Mit einer groß angelegten Informationskampagne wollte das Land Niedersachsen alle Personen, die älter sind als 80 Jahre, über die Möglichkeiten zu einer Corona-Impfung informieren. Das ging gründlich schief, denn das Sozialministerium beauftragte einen Dienstleister – und tatsächlich wurden mehrere Menschen angeschrieben, die längst verstorben waren. „Das ist pietätslos und zeigt, wie überfordert Sozialministerin Carola Reimann ist. Es wäre endlich Zeit für eine Entschuldigung“, sagte FDP-Fraktionschef Stefan Birkner gegenüber dem Politikjournal Rundblick.
Rund 210.000 Menschen wurden über die Deutsche Post kontaktiert werden. In den sozialen Netzwerken veröffentlichten mehrere Menschen Informationsbriefe des Landes, die an längst verstorbene Angehörige adressiert waren – mindestens zehn Fälle sind namentlich bekannt. Beim Sozialministerium sollen mehr als 20 Zuschriften von empörten Bürgern eingegangen sein. Auch Rundblick-Leser wendeten sich an die Redaktion. Ein Adressat ist bereits seit bald 25 Jahren tot. Wie viele Briefe an Verstorbene adressiert waren, lässt sich derzeit nicht genau beziffern. „Briefe an bereits Verstorbene sind für die Hinterbliebenen immer eine Belastung, weil die Trauer wieder wachgerufen wird“, konstatierte am Donnerstag Meta Janssen-Kucz, sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag. Sie schlussfolgerte aus dieser Panne: „Es war von Anfang an ein Fehler, sich auf die Post zu verlassen. Denn man weiß, dass deren Adressenlisten weder vollständig noch in jedem Fall korrekt sind.“ Susanne Schütz, Sozialpolitikerin der FDP-Fraktion, bezeichnete die falsch adressierten Briefe als „verletzend“. Es sei ein schwerer Fehler gewesen, das Angebot der Kommunen auszuschlagen. Sie hatten angeboten, anstelle des Landes zu agieren – und hätten dann die eigenen Einwohnermelderegister heranziehen können, deren Daten deutlich aktueller sind als die des Postdienstleisters.
Bereits vor Bekanntwerden der jüngsten Adress-Panne hat das Land entschieden, zusätzlich zu der Dienstleistung der Deutschen Post nun doch auch noch über die Kommunen informieren zu lassen. Dieser Schritt komme viel zu spät, meint Bernhard Zentgraf vom Bund der Steuerzahler (BdSt): Das Land habe bereits 28.000 Euro zuzüglich Porto und Mehrwertsteuer an die Post gezahlt. Nun kommen erneut Kosten für den Briefversand über die Kommunen hinzu, die das Land ebenfalls erstatten wird. Informationen über die Kosten dieser zweiten Welle konnte Oliver Grimm, Sprecher des Sozialministeriums, am Donnerstag noch nicht geben. Noch sei unklar, wie viele Kommunen sich beteiligten. Für BdSt-Präsident Zentgraf ist es „nicht nachvollziehbar“, warum das Land nicht sofort auf die Kommunen zugegangen ist. „Wenn hier nun der Datenschutz so nach vorne gestellt wird, dann übertreiben wir es.“ Zentgraf zeigte zwar Verständnis dafür, dass unter dem andauernden Druck der Corona-Pandemie Fehlentscheidungen getroffen werden können. Vor dem Hintergrund der Meldungen über Briefe an längst Verstorbene sagte er aber: „Das sind Pannen, die dürfen in einem hochentwickelten Land nicht passieren.“ Wie konnte es bei der Post zu einer solchen Panne kommen? Das Sozialministerium hatte die Deutsche Post Direkt GmbH mit dem Versand der Informationsschreiben beauftragt. Begründet wurde dieser Schritt mit dem Datenschutz: Das Land könne nicht einfach auf die kommunalen Datenbanken zurückgreifen. Die Deutsche Post verfügt über datenschutzkonform erhobene Meldedaten in einer sogenannten Vermietdatenbank. Die Deutsche Post Direkt GmbH bietet diese Informationen für gewöhnlich für Werbesendungen an – auch Parteien greifen im Wahlkampf regelmäßig darauf zurück. Das Unternehmen kombiniert die Adressdaten mit anderen soziodemografischen Informationen und bietet ihren Kunden damit an, ihre Werbung zielgerichtet an potenzielle Kunden oder Wähler zu versenden. Im Fall der Impf-Informationsbriefe hat die Deutsche Post GmbH nach eigenen Angaben auch eine Schätzung des Alters aufgrund der Vornamen vorgenommen. Es wurden also die vorhandenen Adressdaten mit Informationen zur Häufigkeit bestimmter Vornamen in der Altersgruppe über 80 Jahre kombiniert und so ermittelt, wer einen Brief erhalten soll. Wer Helga, Ingrid oder Ursula, Hans, Günther oder Horst heißt, hat mit großer Wahrscheinlichkeit einen solchen Brief erhalten. Nach Informationen des Sozialministeriums sind rund 13.000 der 210.000 Adressen aufgrund einer solchen Schätzung herausgefiltert worden, bei den restlichen Adressen lagen der Post die Geburtsjahrgänge der Personen vor. Das Land hat im Vorfeld in Kauf genommen, dass nicht alle Angehörigen dieser Altersgruppe einen Brief erhalten, weil zum einen die Datenbank der Post unvollständig ist, und zum anderen auch die Altersinformation nur geschätzt wurden. Dass nun Briefe auch an längst Verstorbene zugestellt wurden, ist derweil nur eine weitere Folge desselben Problems.