Das Bistum Osnabrück hat die Universität Osnabrück damit beauftragt, eine Studie zu Missbrauchsfällen in der katholischen Diözese zu erstellen. Ein entsprechender Kooperationsvertrag wurde am Montag unterzeichnet, die Kirche investiert 1,3 Millionen Euro für eine unabhängige, wissenschaftliche Aufarbeitung. Die Wissenschaftler werden voraussichtlich im August mit ihrer Arbeit beginnen. Erste Ergebnisse sollen bereits ein Jahr später vorgestellt werden. Dazu wird zunächst ein juristisches Gutachten erstellt, das Auskunft geben soll über die konkreten Fälle von sexualisierter Gewalt im Bistum seit 1945. Derzeit wird von knapp 50 Fällen ausgegangen.

Drei Jahre nach Projektbeginn sollen dann tiefergehende Analysen veröffentlicht werden. Neben den konkreten Pflichtverletzungen auf Ebene der Kirchenleitung soll es dann auch um Verfehlungen bis hinunter in die einzelnen Gemeinden gehen. Zudem soll die Studie jene Strukturen sichtbar machen, die Missbrauch innerhalb der Kirche überhaupt erst ermöglicht haben.

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode legt die Ausarbeitung der Missbrauchsfälle in seinem Bistum in die Hände von Universitätspräsidentin Susanne Menzel-Riedl – Foto: Thomas Arzner/Bistum Osnabrück

Generalvikar Ulrich Beckwermert betonte gestern, dass die Wissenschaftler alle Entscheidungen über die laufende Forschung und die Veröffentlichung von Ergebnissen frei und unabhängig vom Bistum werden treffen können. Bischof Franz-Josef Bode habe die Aufarbeitung aus der Hand gegeben, um die absolute Unabhängigkeit des Forschungsvorhabens auch von seiner Person zu gewährleisten. Das Bistum und auch der Bischof seien von nun an Objekt und nicht mehr Subjekt der Untersuchung, bekräftigte Beckwermert. Anschließend werde man sich den Ergebnissen stellen und Konsequenzen daraus ziehen.

Universitätspräsidentin Prof. Susanne Menzel-Riedl bekräftigte, die Veröffentlichung der Ergebnisse sei durch die Wissenschaftsfreiheit maximal geschützt und es gebe keinen Prüfungsvorbehalt durch das Bistum. Die Projektverantwortlichen erläuterten, die Nennung von Namen werde gründlich geprüft und letztlich das wissenschaftliche und öffentliche Interesse gegen die Persönlichkeitsrechte der vermeintlichen Täter abgewogen.

V.l.n.r.: Prof. Hans Schulte-Nölke, Prof. Siegrid Westphal, Prof. Susanne Menzel-Riedl, Thomas Veen und Generalvikar Ulrich Beckwermert – Foto: Frieda Berg/Universität Osnabrück

Inhaltlich verantwortet wird das Forschungsprojekt von der Historikerin Prof. Siegrid Westphal und dem Rechtswissenschaftler Prof. Hans Schulte-Nölke. Die Wissenschaftler schilderten gestern bei einer Pressekonferenz der Universität, künftig interdisziplinär vorzugehen. Bislang habe es zu Missbrauchsfällen kircheninterne Studien, sowie Rechtsgutachten oder rein historische Aufarbeitungen gegeben. Das künftig fünfköpfige Team der Universität Osnabrück werde die Fälle juristisch, rechtshistorisch und historisch beleuchten, erklärte Prof. Westphal. Als Grundlage für ihre Arbeit werden die Forscher zunächst auf die Archive des Bistums zurückgreifen und bis zu 2000 Personalakten sowie die dazugehörigen Bestände, etwa die Pfarrarchive einzelner Gemeinden, sichten. Anhand von Fallstudien sollen dann Muster aufgezeigt werden, auch das Vertuschen von Fällen soll dabei analysiert werden, sagte Prof. Westphal.

Der Rechtshistoriker Prof. Schulte-Nölke betonte, seine Disziplin frage nicht kalt nach Regeln und Gesetzen – sondern das Recht sei für den Menschen da, weshalb er nach fehlendem Rechtsschutz für Betroffene suchen werde. Die Wissenschaftler hoffen darauf, dass sich zudem weitere Opfer sexualisierter Gewalt durch Kleriker bei ihnen melden werden.

Missbrauch im Schatten der Kirche soll nun auch im Bistum Osnabrück historisch ausgeleuchtet werden – Foto: nkw

Das Bistum Osnabrück ist mit der Beauftragung einer solchen Studie relativ spät dran. Thomas Veen, Sprecher der Monitoring-Gruppe des Bistums, begründete dies damit, dass man zunächst versucht habe, den akut betroffenen Opfern Schutz und Hilfe anzubieten, bevor man sich an eine historische Aufarbeitung gewagt habe. Das Bistum Hildesheim hatte im April 2019 bereits eine Kommission unter Leitung der frühere Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) eingerichtet. Erste Ergebnisse dieser Untersuchung für den Zeitraum von 1957 bis 1982, die ebenfalls einen Fokus auf Strukturen und Muster statt auf Einzelfälle gelegt hatte, sollten im Frühjahr 2020 vorgestellt werden. Aufgrund von Verzögerungen bei der Aufarbeitung blieben diese bislang aber noch aus.

Erst im vergangenen September haben sich die drei Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück, die gemeinsam die Metropolie Hamburg bilden, zusammengetan, um mit gebündelten Kräften die neuen verbindlichen Standards zur Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt voranzubringen. Vorangeschritten war damals noch der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der inzwischen allerdings dem Papst seinen Rücktritt angeboten hat. Im Zuge des Missbrauchsgutachtens des Rechtsanwalts Björn Gercke, das sich mit den Vergehen im Erzbistum Köln befasst hat, wurden Heße in seiner Zeit in Köln elf Pflichtverletzungen in neun Aktenvorgängen angelastet.