Pistorius rüstet Hilfsorganisationen für den Katastrophenfall
Ein neuer Beirat, einheitliche Ausrüstung und eine klarere Aufgabenverteilung der Hilfsorganisation im Ernstfall: Innenminister Boris Pistorius hat am Donnerstag ein überarbeitetes Katastrophenschutzprogramm vorgestellt. Es zeigt: Die Landesregierung hat bei vergangenen Ernstfällen hingeschaut.
Katastrophenschutz – bei diesem Stichwort kommen erst einmal Bilder von Unfällen in Atomkraftwerken, Großbränden, Überflutungen oder Zugentgleisungen ins Gedächtnis. Doch Katastrophen nach heutigem Maßstab sind viel weiter zu fassen. Die Flüchtlingskrise, der Terror in Europa oder die zunehmende Gefahr durch Cyberattacken auf überlebenswichtige Infrastruktur – diese Szenarien spielten vor ein paar Jahren noch im Katastrophenschutz kaum eine Rolle. „Doch jetzt machen sie deutlich, wie wichtig eine Struktur im Katastrophenschutz ist“, sagt Innenminister Pistorius.
Er lobte, Niedersachsen sei eins der wenigen Länder, das auch im Ernstfall auf eine feste Basis freiwilliger Helfer zurückgreifen könne. Doch es fehlt der Überbau. Was, wenn mehrere Einheiten der Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz oder der Johanniter aus verschiedenen Landkreisen zusammengezogen werden müssen, etwa um tagelang Flüchtlinge erstzuversorgen? Dafür hatten die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfer bisher weder die Ausrüstung noch die Strategie. Das soll sich nun ändern. Pistorius hat den Erlass zur Gliederung und Sollstärke der Einheiten des Katastrophenschutzes dahingehend geändert, dass nun auch für große Szenarien mit vielen Opfern genau festgelegt ist, wie die Organisationen reagieren müssen.
Die kleinste Einheit ist der Einsatzzug Sanität und Betreuung. 31 Einsatzkräfte rücken mit vier Fahrzeugen an und können 25 Verletzte oder bis zu 250 unverletzte Menschen über 24 Stunden betreuen. Ereignet sich ein größeres Unglück, so können zwei dieser Einsatzzüge mit einer Führungsgruppe zusammengezogen werden. Neu geschaffen wurden die Einheiten „Behandlungsplatz 50“ und „Betreuungsplatz „500“. Bei ersterer können 81 Sanitäter, Ärzte und Helfer 50 Verletzte pro Stunde versorgen. Der „Betreuungssplatz 500“ dagegen ist eine Reaktion auf die Flüchtlingskrise, er kommt dann zum Einsatz, wenn bis zu 500 Menschen bis zu 48 Stunden betreut werden müssen.
Voraussetzung dafür ist eine einheitliche Technik. Die soll in den kommenden Jahren Schritt für Schritt umgerüstet werden. Das betrifft vor allem die Einsatzfahrzeuge. Rund 2,5 Millionen stellt das Land dafür jährlich zur Verfügung. 6 Millionen Euro hat der Aufbau der neuen „Behandlungsplätze“ mit Materialien und Technik bereits gekostet. „Der Großteil floss in die Anschaffung der Materialien, wie zum Beispiel 3000 winterfesten Zelte und Zeltheizungen“, sagt Mirko Temmler, Referatsteilleiter Katastrophenschutz. Denn bei der Flüchtlingskrise habe man gemerkt, dass die vorhandenen Zelte des Katastrophenschutzes überhaupt nicht für eine tagelange Unterbringung bei kalten Temperaturen geeignet seien.
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Der CDU-Landtagsabgeordnete Rainer Fredermann vermisst in der Neuordnung des Katastrophenschutzes bisher aber die andere Akteure wie Feuerwehr, Bundeswehr und Technisches Hilfswerk (THW). „Ein Konzept für den Katastrophenschutz muss alle Beteiligte berücksichtigen und nicht ausschließlich die Hilfsorganisationen“, kritisiert er. Doch das könnte sich bald ändern. Am 21. Juni hat der neu gegründete Landesbeirat Katastrophenschutz Niedersachsen seine Arbeit aufgenommen. Dort sind neben den Hilfsorganisationen auch die Polizei, die Feuerwehr, die Bundeswehr, das THW und die kommunalen Interessenverbände vertreten. Der Beirat soll das Innenministerium künftig bei der Ausgestaltung des Katastrophenschutzes beraten.