24. Apr. 2018 · Kommentar

Pistorius, Nacke und Schünemann können das Eis in der Großen Koalition brechen

Darum geht es: SPD und CDU ringen teilweise hart in der Sache, in manchen Streitpunkten sind kaum Fortschritte zu erkennen, in anderen kommt man nur sehr langsam voran. Nun könnte ein Dammbruch bevorstehen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum. Es gibt Beispiele dafür, wie schlecht die Zusammenarbeit in der Großen Koalition läuft, wie schleppend man sich vorwärts bewegt – wegen des lähmenden gegenseitigen Misstrauens. Das neue Polizeigesetz indes, eines der wichtigsten Projekte, zählt nicht dazu. Als der frühere Innenminister Uwe Schünemann von der CDU vor wenigen Tagen in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, der Heimatzeitung seines Nachfolgers Boris Pistorius öffentlich über die Unbeweglichkeit der SPD in diesem Punkt klagte, spürte man zwar die angespannte Atmosphäre. Aber Schünemanns Ruf diente offenbar dem Wachrütteln, denn mittlerweile reden die Beteiligten nicht nur miteinander, sie verhandeln sogar. Das ist nicht selbstverständlich. Blickt man zurück in die Zeit der rot-grünen Regierung, so fällt gerade in der Innenpolitik ein krasser Gegensatz auf. Einerseits sprach man immer darüber, wie gut sich doch Sozialdemokraten und Grüne verstehen, von den bunten Fraktionsabenden bis zu gemeinsamer Verurteilung der ach so menschenunwürdigen Positionen konservativer Innenpolitiker von CDU und vor allem CSU. Auf der anderen Seite aber blieben die Ergebnisse überschaubar. Was das Polizeigesetz angeht, rang man fünf Jahre lang über Veränderungen – und brachte die Reform am Ende nicht zustande. Ganz anders nun SPD und CDU: Da hocken die „Alphatiere“ zusammen – Pistorius und Schünemann, daneben auf SPD-Seite sehr selbstbewusste Innenpolitiker wie Doris Schröder-Köpf und Ulrich Watermann, auf der CDU-Seite Fraktionsgeschäftsführer Jens Nacke, der früher ebenso wie Schünemann wie ein  „rotes Tuch“ auf die rot-grüne Gemeinschaft gewirkt hat. Kaum trat er im Landtag ans Rednerpult, da ging ein Raunen durch die linke Hälfte des Saales. Neben diesen Akteuren dann der junge CDU-Politiker Sebastian Lechner, der gemeinsam mit Watermann versucht, die anderen Haudegen zusammenzuführen und Verkrampfungen zu lockern. Und nun? Jetzt reden Schünemann und Pistorius miteinander, auch Nacke wird – selbst wenn in dieser Sache noch am Rande – einbezogen. Das sind, wie nach draußen dringt, nicht unbedingt lockere Runden, die Anspannung ist spürbar. Aber am Ende geht es um Ergebnisse, und mittlerweile ist auf beiden Seiten der Wunsch groß, ein reformiertes Gesetz noch in diesem Jahr durch den Landtag zu bringen. Mal sehen, ob das gelingt, denn die Diskussionen in den Landtagsgremien versprechen noch spannend zu werden, das deutet sich jetzt schon an. Aber falls es gelingt, wäre das viel mehr als das, was die so hochgelobte rot-grüne Liebesehe je zustande gebracht hatte. Und man hätte dann nicht nur bewiesen, in der Sache gestalten zu können. Man hätte auch gezeigt, dass man verhandeln kann – und wenigstens ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen entwickeln kann. Allen Störmanövern, die natürlich auch immer dazwischenkommen, zum Trotz. Der Tag soll nie vor dem Abend gelobt werden, noch nicht auch nicht ausgeschlossen, dass die schon sehr weit gediehenen Gespräche der Innenpolitiker kurz vor Schluss in einem großen Streit krachend scheitern. Wahrscheinlich ist das indes nicht, und deshalb sei vorsichtig die Prognose gewagt, dass die Innenpolitik eine Blaupause für die gesamte Koalition sein kann. Wenn schon Schünemann, Nacke und Pistorius zeigen, dass sie ihre gegenseitigen Abneigungen überwinden und „miteinander können“, wieso sollten dann nicht auch all die anderen Exponenten von Union und SPD zueinander finden können – in der Bildungs-, Finanz-, Sozial-, Agrar- und Wirtschaftspolitik und bei der Verwaltungsreform? Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #78.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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