Alexander Weichbrodt, Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG), hat eine sehr persönliche Bilanz der Corona-Krise gezogen. Er selbst war mit der Urteilsfindung zu der niedersächsischen Corona-Verordnung befasst und erntete neben anderen Kollegen zuweilen heftige Kritik an seinen Gerichtsentscheidungen, mit denen staatliche Beschränkungen aufgehoben wurden. Weichbrodt äußerte sich in einer Veranstaltung der IHK Osnabrück-Emsland. Der Richter berichtet, dass anstelle von sonst zwei bis drei infektionsschutzrechtlichen Verfahren jährlich zwischen März 2020 und Dezember 2021 mehr als 600 Verfahren angefallen seien, davon 400 im vorläufigen Rechtsschutz. Durchschnittlich hätten die Richter für Eilverfahren nur neun Tage benötigt, über das Feuerwerksverbot sei in drei Tagen, über die gekippte 2G-Regel im Einzelhandel (die nicht Geimpften den Zutritt verwehren sollte) in vier Tagen entschieden worden. Die sonst für Richter übliche Regel, selbst nicht von den verhandelten Gegenständen betroffen zu sein, habe hier nicht mehr gelten können. Weichbrodt nannte die 2G-Regel im Einzelhandel, die Ausgangssperre in der Region Hannover und das Beherbergungsverbot „unverhältnismäßig“, diese seien daher auch aufgehoben worden. Als Mangel betrachtet er, dass Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz sofort gelten, sobald das OVG darüber entschieden hat. Erst viel später, in Hauptsacheverfahren, komme zur Überprüfung der Richtigkeit die Instanz des Bundesverwaltungsgerichts hinzu. IHK-Vizepräsident Heinrich Koch kritisierte, in Deutschland sei die Politik in der Corona-Bekämpfung „übers Ziel hinausgeschossen“, zu oft habe „das Team Übervorsicht regiert“. Im Vergleich zu den USA oder den Niederlanden habe sich Deutschland auch langsamer von der Krise wieder erholt.