5. Okt. 2020 · 
Inneres

Pistorius und Reimann drohen mit Ausgangssperren

Die Landesregierung hat den 45 Landkreisen und kreisfreien Städten in Niedersachsen jetzt einen Leitfaden an die Hand gegeben, der Tipps für den Fall einer steigenden Corona-Infektion vorsieht. Der wesentliche Inhalt sind die beiden Stufen, die auch bundesweit festgelegt sind: Wenn im Gebiet des Kreises oder der kreisfreien Stadt die Zahl der Neuinfektionen innerhalb einer Woche auf mehr als 35 je 100.000 Einwohner steigt, müssen verschärfte Schutzvorkehrungen gelten – das geht über das Verbot von Veranstaltungen bis hin zu strengeren Abstandsregeln. Zuständig bleibt dann aber auf jeden Fall der jeweilige Landrat oder Oberbürgermeister. [caption id="attachment_54028" align="alignnone" width="780"] Ausgangssperren oder Gruppenquarantäne sind möglich, sollten aber "so schonend wie möglich" eingesetzt werden, erklärten Sozialministerin Reimann und Innenminister Pistorius. - Foto: kw[/caption] Sollte die Zahl auf 50 je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen anwachsen, so ist eine „intensive Begleitung der Ortsebene“ vorgesehen, das Land könnte bestimmte Einschränkungen auch vorgeben. Wie Innenminister Boris Pistorius erklärte, könnten dazu auch Ausgangssperren oder Gruppenquarantäne zählen. Das Konzept sieht nicht vor, dass bei einer solchen Eskalation die Zuständigkeit von den Kommunen zum Land wechselt – allerdings ist eine stärkere Einflussnahme des Landes möglich.

Reimann: Grundrechtseingriffe "so schonend wie möglich"

Die Erwähnung der Begriffe „Ausgangssperre“ und „Gruppenquarantäne“ sind für Niedersachsen neu. Bisher sind sie in den Landes-Corona-Verordnungen auch noch nicht verankert gewesen. In anderen Länder etwa in Süd- und Ostdeutschland hingegen hatte es zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr tatsächlich faktische Ausgangssperren gegeben, ebenso in Südeuropa.
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Diese schreiben vor, dass die Menschen das Haus nicht mehr verlassen dürfen, es sei denn, sie können einen triftigen Grund vorweisen. Mit „Gruppenquarantäne“ ist die Anweisung gemeint, bestimmte Hausbewohner oder Belegschaften von Betrieben zwangsweise zu einer vorübergehenden Präsenzpflicht in ihren Wohnungen zu verpflichten. Die Landes-Corona-Verordnung erlaubt es den Kommunen, bei Bedarf die landesweiten Anweisungen zu verschärfen. Wie Pistorius betonte, gestatteten also die Landesverordnung und das Infektionsschutzgesetz des Bundes eine Verstärkung der Vorgaben und Verbote, die dann jeweils der Landrat oder Oberkreisdirektor aussprechen muss. https://www.youtube.com/watch?v=XcXre6T1T4I Sozialministerin Carola Reimann ergänzte, die Landesregierung gebe überdies den Rat an die Kommunen, die Eingriffe in die Grundrechte „so schonend wie möglich“ vorzunehmen. Als positives Beispiel nannte sie den Kreis Vechta, der Einschränkungen auf den Infektionsherd in Löningen begrenzte. Auch über negative Beispiele wird gesprochen, so war im Kreis Friesland gleich das ganze Kreisgebiet von Auflagen (etwa zum Schulunterricht) betroffen.

FDP kritisiert Begrenzungen bei Privatfeiern

FDP-Landtagsfraktionschef Stefan Birkner sieht die geplanten Corona-Regelung der Landesregierung, Feiern in Privaträumen auf 25 Teilnehmer zu begrenzen, äußerst kritisch. Zum einen wird es seiner Meinung nach keine flächendecken Durchsetzung geben können, das halte er für illusorisch, sagte er. Zum anderen warnte Birkner vor „unschönen Situationen“. Es werde Feiern geben, bei denen plötzlich „die Polizei mit größerem Kräfteeinsatz auf der Matte“ stehe.  Er wundere sich darüber, dass Ministerpräsident Stephan Weil und Innenminister Boris Pistorius aufmerksame Nachbarn in diesem Zusammenhang ausdrücklich gelobt hätten. „Ich finde es manchmal beängstigend, da kommen nicht nur gute Züge zum Vorschein.“ [caption id="attachment_54027" align="alignnone" width="780"] Findet die Vorstellung, Nachbarn überwachten sich gegenseitig, unschön: FDP-Chef Stefan Birkner - Foto: MB.[/caption] Mit der Beschränkung der Personenzahl in privaten Wohnungen werde in der Verordnung eine neue Dimension erreicht, meinte Birkner. Es seien große Zweifel angebracht, ob diese Regelung rechtmäßig sei. Wegen der fehlenden Begründung in der Verordnung könnten Gerichte Abwägungen der Landesregierung nur schwer nachvollziehen und verstehen, aber auch die Adressaten der Verordnung wüssten nicht genau, was das eigentlich bedeute. „Inzwischen ist das nicht mehr erklärbar und hinnehmbar“, sagte Birkner.
Die Landesregierung muss endlich zu einer parlamentarischen Legitimation kommen.
Weiterhin unzufrieden ist die FDP auch mit der Beteiligung des Landtags. Es sei ein „Armutszeugnis“, was sich dazu im Parlament abspiele. „Die Landesregierung muss endlich zu einer parlamentarischen Legitimation kommen“, meint Birkner und sprach von einer „einmaligen Entparlamentarisierung der Rechtssetzung“. Es gebe weitreichende Regelungen auf Grundlage einer pauschalen Generalklausel. Er werfe der Landesregierung keinen Missbrauch vor, betonte der FDP-Fraktionsvorsitzende, habe aber die große Sorge, „dass sich die großen Achsen verschieben und man sich daran gewöhnt, dass Rechtssetzung durch die Landesregierung vollzogen wird“. Damit würden die Grundlagen des Parlamentarismus schleichend ausgehöhlt.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #176.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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