5. Juni 2024 · 
Wirtschaft

Niedersachsens größtes Baugebiet zeigt, warum Wohnungsbau zu teuer geworden ist

Im Südosten von Hannover entsteht Niedersachsens größtes Baugebiet, das mehr Einwohner haben wird als so manche Kleinstadt. Sechs der wichtigsten Wohnungsunternehmen der Landeshauptstadt haben sich zusammengeschlossen, um bis zu 4000 Wohnungen zu bauen. Wenn das 1,5-Milliarden-Euro-Projekt bis Ende des Jahrzehnts abgeschlossen ist, werden in Kronsberg-Süd voraussichtlich zwischen 8000 bis 10.000 Menschen ein neues Zuhause gefunden haben. Doch der Eindruck einer florierenden Bauwirtschaft, den man vor Ort bekommen könnte, täuscht.

In Kronsberg-Süd wohnen bereits 1300 Menschen. Bis 2030 soll die Bewohnerzahl auf über 8000 steigen. | Foto: Link

„Hier stehen noch viele Baukräne, die sich drehen. Aber was kommt danach?“, fragte Dirk Streicher, Vorstandschef der Delta Bau AG, am Montag den niedersächsischen Wirtschafts- und Bauminister Olaf Lies (SPD). Eigentlich soll die Talk-Runde, in der auch der hannoversche Stadtbaurat Thomas Vielhaber und die BDA-Landesvorsitzende Dilek Ruf sitzen, über die „Quartiersentwicklung der Zukunft“ sprechen. Doch bevor es in die städtebaulichen Details geht, will Streicher zuerst über das Grundproblem der Finanzierung reden. „Die Rahmenbedingungen sind im Moment nicht zur Quartiersentwicklung geeignet“, warnt der Bauunternehmer.

Moderator Friedhelm Feldhaus (von links) diskutiert mit Olaf Lies, Thomas Vielhaber, Dilek Ruf und Dirk Streicher auf Einladung des Industrie-Clubs Hannover über Quartiersentwicklung. | Foto: Link

Wenn es nach Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) geht, werden der serielle und modulare Wohnungsbau sowie die industrielle Vorproduktion den im Sinkflug befindlichen Wohnungsbau wieder ankurbeln. Doch bislang hat das Bauen mit vorgefertigten Bausteinen nach dem „Lego-Prinzip“ keine Trendwende herbeigeführt. „Wir versuchen jetzt alles mit seriellem und modularem Bauen zu retten. Ein solches Quartier in dieser Qualität ist damit aber nicht umsetzbar“, sagte Streicher mit Blick auf Kronsberg-Süd.

Dem Stadtviertel sieht man deutlich an, dass es vor der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg geplant wurde. Schon die Nettobaufläche des 75 Fußballfelder großen Areals ist mit unter 60 Prozent auffällig niedrig. Die in der Regel viergeschossigen Wohngebäude stehen auffällig weit auseinander und sind alle individuell geplant worden. Neben den weitläufigen und aufwändig gestalteten Freiräumen treiben vor allem hohe Anforderungen an die Gebäude wie zum Beispiel die Pflicht zu Klinkerfassade und Tiefgarage die Kosten nach oben. Vorgeschrieben wurden sogar mehrere Meter hohe, gläserne Lärmschutzwände zum benachbarten Gewerbegebiet hin, in dem überhaupt keine besonders lärmintensiven Betriebe ansässig sind. Jede der zehn Glaswände hat Kosten im sechsstelligen Bereich verursacht und muss aufwändig gewartet werden.

Meterhohe Schallschutzwände aus Glas sollen Lärm reduzieren. Auf der anderen Seite fährt aber nur die Stadtbahn durchs Grüne und die Fenster sind ohnehin schalldicht. | Foto: Link

„Manchmal stehen wir uns mit unserem Baurecht, so gut es auch ist, einfach selbst im Weg“, stellt Frank Eretge, Geschäftsführer von Gundlach Bau und Immobilien, bei einem Rundgang durch das Quartier schulterzuckend fest. Die Bauweise in Kronsberg-Süd kommentiert er wie folgt: „Das ist ein sehr aufwändiges Bauen und hat noch funktioniert, als die Zinssätze bei einem bis eineinhalb Prozent lagen.“ Inzwischen sehe das aber anders aus. Gundlach stellte aufgrund der zunehmenden Rentabilität sogar zeitweise die Wohnbauarbeiten auf seinem zweiten Baufeld ein. Jetzt wird dort zwar wieder in die Höhe gebaut. „Ökonomisch ist das aber totaler Quatsch. Ich habe jetzt schon keine Lust auf die Diskussion mit unserem Wirtschaftsprüfer“, sagt Eretge. Weil es jedoch bereits Förderzusagen gibt und sein Unternehmen keine halben Sachen macht, wird der Neubau nun durch andere Projekte querfinanziert.

Auf der Gundlach-Baustelle in Kronsberg-Süd wird wieder gebaut – wirtschaftlich ist das angesichts der enorm gestiegenen Baukosten aber nicht. | Foto: Link

„Der Wohnungsbau ist wirklich ziemlich tot. Projektentwicklung im Wohnungsbau ist derzeit praktisch nicht finanzierbar“, urteilt der Bauunternehmer. In Kronsberg-Süd rechnet er mit einem Quadratmetermietpreis von 13 bis 14,50 Euro für den frei vermietbaren Wohnraum. Weil es einen Pflichtanteil von 25 Prozent für Sozialwohnungen gibt, wird jeder vierte Mieter für denselben Wohnkomfort aber nur die Hälfte zahlen müssen. Für die soziale Mischung sei das zwar gut, der Gundlach-Chef sieht aber ein anderes Problem: „Wenn man diese Auflage nicht hätte, würden die freifinanzierten Mieten auch nicht so stark steigen, wie sie es derzeit tun.“

Komplett unsinnig ist aus Sicht der Bauunternehmer die Vorgabe, dass jede achte der ohnehin barrierefreien Wohnungen in Kronsberg-Süd auch noch rollstuhlgerecht sein muss. „Wir können uns ganz viel wünschen, aber irgendwer muss das bezahlen“, gibt Streicher zu bedenken. Genau solche Probleme will der Bauminister mit der Reform der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) lösen und den Vorschriften-Dschungel lichten, versichert er den Unternehmern. „Wir konnten es uns in der Vergangenheit irgendwie immer leisten, dass das Wohnen immer teurer wird. Jetzt müssen wir signifikant mit den Kosten runterkommen“, sagt Lies und ergänzt: „Wir werden die Probleme, die wir jetzt haben, nicht durch Geld lösen, sondern nur durch Freiheitsgrade, die Investitionen schaffen.“ Das Feedback der Verbändebeteiligung zur Reform sei sehr positiv. Die Kritik der Kommunalverbände, die sich vor allem am Wegfall der Stellplatzvorgaben stören, wertet Lies gar nicht als inhaltliche Einwände. „Dahinter steckt das Problem, dass den Kommunen die Mittel fehlen, um ausreichend ÖPNV-Angebote zu schaffen“, sagt der SPD-Politiker.

Die Stadtbahn fährt am neuen Stadtviertel Kronsberg-Süd vorbei. | Foto: Link
Dieser Artikel erschien am 6.6.2024 in Ausgabe #103.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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