampf mit den kleineren Originalen, Grüne und Linke, einlässt, hat den Kampf um den Status der Volkspartei schon verloren. Auch hier gilt die Empfehlung: Raus aus der linken Ecke. So bekommt Deutschland keinen SPD-Kanzler mehr.
Die SPD pendelt irgendwo zwischen Volkspartei der Mitte, bürokratieverliebter Funktionärspartei und linkem Juso-Revolutions-Flügel
Abseits der Bedeutung für die SPD hätte ein Nein zur großen Koalition auch für den Parlamentarismus einen positiven Nebeneffekt. Es gäbe wieder eine große Oppositionspartei im Bundestag. Es hat der Politik in den vergangenen Jahren nicht gut getan, dass die Opposition im Parlament eindeutig unterrepräsentiert war. Das ist nicht die Schuld der Linken und der Grünen. Beide Fraktionen waren den Regierungsfraktionen zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen. Tritt die SPD in eine große Koalition ein, erlebt die Opposition möglicherweise einen ungewollten Bedeutungsgewinn. Denn mit dem Erstarken der rechtspopulistischen AfD könnte sich ein neuer oppositioneller Wortführer herausbilden, der von der breiten Bevölkerung nicht wirklich erwünscht ist. Wenn die SPD also über ihre staatspolitische Verantwortung nach dieser Wahl nachdenkt, kann sie dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das bessere Ergebnis wäre der Verzicht auf eine Regierungsbeteiligung.
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