Parteitag ohne Überraschungen: FDP bereitet sich auf Berlin vor
Ziemlich genau sechs Monate vor der Bundestagswahl ist jede Partei für Unterstützung dankbar. Und so wird bereits am Sonnabend hinter vorgehaltener Hand verkündet, dass es am Folgetag auf dem Parteitag der niedersächsischen FDP einen besonderen Gastredner mit einem besonderen Bekenntnis geben wird. Gleich zu Beginn tritt am Sonntag ein aus Funk und Fernsehen bekannter Mann ans Rednerpult. Er kommt aus Braunschweig, hat hier sogar eine wichtige Funktion; er ist der Chef der Kriminalpolizei in der Stadt. Ulf Küch steht vorne am Rednerpult, der Landesvorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamten (BdK) – und bekennt sich. Ja, auch er sei ein Freier Demokrat. Küch, der als Autor von Büchern für die Integration der Flüchtlinge wirbt, ist mit manchen Aussagen in den vergangenen Monaten angeeckt. Nun schickt er sich an, die FDP vor schwierigen Wahlkämpfen in Bund und Land zu verstärken.
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Küch ist die einzige Überraschung an diesem Sonntag. Bei den Wahlen vollzieht sich dann unspektakulär ein geplanter personeller Wechsel. Christian Dürr (39) aus Ganderkesee, erfahrener und bewährter Chef der Landtagsfraktion, strebt im Herbst in den Bundestag. Auch Gero Hocker (41) aus Achim, bisher Umweltpolitiker im Landtag und Generalsekretär der Landes-FDP, will den Platz im Berliner gegen den im niedersächsischen Parlament tauschen. Bewährte Köpfe bleiben der Fraktion im Landtag erhalten. FDP-Landeschef Stefan Birkner hat schon angekündigt, zur Spitzenkandidatur für die Landtagswahl bereit zu sein. Dann sind da noch Jörg Bode, der frühere Wirtschaftsminister, Christian Grascha, der Finanzpolitiker und Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion, und Jan-Christoph Oetjen, der Innenpolitiker und der Bildungspolitiker Björn Försterling. Ein kompetenter Kern von Abgeordneten bleibt auch weiterhin im Landtag in Hannover.
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Die tiefsten Tiefen der FDP-Krise schienen an der niedersächsischen FDP damals ein wenig vorbeizuziehen, waren im Landesverband weniger spürbar als in anderen Bundesländern. Nun schwingt sich die FDP vor den Wahlen aber stimmungsmäßig auch nicht zu höchsten Höhen auf. Auf dem Parteitag dominierte die Gelassenheit, die vom Landesvorstand vorgeschlagene Liste wurde vor dem siebten Listenplatz nicht von Gegenbewerbern in Frage gestellt. Dürr wurde von den rund 280 Delegierten in Braunschweig mit 91,3 Prozent gewählt.
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Er könnte für die niedersächsische FDP in Berlin ein Glücksfall sein. Das Magazin „Focus“ sah ihn kürzlich als einzigen Experten für Wirtschaft in Christian Lindners Team. Wer das Feld der Wirtschaft bei der FDP im Bundestag besetzt, hat gute Chancen auf eine wichtige Rolle sowohl in der Fraktion als auch im politischen Umfeld. Dürr ist Wirtschaftsliberaler. In seiner Rede preist er einen „neuen Optimismus für das Land“, will bürokratische Hürden abbauen, die Steuer reformieren und die „Gründerquote erhöhen“.
Auf dem zweiten Listenplatz steht der 47-jährige Rechtsanwalt Jens Beeck aus Lingen im Emsland, auf Platz drei der Unternehmensberater Grigorios Aggelidis aus Neustadt am Rübenberge, dann folgt der Generalsekretär Gero Hocker. Es ist ein Parteitag der guten Laune, mit wenigen Personaldebatten und noch weniger Streit. Aufmerksamkeit erregt vor allem die erste Frau auf der Landesliste. Die frühere Umwelt-Staatssekretärin Ulla Ihnen, geboren in Ostfriesland und wohnhaft in Hannover, wird mit 72,1 Prozent gewählt. Sie war einst als enge Mitarbeiterin von Heinrich Jürgens in die FDP gekommen und wurde später Staatssekretärin im Landesumweltministerium. Bis zum Wahlstart am Sonntag hatte es noch Gerüchte über eine mögliche Kampfkandidatur der früheren Bundestagsabgeordneten Claudia Winterstein aus Hannover gegeben. Die Vermutung bewahrheitete sich dann aber nicht. Winterstein konnte bis zur letzten Minute so gut wie keine Unterstützer finden.
Um auf dem sechsten Listenplatz einzuziehen, braucht es schon ein sehr starkes Ergebnis der FDP bei der Bundestagswahl. Dennoch muss der Kandidat im Auge behalten werden. Konstantin Kuhle, der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, erhielt 90,1 Prozent und damit das zweitbeste Ergebnis nach Christian Dürr. Kuhle gilt als Zukunftshoffnung der Partei, als politisches Talent. Das ist die nächste Generation der Freien Demokraten; Kuhle könnte aller Voraussicht in ein paar Jahren eine große Rolle in der Partei spielen werden.
Mögliche Koalitionen nach der Wahl spielen in der Braunschweiger Stadthalle überhaupt keine Rolle. Sowohl Christian Dürr als auch Gero Hocker üben scharfe Kritik an SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz, Dürr wirft ihm „soziale Heuchelei“ vor. Ist das eine Aussage gegen die Kooperation mit der SPD? Niemand im Saal versteht das so, denn allen hier ist klar: Welche Koalitionen sich in den nächsten Monaten auf der Bundes- und der Landesebene ergeben, kann derzeit niemand übersehen. Nur mit der AfD, so viel ist klar, kommt keine Kooperation zustande. „In der Bundesversammlung saß neben mir Jörg Meuthen, schräg hinter mir Alexander Gauland und vor mir Frauke Petry. Ich möchte nicht, dass diese Leute künftig im Zentrum des Bundestages agieren. Die FDP gehört in die Mitte des Parlamentes zurück“, sagt Spitzenkandidat Dürr in seiner Rede – und erntet kräftigen Applaus. (MB./kw)