
In den USA dürfen die Präsidenten zwei Amtsperioden amtieren, also acht Jahre. Danach ist Schluss. Nur im Zweiten Weltkrieg gab es für Franklin D. Roosevelt eine Ausnahme. Brauchen wir auch in Deutschland ein gesetzlich fixiertes Maximum für die Amtszeit von Regierungschefs? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.
PRO: Ein Ministerpräsident muss nicht so stark eingehegt werden wie der US-Präsident, dessen Amtszeit auf zweimal vier Jahre begrenzt ist. Ewige Regierungschefs blockieren aber auch hierzulande neue Ideen und bremsen Partei und Parlament aus, meint Niklas Kleinwächter.
Wenn man in Niedersachen über eine mögliche Amtszeitbegrenzung diskutieren will, ist jetzt wohl der richtige Zeitpunkt dafür. Die Erfahrungen von 16 Jahren Angela Merkel sind noch ganz frisch, die Bewertung der Bilanz ist noch im Werden. Und hier im Land startet Stephan Weil nun in die dritte Amtszeit, die seine letzte sein soll. Am Ende werden es dann mehr als 14 Jahre gewesen sein, die Stephan Weil Niedersachsens Regierung geführt hat – sofern er die volle Amtszeit durchzieht und die Koalition fünf Jahre hält, woran man derzeit nicht zweifeln muss. 14 Jahre, also Adenauer-Niveau! Fällt man jetzt ein Urteil zu einer möglichen Amtszeitbegrenzung für Regierungschefs, steht man also nicht im Verdacht, bei einem Pro dem einen oder der anderen den nächsten Wahlsieg zu missgönnen. Personalfragen spielen maximal noch retrospektiv eine Rolle. Beim Blick nach vorn argumentieren wir rein hypothetisch. Eine gute Gelegenheit also, um Spielregeln zu ändern.

Zunächst ein Blick zurück: In Niedersachsens Staatskanzlei sind seit 1947 insgesamt elf verschiedene Regierungschefs eingezogen, einer davon zweimal: Hinrich Wilhelm Kopf (SPD). Fünf von ihnen hatten mindestens drei Amtszeiten (allerdings nicht alle in der vollen Länge). Die bislang längste Regierungsphase war die von Ernst Albrecht (CDU), der von 1976 bis 1990 Ministerpräsident war. Die kürzeste hatte Gerhard Glogowski (SPD), der nur von Oktober 1998 bis Dezember 1999 in der Planckstraße seinen Dienstsitz hatte. Insgesamt lässt sich also vermuten – auch beim Blick aufs Kanzleramt –, dass die Bürger in Niedersachsen und der restlichen Republik Beständigkeit gutheißen. Wenn jemand das Land gut führt, kann er ruhig eine Weile bleiben. Die Bürger mögen den Landesvater, der sie durch schwierige Zeiten führt und am besten sonst eher unbehelligt lässt. Von ihnen ist selten der Wunsch nach Veränderung zu erwarten, auch weil sie selten die Alternativen kennen. Wollte man mehr Wechsel in der Führungsetage, sollte man dies also in die Verfassung schreiben und nicht zu lange auf die Wähler warten.
Warum aber ist es nicht gut, wenn eine einzelne Person für einen so langen Zeitraum die zentrale Machtstellung im Land innehat? Losgelöst von historischen Beispielen aus Niedersachsen kommt einem hier die Argumentation der Vereinigten Staaten in den Sinn. Als Instrument, um Despotismus zu verhindern, kann es sinnvoll sein, die Amtszeit einer Einzelperson, die viele Rechte auf sich vereint, zu begrenzen. Die Hoffnung auf Schutz vor vermeintlich schlechten Führern kam bei der Wahl Donald Trumps zur Geltung. Kurz nach seiner Wahl 2016, die den liberalen Westen halbwegs erschüttert hatte, gab es eine mutmachende Argumentation: Erstmal nur vier Jahre, höchstens aber acht – und dann ist Schluss. So lange müssen die Institutionen seine Angriffe aushalten und gegensteuern. Das war freilich schwierig genug. Aber man stelle sich vor, Trump hätte 16 Jahre lang regiert. Was wäre dann wohl passiert?
Es ist anzunehmen: Je länger ein Regierungschef im Amt ist, desto stärker neigt er zur Exekutive und verlässt das Feld der Legislative, entfernt sich also vom Landtag.
Nun ließe sich einwenden: Niedersachsen und die Vereinigten Staaten sind doch recht unterschiedlich, die Machtbefugnisse eines Ministerpräsidenten sind bei weitem nicht so umfassend wie die eines US-Präsidenten. Die Landesverfassung hegt die Befugnisse des Ministerpräsidenten auch so schon ausreichend gut ein. Dennoch kann auch ein Regierungschef, je länger er im Amt ist, das Land und dessen Verwaltungsstruktur nach seinen Vorstellungen formen. Eine Begrenzung der Amtszeit kann hier bremsen, falls jemand nach zu viel streben sollte. Zudem ist anzunehmen: Je länger ein Regierungschef im Amt ist, desto stärker neigt er zur Exekutive und verlässt das Feld der Legislative, entfernt sich also vom Landtag. Dabei setzt unser System (viel stärker als in den USA) gerade auf diese Verschränkung der Gewalten; in der Regel kommen Regierungschef und Minister aus den Reihen des Parlaments – und das aus gutem Grund und guter Tradition. Ist dem Ministerpräsidenten irgendwann aber die Ministerialbürokratie näher als der Plenarbetrieb, wird rasch aus dem Gestaltungsanspruch ein Verwaltungsanspruch.
Darüber hinaus kann eine derartige Begrenzung, wenn sie in der Verfassung festgeschrieben wird, auch einem tatsächlichen unliebsamen Trend entgegenwirken. Seit längerem schon beobachtet man in deutschen Wahlkämpfen eine zunehmende „Amerikanisierung“, die sich nicht zuletzt durch einen Fokus auf die Spitzenpolitiker ausdrückt. Eindrucksvoll gezeigt hat das jüngst die SPD hier in Niedersachsen, die im Grunde nur mit dem Amtsinhaber geworben hat. Aber auch die CDU unter Angela Merkel hat spätestens zur Hälfte ihrer Amtszeit voll auf die populäre Kanzlerin gesetzt. „Sie kennen mich“, sagte sie. „Das Land in guten Händen“, sagte er. Beide haben sich als krisenfeste Führungsfiguren bewiesen und wurden vom Wahlkampfteam, das um die psychologischen Effekte wusste, genauso inszeniert. Aber wofür stehen beide und vor allem ihre Parteien darüber hinaus? Eine inhaltliche Entkernung wurde vor allem der Union in der Regierungszeit von Merkel immer wieder vorgeworfen. Bei ihrem Vorvorgänger Helmut Kohl war es der Reformstau. Das entscheidende Motiv bei beiden war der Machterhalt, das Vehikel die Krisenbewältigung. Parteitage und deren Beschlüsse spielten keine Rolle mehr – die Kanzlerin tat sie allzu schnell mit Verweis auf die Koalitionszwänge ab.
Die übermächtigen Parteigranden in Regierungsverantwortung schwächen jedoch ihre Parteien als Organe der politischen Willensbildung und das schwächt den demokratischen Wettbewerb der besten Ideen. Wären die Überfiguren nicht mehr da gewesen, um als Zugpferd im Wahlkampf herzuhalten, hätten sich die Parteien inhaltlich stärker positionieren müssen – und sie hätten es auch nur so schaffen können. Neue Köpfe bringen neue Ideen. Das geht nur, wenn die Altvorderen beizeiten auch mal den Platz freimachen müssen.
CONTRA: Starre Regeln sind meistens gut gemeint – reiben sich in der Praxis dann aber oft an den aktuellen Umständen. So ist es auch mit einer Amtszeitbegrenzung. So sinnvoll dieser Vorschlag in der Theorie erscheint, so unangemessen kann er in einer aktuellen Situation sein, meint Klaus Wallbaum.
Eines sei an dieser Stelle vorausgeschickt: Jeder Politiker, jede Administration verliert nach einer gewissen Zeit die gestaltende und innovative Kraft. Das liegt vermutlich an dem Umstand, dass riesige Organisationen wie staatliche Verwaltungen einen natürlichen Trend dazu haben, in Routine zu erstarren und jede Erneuerung abzuwehren. So lange eine politische Führung noch neu und voller Tatendrang ist, kann sie diesen Trend noch bekämpfen oder streckenweise sogar umkehren. Je länger aber die politische Spitze agiert, desto stärker wird sie von den Beharrungskräften des großen Apparates erfasst – oder sogar erdrückt. Desto mehr erlahmen auch die Widerstände gegen diese Entwicklung. Deshalb sind politische Wechsel so sinnvoll, deshalb bieten auch Demokratien mit freien Wahlen die beste Gewähr für die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels.

Die Frage ist also nicht, ob politische Machtwechsel erstrebenswert sind – sie sind es auf jeden Fall, wenigstens nach längeren Perioden einer politischen Färbung. Die Frage ist vielmehr, ob man einen solchen Wechsel gesetzlich vorschreiben sollte, ob er also nicht nur ein moralischer Appell an die Parteien sein soll, sondern eine rechtliche Vorgabe. Die Antwort darauf lautet: Nein. Es ist sicher richtig und angemessen, für das Handeln der Politiker Verfassungsgrundsätze festzuschreiben. Das betrifft die Grundrechte und Staatsziele ebenso wie die Achtung vor den Regeln des Rechtsstaates. Das oft als umständlich empfundene Verfahren der Gesetzgebung und Beratung im Landtag sichert die Legitimität der demokratischen Entscheidungen. So sinnvoll all diese Vorgaben sind, so fragwürdig sind doch einige andere, die im Laufe der Jahre in das Grundgesetz und in die Verfassungen der Länder geschrieben worden sind. Die Staatsziele Arbeit und Wohnen etwa können die Politik überfordern – denn es ist nicht die ureigene Aufgabe der Politik, den Menschen Arbeitsplätze oder Unterkünfte zu schaffen. Die Politik muss nur die Bedingungen dafür schaffen. Ein ähnliches Beispiel ist die Schuldenbremse, die in der Praxis wie ein Neuverschuldungsverbot wirken soll. So sinnvoll es auch ist, die absolute Sparsamkeit als Messlatte politischen Handelns festzulegen, so fragwürdig bleibt doch, ob ein juristisches Verbot nicht die Möglichkeiten der Politik zu sehr eingrenzt. Man kann aber auch entgegnen: Hätten wir die Schuldenbremse nicht, dann würde der Verstoß gegen ihre Prinzipien den Politikern kein schlechtes Gewissen bereiten – und das wäre nicht gut.
Nun fällt es schwerer, eine maximale Amtsdauer von Ministerpräsidenten in die Landesverfassung zu schreiben, die – wie bei der Schuldenbremse – mit Ausnahmen versehen ist. Maximum wäre Maximum, da dürfte kein Weg dran vorbeiführen. Nun stelle man sich vor, eine regierende Partei schafft es mangels Bewerber oder mangels Einigkeit nicht, einen Nachfolgekandidaten aufzustellen. Müsste man sie dann trotzdem zwingen, die altbewährte Spitzenperson wegen Überschreitens der Amtszeit auszutauschen? Wenn das alles in einem krisenhaften Umfeld geschähe, in der die Aura des Regierungschefs dringend gebraucht wird, um das Land zu einen und den Menschen Hoffnung zu geben, muss er sich dann trotzdem wegen der formalen Kriterien zurückziehen?
"Eine Obergrenze sollte gelten, moralisch und politisch. Rechtlich festschreiben darf man sie aber nicht."
Heute kann es anders als früher bei Wahlen schnell passieren, dass auch Parteien mit fragwürdigem Demokratieverständnis stark abschneiden. Wenn das einzige Gegenmittel wäre, einen populären Amtsinhaber zum Weitermachen zu ermuntern, dann sollte das möglich sein – ohne dass die Verfassung das untersagt. An dieser Stelle sei nun ausdrücklich hinzugefügt: Für die zurückliegende Landtagswahl gelten alle diese Argumente nicht, sie fand zwar im Umfeld einer internationalen Krisenstimmung statt, aber das Land selbst hat sich keineswegs in einer Krise ihrer Institutionen befunden.
Trotzdem bleibt es dabei: Regelmäßige Amtswechsel sind sinnvoll, nach zehn Jahren ist meistens auch die Luft raus bei den Amtsinhabern. Eine Obergrenze sollte gelten, moralisch und politisch. Rechtlich festschreiben darf man sie aber nicht.