Niedersachsen nimmt Rekordschulden auf
Die Landesregierung hat am Dienstag eine historische Entscheidung getroffen: Im zweiten Nachtragshaushaltsplan, der Mitte Juli vom Landtag beschlossen werden soll, stehen neue Schulden des Landes in diesem Jahr von insgesamt 8,8 Milliarden Euro. Das basiert auf einem Haushaltsvolumen von insgesamt rund 35 Milliarden Euro. Das Kabinett plant, mit der Tilgung im Jahr 2024 zu beginnen, wenn nach der bisherigen Erwartung die Corona-Krise im Wesentlichen überwunden sein dürfte.
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Von dort an soll es 25 Jahre dauern, bis die jetzt aufgenommenen neuen Kredite wieder zurückgezahlt sind, also bis zum Jahr 2049. „Der Staat muss vorangehen, investieren und die Wirtschaft zum Laufen bringen. Alle anderen Wege sind wesentlich schlechter“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) ergänzte, der Einbruch der Wirtschaft führe dauerhaft dazu, dass jährlich in Niedersachsens Kasse rund 800 Millionen Euro fehlen werden. Daneben noch jährlich rund 350 Millionen Euro tilgen zu können, sei gegenwärtig kaum darstellbar – aber ab 2024 werde das angestrebt.
120 Millionen für Gastronomie und Tourismus
Nach dem Plan der Landesregierung verteilen sich die Ausgaben so: 3,5 Milliarden Euro werden an erwarteten Steuerausfällen in diesem Jahr ausgeglichen. 1,9 Milliarden Euro fließen für die Stabilisierung der Wirtschaft und dortige Investitionen, wie Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) erläuterte: 400 Millionen an Investitionshilfen für mittlere Unternehmen bis 249 Mitarbeiter (etwa der Auto-Zulieferbranche), 120 Millionen für Tourismus und Gastronomie, 100 Millionen für Startups, 190 Millionen für Bus- und Bahnbetriebe, 150 Millionen für den Breitbandausbau und 350 Millionen für Energiesparen beim Bau.
120 Millionen fließen in die energetische Sanierung von Hochschulen und 626 Millionen werden im Gesundheitssystem investiert – darunter 200 Millionen Euro für Schutzausrüstung und 250 Millionen für Entschädigungen (etwa für Eltern, die ihre Kinder wegen Corona nicht in den Kindergarten schicken konnten). 50 Millionen fließen für den Landesanteil am Pflegekräfte-Bonus (im Schnitt einmalig 500 Euro für jeden Altenpfleger). Das Innenressort erhält 37,5 Millionen Euro für neue Kraftfahrzeuge der Polizei.
1,1 Milliarden für die Kommunen
Für die Kommunen leistet das Land eine Hilfe von 1,1 Milliarden Euro, wie Innenminister Boris Pistorius (SPD) erklärte. Land und Bund teilen sich die Erstattung für die wegbrechende Gewerbesteuer in diesem Jahr, also je 407 Millionen Euro. Das geschieht so: Je Kommune wird der Durchschnitt der Gewerbesteuer-Einnahmen 2018 bis 2020 ermittelt. Ist der geschätzte Wert für 2021 geringer, erhält sie einen Ausgleichsbetrag. Für die Zuweisungen im Kommunalen Finanzausgleich (KFA) übernimmt das Land die wegen der Steuerausfälle zwangsläufigen Verluste aus 2020 (etwa 598 Millionen Euro). Die Kommunen sollen davon einen Anteil von 348 Millionen Euro später zurückzahlen, aber frühestens 2022. Das gilt jedoch erst, sobald der KFA-Umfang den gegenwärtigen Betrag von 4,9 Milliarden Euro überragen sollte. Außerdem sichert das Land pauschal 89 Millionen Euro zu für kreisangehörige Gemeinden, im Gegenzug verzichten die Kommunen auf Rufe, den Kindergarten-Härtefallfonds aufzustocken.
Die Haushaltsrechnung der Landesregierung geht nur auf, wenn auch die „globale Minderausgabe“ erwirtschaftet wird. 120 Millionen Euro sollen über Kürzungen im Haushalt erwirtschaftet werden. „Das kann geschehen, indem freiwerdende Stellen später oder gar nicht besetzt werden“, sagte Hilbers. Alle Ministerien sollten davon betroffen sein.
Unterschiedliche Reaktionen aus der Opposition
Die Reaktionen waren unterschiedlich. Julia Hamburg (Grüne) nannte die Investitionen ein „Strohfeuer“, die Regierung wirke kraftlos und packe keine mutigen Investitionen an. Christian Grascha (FDP) hält die Neuverschuldung für zu hoch. Was fehle, sei eine kritische Überprüfung aller bisherigen Ausgaben des Landes. Johanne Modder (SPD) und Dirk Toepffer (CDU) begrüßten das Konzept. Peer Lilienthal (AfD) sagte: „Bevor man Niedersachsen dermaßen neuverschuldet, hätte man alle zumutbaren Optionen zum Einsparen prüfen müssen.“
Es ist richtig, dass die Landesregierung den Haushalt wesentlich ausweitet und auf den Rotstift verzichtet.
Mehrdad Payandeh, DGB-Landeschef, lobte: „Es ist richtig, dass die Landesregierung den Haushalt wesentlich ausweitet und auf den Rotstift verzichtet.“ Volker Schmidt vom Arbeitgeberverband Niedersachsenmetall sagte: „Wir teilen die Sorge, dass das 25-Milliarden-Programm des Bundes für Überbrückungshilfen an einem hohen administrativen Aufwand, an extrem hohen Hürden und viel zu knapp geratenen Antragsfristen scheitert. Das neue Programm der Landesregierung ist dagegen pragmatisch und stellt eine überaus sinnvolle Ergänzung zur Förderung von Innovationen in der Autozulieferindustrie dar.“
Volker Müller von den Unternehmerverbänden meinte, auf Dauer bräuchten die Unternehmen eine Steuerreform und vereinfachte Genehmigungsverfahren. Bernhard Zentgraf vom Bund der Steuerzahler rügte, die Neuverschuldung von 8,8 Milliarden Euro in diesem Jahr sei „überzogen“, zulässig seien neue Kredite nur in dem Umfang, wie sie ausdrücklich zur Bekämpfung der Notsituation erforderlich seien. Daran bestünden hier massive Zweifel.