Pro & Contra: Brauchen wir das staatliche Tierwohl-Label?
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt plant ein staatliches Tierwohllabel. Damit soll Fleisch von Tieren gekennzeichnet werden können, deren Haltungsbedingungen über dem gesetzlichen Standard liegen. Brauchen wir das staatliche Label? Ein Pro & Contra von Klaus Wallbaum und Martin Brüning.
PRO: Die Verbraucher sind bereit, mehr Geld für Fleisch auszugeben – wenn die Tiere dafür tierschutzgerechter gehalten werden. Also sollte man diesen Trend unterstützen, meint Klaus Wallbaum:
Man kann das Tierwohl-Label, für das Bundesagrarminister Christian Schmidt geworben hat, als großen Fortschritt werten – wieder eine Entscheidung, die den Tierschutz fördern soll. Die Frage ist aber, warum die Politik nicht gleich viel entschlossener handelt. Was bringt eine freiwillige Kennzeichnung, die sich am Ende womöglich nur in begrenzten Kreisen durchsetzt? Da hat Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer Recht, der eine einheitliche und verpflichtende Kennzeichnung für alle tierischen Produkte im Handel fordert. So etwas hätte einen amtlichen Charakter – und dies würde den Verbrauchern wertvolle Hinweise geben, wie die Tiere gehalten wurden, deren Fleisch im Handel angeboten wird.
Ist das überhaupt notwendig, regelt nicht der Preis diese Frage? Richtig ist: Fleisch wird teurer, wenn die Tiere artgerechter gehalten wurden, wenn die Schweine mehr Platz in ihren Ställen haben, wenn das Beschneiden der Ringelschwänze nicht mehr stattfindet. Das alles heißt: Mehr Aufwand, mehr Betreuung, mehr Rücksicht auf die Tiere. Manche vermuten, im Zweifel würden die Verbraucher doch zu den günstigeren Fleischprodukten greifen. Sie würden sich zwar in Umfragen gern zu mehr Tierschutz bekennen, im Supermarkt und an der Fleischtheke dann aber doch Sparsamkeit walten lassen – weil sie eben doch egoistischer sind als sie bereit sind, zuzugeben. Die These ist gewagt und auch falsch, denn tatsächlich kaufen die Menschen heute doch Fleisch vor allem deshalb lieber günstig ein, weil sie nicht genügend Hinweise auf die Herkunft und Haltungsbedingungen bekommen. Es gibt viele Labels auf den Verpackungen, doch sie verwirren mehr als sie aufklären. In einem liegt Meyer richtig: Eine weitere Kennzeichnung, freiwillig vereinbart, ist eher geeignet, die Unübersichtlichkeit noch zu steigern. Ein einziges amtliches Siegel hingegen schafft Klarheit.
Diese einheitliche Kennzeichnung auf allen Fleischprodukten, verpflichtend in einem Gesetz für alles festgelegt, das in Deutschland zum Verkauf angeboten wird, könnte tatsächlich einen Wandel im Kaufverhalten bewirken. Wenn die Verbraucher mit einem Blick erkennen und abschätzen können, ob die Tiere angemessen leben konnten, bevor sie in den Schlachthof kamen, sind sie womöglich auch bereit, höhere Preise zu bezahlen. Wahr ist nämlich auch: Die Absicht der Menschen, sich als Konsumenten umwelt- und naturbewusster zu verhalten, steht auf der einen Seite. Auf der anderen braucht es oft einen Anstupser, damit sie auch tatsächlich entsprechend handeln. Der höhere Preis ist abschreckend, ja, aber dies muss nicht das entscheidende Kriterium beim Einkauf sein.
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Aber was ist mit dem Hinweis, dass solche verpflichtenden Hinweise auch einen Hauch von Protektionismus in sich tragen, weil sie bessere Haltungsbedingungen, die hierzulande herrschen, zum Maßstab machen? Es kann gut sein, dass dann im Ausland unter schlechteren Verhältnissen produziertes Fleisch, das wegen Verstößen gegen Tierschutz diesen Label nicht erhält, im Wettbewerb nicht mehr so gute Chancen hat. Man muss darin aber keinen Rückfall in die Nationalstaatlichkeit sehen, denn auch im EU-Binnenmarkt hat es immer wieder Ausnahmen gegeben, besondere Kennzeichnungen, mit denen nationale Agrarprodukte in bestimmten Ländern als beispielhaft herausgestellt wurden. Und schließlich geht es hier nicht um die Bevorzugung eines bestimmten regionalen Marktes, sondern um ein hohes, jahrzehntelang vernachlässigtes Anliegen: die Berücksichtigung des Tierschutzes in der Landwirtschaft, vor allem in der gerade in Niedersachsen vorherrschenden Massentierhaltung.
Bleibt zu hoffen, dass der Vorstoß von Minister Meyer nicht auf sein Klientel begrenzt bleibt. In allen Parteien, auch in der stark von Landwirten geprägten CDU, gibt es mittlerweile ein Umdenken. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass Tiere in industriellen Anlagen misshandelt werden. Sie haben ein Recht auf ein würdevolles Leben, auch wenn der Mensch ihr Leben bei Erreichen der Schlachtreife beendet. Die Agrarpolitiker sollten parteiübergreifend mehr Mut aufbringen und dafür endlich entschlossene Weichen stellen. Das ist keine Frage der Ideologie.
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CONTRA: Das Siegel ist nichts anderes als eine neue Form des Ablasshandels und dient eher dem Verbraucherwohl. Wir labeln uns aus der Verantwortung, meint Martin Brüning.
„Sie brachte uns bei, dass Tiere, die größer sind als wir, sehr gut für uns sind, Tiere, die kleiner sind als wir, auch gut für uns sind, dann kommen Fische (die keine Tiere sind), dann Thunfisch (der kein Fisch ist), dann Gemüse, Obst, Kuchen, Kekse und Limonade. Kein Nahrungsmittel schadet. Fette sind gesund – alle Fette, immer, in jeder Menge. Zucker ist sehr gesund. Je dicker ein Kind, umso gesünder – vor allem, wenn es ein Junge ist.“ So beschreibt der Autor Jonathan Safran Foer in seinem Buch „Tiere essen“ die Ernährungsprinzipien seiner Großmutter. Er selbst plädiert dafür, die ethischen Hintergründe der Ernährung nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Prinzipien von Foers Großmutter dürften heute bei den meisten nicht mehr gelten, nicht einmal mehr bei Großmüttern. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob wir in Sachen Ernährung überhaupt noch Prinzipien leben oder nur in einer medialen Öffentlichkeit über sie diskutieren. Die lautstark geführten Debatten über eine gesunde oder auch ethisch korrekte Ernährung stehen im krassen Gegensatz zu unseren wirklichen Ernährungsgewohnheiten. Inzwischen greifen 41 Prozent gerne zur Tiefkühlpizza oder zur Tütensuppe, bei den Unter 30-Jährigen ist es sogar mehr als die Hälfte. Im Jahr zuvor waren es noch 32 Prozent. Wir reden gerne über gesunde Ernährung und Tierschutz und stehen nach Feierabend doch am Tiefkühlregal und vergleichen die Preise.
Der Verbraucher hat es bereits heute in der Hand, und es ist vielleicht unbequem aber dennoch richtig, ihn einmal mehr an die eigene Verantwortung zu erinnern. Wer in diesen Tagen die Werbebeilagen der Supermärkte durchschaut, der findet Schweinenacken für 2,49 Euro pro Kilo oder 500 Gramm Schweinehack für 1,49 Euro. Wieviel Tierschutz ist in diesem Preis wohl inbegriffen? Mehr Tierwohl kostet Geld. Was hindert uns daran, bereits heute weniger Fleisch zu kaufen und dafür etwas mehr zu bezahlen?
Für mehr Tierschutz in Deutschland bräuchte es kein Tierschutzlabel. Das Siegel ist nichts anderes als eine neue Form des Ablasshandels und dient eher dem Verbraucherwohl. Wir labeln uns aus der Verantwortung. Und während die Verpackungen der Produkte aus Umweltschutzgründen eigentlich immer kleiner werden müssten, sollen immer mehr Informationen auf diese Verpackungen gedruckt werden. Detaillierte Kennzeichnungen, Lebensmittelampel, Fairtrade-Siegel und nun vielleicht auch noch ein Tierschutzlabel. Wer den gesunden Menschenverstand an der Supermarkttür abgibt, wird mit Produktinformationen nicht unter 2000 Zeichen bestraft. Es liegt nur an uns.
Wir sind für Elektroautos, aber kaufen Sie nicht. Wir mäkeln über teuren Strom, wechseln aber in den seltensten Fällen den Anbieter. Wir sind für mehr Klimaschutz und fliegen im Sommer in entfernte Länder oder fahren mit dem neuen SUV in den Skiurlaub. Wir sind für mehr Tierschutz, aber kaufen auf die Schnelle die Pizza Salami oder Prosciutto – soll da in Zukunft auch das Tierschutz-Siegel drauf? Wenn wir Verbraucher ehrlich wären, bräuchten wir keine Scheindebatten über Tierschutzlabel. Wir würden mit unserem Konsumverhalten einfach die Richtung vorgeben. Unsere Schwäche soll die Politik mit starker Hand ausgleichen.
Angeblich sind zwei Drittel bereit, für mehr Tierschutz auch mehr zu bezahlen. Bezahlen Sie schon heute mehr im Supermarkt, lassen Sie das Fleisch-Schnäppchen im Regal liegen. Reden Sie nicht über ethisch korrekte Ernährung und neue Label. Handeln Sie ethisch korrekt. Jetzt.