Belit Onay war mit dem Auto gekommen. Beim Messebauer Holtmann, der in Langenhagen zwischen Bundesstraße und Autobahn ein hybrides Studio gebaut hat, in dem Veranstaltungen zugleich mit Gästen vor Ort und per professionellem Videostream stattfinden können, sollte am Mittwochabend über die autofreie Innenstadt diskutiert werden. Eingeladen hatten IHK Hannover und der Industrieclub Hannover.


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Ohne Auto hätte es auch ein Kraftwagenskeptiker wie Hannovers Oberbürgermeister nicht zur Diskussion geschafft. „Wir sind ja aber auch nicht in der Innenstadt“, sagte Onay zu seiner Verteidigung. Außerdem mache das deutlich, dass er „kein Problem mit Autos“ habe, man müsse allerdings über die Rolle des Autos diskutieren. Aber hat das Auto in Onays Vision der autofreien City überhaupt noch eine Rolle? Die einstündige Diskussion verdeutlichte, dass der Begriff „autofrei“ vielleicht ein gutes Schlagwort für den Wahlkampf im vergangenen Jahr gewesen ist, aber nicht das abbildet, was in zehn Jahren die hannoversche Innenstadt prägen wird. Konkret: Autofrei heißt eigentlich gar nicht autofrei. „Ich will mich gar nicht an den Begrifflichkeiten festbeißen“, sagte Onay.

Foto: IHK Hannover

Carsten Kuhlgatz, Vorstandsvorsitzender des Industrie-Clubs Hannover, ist mit der Begrifflichkeit ohnehin nicht glücklich, die Bedeutung findet er schwierig. „Wir diskutieren dadurch nicht darüber, wie die Innenstadt der Zukunft aussieht, sondern darüber, wie sie ohne Autos aussieht. Das ist keine offene Diskussion mit einem offenen Ende.“ Nicht nur an dieser Stelle bot Hannovers Oberbürgermeister mit Grünen-Parteibuch an diesem Abend den Dialog an. „Das ist keine Friss-oder-Stirb-Taktik. Das Ergebnis steht ausdrücklich noch nicht fest, wir brauchen einen Dialog über die Räume in der Stadt“, machte er deutlich.

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Ein Ergebnis hat Onay aber durchaus bereits im Hinterkopf: Es muss seiner Ansicht nach bei der „Neuverteilung des Raums“ zumindest weniger Autos in der Innenstadt geben, es gehe dabei nicht allein um eine „Auto: Ja oder Nein“-Debatte. „Autos sind ein Attraktivitätskiller“, stellte der Oberbürgermeister fest. „Sie werden sich in kein Café setzen, an dem ständig Autos in Massen vorbeisausen.“ Die attraktive Plätze seien eben autofrei, dort könnten Kinder spielen, man müsse sich keine Sorgen um die Sicherheit machen. „Es wird eine Raumverteilung zulasten des Autoverkehrs geben müssen, das sage ich in aller Deutlichkeit.“

Wir müssen erreichbar sein für Menschen, die nicht so mobil sind. Dabei geht es zum Beispiel um Arztpraxen, aber auch um Menschen, die in den Innenstadt leben.

Raumverteilung klingt aber schon einmal anders als autofrei, das stellte auch die neue IHK-Hannover-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt fest. Es seien völlig unterschiedliche Dinge, ob man über eine autofreie Innenstadt oder über eine Mischform der Mobilität spreche, sagte Bielfeldt. Eine rein autofreie Innenstadt hält sie ohnehin für nicht möglich. „Wir müssen erreichbar sein für Menschen, die nicht so mobil sind. Dabei geht es zum Beispiel um Arztpraxen, aber auch um Menschen, die in den Innenstadt leben.“

Vorbild Kopenhagen?

Immer wieder ging es in der Diskussion auch um Kopenhagen, die dänische Hauptstadt führen Verfechter der autofreien City gerne als Vorbild an. „Allerdings ist die Innenstadt dort gar nicht autofrei“, erläuterte Bielfeldt. Es gebe dort ausgewiesene Fahrradstraßen, die den Autoverkehr nicht behinderten. Sie seien ebenso neu gebaut worden wie neue Straßenbahnlinien, städtebaulich sei dort viel verändert worden. Ob Kopenhagen dabei als Vorbild für die niedersächsische Landeshauptstadt taugt, ließ Onay offen. Man brauche ohnehin „maßgeschneiderte Lösungen“ für Hannover. „Ich werde hier nicht Kopenhagen kopieren“, erklärte er.

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Nach wie vor leidet die Diskussion über die autofreie Innenstadt an einem Henne-Ei-Problem. Zwingt man die Menschen durch gesperrte Straßen in die Bahn oder auf das Fahrrad, oder benötigt man erst mehr Auto-Alternativen, um die Straßen zu sperren? Aktuell seien die alternativen Angebote noch nicht gut genug, damit ein größerer Teil auf das Auto verzichtet, stellt auch Onay fest. Das Fahrrad werde in der Zukunft einen wichtigen Anteil an der Innenstadt-Mobilität haben, auch der ÖPNV müsse weiter ausgebaut werden. „Gerade für die letzte Meile wird es wichtig sein, gute Angebote zu machen.“

Wenn eine Frau mit Kindern und Kinderwagen ihr Auto auf einem Parkplatz vor der Innenstadt stehen lassen und dann nach dem Einkauf mit Tüten und Taschen im ÖPNV erst mal wieder zurück zu ihrem Auto fahren soll, dann wird sie das voraussichtlich nicht machen.

Carsten Kuhlgatz allerdings befürchtet, dass die Straßenbahn für viele Zielgruppen am Ende dann aber doch nicht attraktiv genug ist. Er befürchtet, dass bei einer für Autos gesperrten Innenstadt viele Menschen nicht mehr zum Einkaufen in die City fahren, und das, wo der Handel derzeit schon gebeutelt genug ist.  „Wenn eine Frau mit Kindern und Kinderwagen ihr Auto auf einem Parkplatz vor der Innenstadt stehen lassen und dann nach dem Einkauf mit Tüten und Taschen im ÖPNV erst mal wieder zurück zu ihrem Auto fahren soll, dann wird sie das voraussichtlich nicht machen. Sie wird weiterhin mit dem Auto in die Stadt fahren wollen“, erklärte Kuhlgatz.

Am Rande der Diskussion ging es auch um die Autoindustrie, im Autoland Niedersachsen aus einer solchen Debatte kaum wegzudenken. Die Branche hätte noch mehr zu leiden, wenn man mit dem Auto nicht mehr in die Innenstadt könnte, befürchtete Kuhlgatz. Dieses Argument verfing bei Onay, der nach eigenen Angaben das Auto nicht „verteufelt“. „Überhaupt nicht“, fügt er bekräftigend hinzu. „Das Wohl und Wehe der Autoindustrie wird nicht von der autofreien Innenstadt oder von drei, vier Straßen in Hannover abhängen.“ Nach der Diskussion ging es für ihn zurück in die Landeshauptstadt – mit dem Auto.

Von Martin Brüning