7. Juni 2022 · Wirtschaft

Niedersachsens Biogasbranche möchte gern russisches Erdgas ersetzen – darf aber nicht

Biogasanlagen verlieren in Deutschland trotz Energiewende an Bedeutung. Der niedersächsische Landesverband Erneuerbare Energien möchte das ändern. | Foto: GettyImages/Kontrast Fotodesign

In der Diskussion um die deutsche Energiesicherheit meldet sich nun die niedersächsische Biogasbranche zu Wort. „Wir können die Importabhängigkeit von russischem Erdgas kurzfristig um bis zu 20 Prozent reduzieren“, verspricht Thorsten Kruse vom Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) und sagt: „Wir könnten unsere Anlagen sofort hochfahren und die Energiemenge steigern, wenn die Politik die rechtlichen Rand- und Rahmenbedingungen herstellt. Wir produzieren aus Biogas auch grünes Erdgas.“

Biogasbranche schaut neidisch auf LNG-Terminal

Die schnelle Umsetzung eines LNG-Terminals an der niedersächsischen Küste sorgt bei der Biogasbranche dagegen für Irritationen. „Von diesem Tempo können unsere Mitglieder nur träumen“, sagt LEE-Sprecher Lars Günsel und kritisiert: „Der Denkfehler liegt darin, dass die Politik ganz auf den Import von Gas setzt.“ Berechnungen des Verbands zufolge könnten allein die niedersächsischen Biogasanlagen rund 20 Milliarden Kilowattstunden Biogas ins deutsche Gasnetz einspeisen und dadurch ein Fünftel des gesamten Erdgasverbrauchs in Niedersachsen decken.

Henrik Borgmeyer, Silke Weyberg, Oliver Moje und Thorsten Kruse werben für mehr Biogas in Niedersachsen. | Foto: Link

„Gülle und Mist liegen in den Ställen überall rum, trotzdem überlegen wir, nach Borkum zu gehen und Erdgas zu fördern. Das macht keinen Sinn“, sagt Henrik Borgmeyer, Gründer und Geschäftsführer der BioConstruct GmbH aus Melle. Aus Sicht des Projektentwicklers wäre Biogas die einfachste Alternative zu russischem Erdgas. „Die technische Hürde, die wir überspringen müssten, ist sehr niedrig“, sagt er und ergänzt: „Die Ernten waren zuletzt sehr gut. Viele Anlagen sitzen auf Bergen von Rohstoffen und könnten kurzfristig mehr Gas liefern. Wir haben aber ein Limit in der Produktion.“ Kruse ergänzt: „Wir werden im Strombereich eingekürzt und auch im Gasbereich haben wir eine Bemessungsgrenze, die wir nicht überschreiten dürfen.“

Die Formel für mehr Biogas ist nach Kruse ganz einfach: „Wenn wir mehr Energie liefern sollen, dann brauchen wir auch mehr Einsatzstoffe.“ Die dafür erforderliche Bürokratie sei mit den Jahren aber unüberschaubar geworden. Wofür früher eine einfache Anzeige gereicht habe, sei heute eine Genehmigung mit neunmonatiger Dauer erforderlich. Die Erdbeeren und der Spargel, die jetzt vernichtet werden, dürften deswegen auch nicht in den Biogasanlagen landen. „Das wäre illegaler Anlagenbetrieb“, stellt Kruse klar. „Die Abschaffung des Verwertungskonzepts im Betrieb wäre ein Beitrag zum Bürokratieabbau“, ergänzt LEE-Geschäftsführerin Silke Weyberg. Die 2015 ursprünglich für neue Biogasanlagen eingeführte Regelung sei für bestehende Anlagen aufgrund der Düngemittelverordnung mittlerweile überflüssig geworden und sollte nur noch bei Neubauten gelten. Kruse und Borgmeyer drängen außerdem darauf, die Vorgaben zur Lagerung von Biomasse zu überarbeiten. „Biogasgärreste etwa dürfen in landwirtschaftlichen Betrieben nicht gelagert werden. Das ist absurd“, meint Borgmeyer.

Henrik Borgmeyer erklärt die Auswüchse des Genehmigungswahnsinns für Biogasanlagenbetreiber. Foto: Link

Würde mehr Biogas zu weniger Lebensmittelanbau führen?

Würde mehr Biogas zu weniger Lebensmittelanbau führen? Laut Kruse sind solche Gegenargumente nur Wahlkampfpolemik. „Wir vernichten in Niedersachsen gerade ganze Ernten von Rhabarber, Spargel und Erdbeeren und trotzdem führen wir die Debatte: Tank oder Teller“, ärgert sich der LEE-Vorstand und weist darauf hin, dass ohne die Biomasse die ganze Energiewende nicht gelingen würde. „Die Bioenergie ist die speicherbare unter den erneuerbaren Energien“, stellt er klar. Außerdem führt er an, dass rund ein Drittel der deutschen Lebensmittel weggeworfen werden und knapp fünf Prozent der deutschen Anbauflächen im nächsten Jahr stillgelegt werden sollen. „Wir haben bei den Nahrungsmitteln ein Verteilungsproblem, an dem der Anbau der Biomasse in keiner Weise schuld ist“, betont der Bioanlagenbetreiber aus Stoetze (Landkreis Uelzen).

Und auch der Unternehmer Borgmeyer kann die Vorbehalte gegen einen Ausbau der Bioenergiekapazitäten nicht nachvollziehen. „Dass eine Regierung in der Couleur, die wir jetzt haben, Biogas nicht faktisch beurteilt, sondern mit Emotionen spielt, ist mir unverständlich“, kritisiert er. Während Umweltschäden bei US-amerikanischen Fracking-Gas oder Menschenrechtsverletzungen beim neuen Energiepartner Katar ausgeblendet würden, werde das Biogas übertrieben kritisch gesehen. Dabei sei die Biomasse nicht nur effizient, sondern auch noch wirtschaftlich sinnvoll. Borgmeyer: „Der Markt braucht uns. Wir benötigen nicht mal Geld oder Subventionen. Wir müssen einfach nur Genehmigungshemmnisse abbauen.“

Die Biogasanlage Krukum bei Melle heizt Freibad, Schule und kirchliche Einrichtungen. Zudem wird sie von Bioconstruct als Forschungsanlage verwendet. | Foto: BioConstruct

Zu viel Bürokratie macht Biogas unattraktiv

Borgmeyers Firma hat seit 2001 über 400 Erneuerbare-Energien-Projekte realisiert. „Seit zehn Jahren mehr im Ausland als im Inland“, fügt Borgmeyer hinzu und sieht das Interesse an deutscher Technologie erstmal positiv. Allerdings ist beim Nettozubau von Biogasanlagen in Deutschland seit 2012 auch Stagnation eingetreten. Seitdem sind nur zehn Prozent der insgesamt 9692 deutschen Biogasanlagen gebaut worden, von denen 1709 in Niedersachsen stehen. Das nachlassende Interesse an der Bioenergie schreibt Borgmeyer auch den zunehmenden Genehmigungshemmnissen zu. Die Umstellung von Blockheizkraftwerken auf Gaseinspeisung sei eigentlich keine große Nutzungsänderung. Trotzdem müssten Betreiber unter anderem eine FFH-Verträglichkeitsstudie, ein Schallgutachten, ein Störfallkonzept und viele andere Dokumente vorlegen. „Die hohen Hürden sind der Grund, weshalb viele Betriebe sagen: Ich gebe mich mit dem etwas unbefriedigenden Zustand zufrieden, dass ich neben dem Strom nicht auch die Wärme nutzen kann. Viele haben einfach Angst vor dem Genehmigungswahnsinn“, sagt Borgmeyer.

„Viele scheuen tatsächlich den administrativen Aufwand“, bestätigt Oliver Moje, Samtgemeindebürgermeister von Tarmstedt (Landkreis Rotenburg). Und auch der Verwaltungschef kann nicht nachvollziehen, warum das 500-Kilowattstunden-Blockheizkraftwerk in seiner Kommune nach 20 Jahren im Betrieb nur noch mit 45-prozentiger Leistung laufen darf. „Das macht gar keinen Sinn“, ärgert sich Moje. Trotzdem will die Samtgemeinde auch zukünftig auf Biogas setzen, um ihre Schulen zu heizen. 2008 habe man dafür noch 120.000 Liter Öl benötigt. „Jetzt sind es noch 22.000 Liter. Der Rest wird über die Biogasanlage abgedeckt“, sagt Moje. Für ihn spielt dabei auch die regionale Wertschöpfung eine zentrale Rolle. „Über die Gewerbesteuern stellen Biogasanlagen einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor für viele Gemeinden dar“, sagt er.

Schreitet die "Vermaisung" der Landschaft voran?

Das kurzfristige Hochfahren der Biogasanlagen ist laut LEE zwar aus dem Stand möglich. Damit die Biomasse auch mittel- und langfristig eine größere Rolle spielt, wären aber zusätzliche Anbauflächen nötig. „Wir brauchen eine Aussetzung der Stilllegungspflicht“, fordert Borgmeyer und sagt: „Wenn wir irgendwann Futterpflanzen nicht mehr in dem Ausmaß brauchen wie jetzt, sollten wir sie zur Energiegewinnung einsetzen.“ Der vielfach kritisierten „Vermaisung“ der Landschaft würde das zwar einen zusätzlichen Schub geben, denn Mais und Zuckerrübe sind die effizientesten Energielieferanten. Doch erstens ist die Anbaufläche für Biogas-Mais gar nicht so riesig: Nur 10 Prozent der niedersächsischen Ackerflächen werde für Bioenergie verwendet und darunter 38 Prozent für Maisanbau. Und zweitens geht es auch anders.

„Bei uns in Melle setzen wir auf 50 Hektar auch Blühpflanzen ein“, berichtet Borgmeyer. Zudem sieht er noch großes Potenzial beim Einsatz von Dünger in den Biogasanlagen. Bisher würden gerade mal 17 Prozent des Wirtschaftsdüngers in den Anlagen landen, obwohl Gülle und Mist besonders ertragreich sind. Diesen Anteil könne man noch verdoppeln oder verdreifachen. „Wir vernichten den Dünger dabei nicht. Wir fahren ihn im Prinzip einfach nur im Kreis“, erläutert der Biogasexperte. Und auch Anlagenbetreiber Kruse betont: „Bioenergie ist eine Kreislaufwirtschaft.“

Dieser Artikel erschien am 8.6.2022 in Ausgabe #106.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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