3. Mai 2021 · 
TagesKolumne

"Optimismus mit Trauerflor"

Ein geneigter Leser dieser kleinen Kolumne empfahl mir kürzlich, diese ein wenig optimistischer anzulegen. „Optimismus ist langweilig" antwortete ich schnell, schließlich lernt der Journalist bereits am ersten Arbeitstag, den Optimismus ad acta zu legen, weil nur bad news auch good news sind, und jetzt stellen Sie sich mal unsere zweite Meldung aus der heutigen Ausgabe mit folgender Überschrift vor:

Flüchtlingsrat lobt den Datenschutz bei der Reform das Ausländerrechts: Alles wird besser

Langweilig. Stattdessen lesen Sie heute im Rundblick natürlich:

Flüchtlingsrat ist empört: Datenschutz wird bei Reform des Ausländerrechts missachtet

Selbstverständlich kann sich alles noch zum Besseren wenden, andererseits heißt es doch, das ein Pessimist nichts anders als ein Optimist ist, der zuvor nachgedacht hat. Und für den Pessimismus spricht an dieser Stelle, dass Horst Seehofer für das Gesetz zuständig ist. Hier ist der Optimismus nun wirklich aufgebraucht.


https://soundcloud.com/user-59368422/wir-verspielen-zeit-fur-investitionen

Wenn Niedersachsenmetall-Chef Volker Schmidt sagt, dass mehr als 200.000 Kinder seit 26 Wochen „mehr schlecht als recht zu Hause mittels Homeschooling unterrichtet worden“ sind, ist das dann Pessimismus oder schlichtweg die Wahrheit? Der Optimist würde an dieser Stelle entweder sagen, dass die Kinder vermutlich mehr recht als schlecht unterrichtet wurden, und wenn selbst das nichts mehr hilft, könnte er noch argumentieren, dass es wenigstens nicht 300.000 Kinder gewesen sind. Wie dem auch sei: Schmidt fordert, dass nach Pfingsten mal wieder Zeit für ein bisschen Schule in Präsenz ist – wenn die Kinder nach all den Wochen überhaupt noch den Weg in die Schule finden, geschweige denn wissen, wo eigentlich noch mal ihr Klassenzimmer war….

Ernst Bloch hat in seinem Werk „Das Prinzip Hoffnung“ vor einem ungeprüften Optimismus gewarnt. Wieviel Optimismus sich Silke Weyberg, Geschäftsführerin vom Landesverband Erneuerbare Energien Niedersachsen-Bremen, selber in der Corona-Krise zutraut, ist aus dem heutigen Rundblick-Interview mit ihr nicht ganz herauszulesen.

Weyberg wünscht sich allerdings nach einem Jahr Pandemie einen maßvolleren Umgang – maßvolle Maßnahmen, maßvolle Rhetorik, maßvolle Beschränkungen“ und dass den Menschen wieder etwas zugetraut wird. Ob das Landes- und Bundesregierung hinbekommen? Bloch würde jetzt vermutlich von einem „Optimismus mit Trauerflor“ sprechen.

Foto: RB, Lee

An diesem Dienstag will uns die Landesregierung allerdings erläutern, wie die Corona-Beschränkungen angesichts rückläufiger Inzidenzwerte vorsichtig gelockert werden sollen. Ist man schon ein Pessimist, wenn man in die Pressekonferenz heute Vormittag nicht zu optimistisch hineingehen möchte?

Ich wünsche Ihnen einen hoffnungsfrohen Dienstag

Martin Brüning


https://soundcloud.com/user-59368422/klartext-am-sonntag-mit-belit-onay-ausgabe-07
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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