22. Aug. 2023 · Wirtschaft

Niedersachsen landet im Standortvergleich unter den Bundesländern auf Platz 5

„Industrie folgt Energie“: Dieser Faustregel folgend rechnet Ministerpräsident Stephan Weil in den kommenden Jahren mit einem erheblichen Wirtschaftsaufschwung für Niedersachsen. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln bestätigt den Regierungschef aus Hannover nun in seiner Erwartungshaltung – bremst sie aber gleichzeitig auch.

Setzt auf Windkraft: Stephan Weil. | Foto: Link

Im Standortranking landet Niedersachsen zwar gerade noch in der Gruppe der Top-5-Bundesländer, aber nur aufgrund seiner außerordentlich günstigen Voraussetzungen für die Versorgung mit erneuerbaren Energien und einer überdurchschnittlich guten Breitband-Versorgung. Beim Standortfaktor „Fachkräfteverfügbarkeit“ ist Niedersachsen dagegen nur mittelmäßig aufgestellt, bei der Verkehrsinfrastruktur sogar trauriges Schlusslicht unter den 16 Bundesländern. Die IW-Experten vergleichen auch alle 400 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland miteinander. Dabei wird deutlich: Bei der Standortattraktivität gibt es in Niedersachsen ein deutliches West-Ost-Gefälle.

Index mit den Standortfaktoren Erneuerbare Energien, Fachkräfte, Digitalisierung und Verkehrsinfrastruktur. | Quelle: IWD

„Die Landesregierung sollte die strategischen Standortvorteile, die Niedersachsen heute zu bieten hat, mit einer überlegten Imagekampagne aufnehmen. Mit einem klaren Fokus auf die Anwerbung ansiedlungswilliger Unternehmen und Fachkräfte.

Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall

„Die Studie bestätigt auf ganzer Linie: Niedersachsen verfügt aufgrund seiner Lage wie kaum ein anderes Bundesland über ideale Voraussetzungen, um die Chancen der Energiewende für die Ansiedlung von Unternehmen zu nutzen. Gleichwohl zeigen die Ergebnisse auch: Die Verfügbarkeit von Fachkräften wird zur unabdingbaren Voraussetzung dafür, dass neue Produktion und Wertschöpfung am Standort Niedersachsen überhaupt entstehen kann“, sagt Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall.

Volker Schmidt | Foto: Niedersachsen-Metall

Der Arbeitgebervertreter fordert eine Standortkampagne für Niedersachsen. „Die Landesregierung sollte die strategischen Standortvorteile, die Niedersachsen heute zu bieten hat, mit einer überlegten Imagekampagne aufnehmen. Mit einem klaren Fokus auf die Anwerbung ansiedlungswilliger Unternehmen und Fachkräfte. Niedersachsen sollte von sich reden machen – hier könnte einiges mehr passieren“, sagt Schmidt.

Hier sind die Ergebnisse der Studie in Kurzfassung:

Unternehmen fordern Ökostrom

Die klimaneutrale Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen ist für die deutsche Wirtschaft ein zentraler Standortfaktor. Das sagen nicht nur drei von vier Industrieunternehmen (74,5 Prozent), sondern auch jeder zweite Betrieb im weniger energieintensiven Dienstleistungssektor (47 Prozent). Dadurch geraten Niedersachsen und die anderen norddeutschen Bundesländer in den Fokus: „78,9 Prozent der Unternehmen bewerten Norddeutschland bezüglich einer mittelfristig klimaneutralen Energieversorgung als eher gut und sehr gut. Über die südlichen Bundesländer sagen dies nur 30 Prozent der befragten Unternehmen“, heißt es in der IW-Studie, die auf Antworten von 924 Unternehmen basiert.

So bewerten Unternehmen in Deutschland die Bedeutung dieser Regionen mittelfristig für die eigene klimaneutrale Energieversorgung. | Quelle: IWD

Standortverschiebungen innerhalb Deutschlands zeichnen sich demzufolge vor allem bei energieintensiven Vorprodukten ab. 27,3 Prozent der Unternehmen erwarten vermehrte Standortverlagerungen der Lieferanten energieintensiver Vorprodukte innerhalb Europas. Nur sechs Prozent der Betriebe gehen von vermehrten Abwanderungen innerhalb der eigenen Branche ins europäische Ausland aus. Tendenziell werden Standortverlagerungen der verschiedenen Marktakteure zwar eher außerhalb Deutschlands und innerhalb Europas erwartet. Der in Niedersachsen besonders starke Maschinen- und Anlagenbau stellt jedoch eine Ausnahme dar: In der Branche wird mit Standortverlagerungen generell eher außerhalb Europas gerechnet.

Mit Windkraft auf Platz 1

„Insgesamt ist in den meisten Regionen von einem deutlichen Anstieg des Strombedarfs auszugehen. Dies ergibt sich aufgrund der geplanten direkten Elektrifizierung durch beispielsweise Wärmepumpen und Elektroautos, sowie der indirekten Elektrifizierung durch die Erzeugung von grünem Wasserstoff durch Strom aus Erneuerbaren Energien“, schreiben die Studienautoren. Als größter Windkrafterzeuger unter den Bundesländern und immer noch fünftgrößter Solarstromproduzent führt Niedersachsen deswegen auch das Standortranking an. Dahinter folgen Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Bayern. Auch wenn der Freistaat wegen seiner zögerlichen Haltung zu Windkraft und Netzausbau in der Kritik steht, sind die Bayern beim Thema Photovoltaik doch einsame Spitze.

Quelle: IW

Fachkräfte fehlen in der Fläche

Der Fachkräftemangel ist zwar mittlerweile eher zu einem Arbeitskräftemangel ausgewachsen. Für das Ranking wird aber vor allem die derzeitige Verfügbarkeit von Fachkräften in den Regionen verglichen – genauer gesagt die Verfügbarkeit von Beschäftigten in den fertigungstechnischen Berufen sowie den Bau- und Ausbauberufen. Aber auch die vorhandene Bildungsinfrastruktur in Form von fachlich relevanten Forschungseinrichtungen spielt eine Rolle, wobei die Institute nicht zwangsläufig im Landkreis selber liegen müssen, die geografische Nähe bringt ebenfalls Punkte.

Niedersachsen befindet sich bei dieser Betrachtung zwar in der Verfolgergruppe, der Abstand zu NRW, Berlin, Bayern, Hamburg und Baden-Württemberg und Berlin ist jedoch groß. Zur Abwertung führt vor allem die relativ niedrige Zahl an Weiterbildungseinrichtungen, bei denen die Bundesländer mit einer höheren Einwohnerdichte besser abschneiden.

Quelle: IW

„Niedersachsen verfügt mit dem Forschungsdreieck Hannover-Braunschweig-Göttingen über eine der forschungsintensivsten Regionen Europas. Wir sollten den Anspruch haben, auch innerhalb Deutschlands Bildungsland Nummer eins zu werden“, sagt Niedersachsen-Metall-Chef Schmidt. Er fordert eine klare bildungspolitische Prioritätensetzung zugunsten von MINT-Unterricht in den Schulen, die Stärkung von Hochschulen und Universitäten und ganz besonders Ausbau der industrienahen Forschungseinrichtungen.

Digitalisierung relativ gut

Unter Digitalisierung versteht man heutzutage zwar wesentlich mehr als allein die Verfügbarkeit von schnellen Internetanschlüssen. Für das Ranking spielen digitale Behördenportale oder ähnliches aber keine Rolle. Dieser Betrachtungsweise hat es Niedersachsen wohl auch zu verdanken, dass man noch zur Spitzengruppe gehört. Dass rund 70 Prozent der Unternehmen eine Internetverbindung mit mindestens 1000 Mbit pro Sekunde haben, reicht für Platz 5. Wenn es um Glasfaseranschlüsse geht, landet Niedersachsen sogar auf Rang 4: Immerhin 31,35 Prozent der Unternehmen haben einen Anschluss direkt bis zum Firmengebäude. Dass auch in einem Flächenland mehr drin ist, zeigt allerdings Schleswig-Holstein, das in beiden Kategorien eine zehn Prozent bessere Versorgungsquote hat.

Zu wenig Autobahnen

„Die Erreichbarkeit durch eine gute Verkehrsanbindung stellt für nahezu alle Geschäftsmodelle einen wichtigen strategischen Standortfaktor dar“, sagen die IW-Experten und stellen dem Flächenland Niedersachsen, aber auch Sachsen-Anhalt, dabei ein schwaches Zeugnis aus. „Lüchow-Dannenberg, Holzminden und der Altmarkkreis Salzwedel bilden mit rund 45 Minuten Fahrtzeit die Schlusslichter“, berichten die Studienautoren. Im Schnitt benötigt man in Niedersachsen etwa 18 Minuten, um mit dem Auto zur nächsten Autobahn zu kommen.

Wer im Wendland zur nächsten Autobahn fahren möchte, muss viel Zeit dafür einplanen. | Foto: Link

Im Ranking reicht das nur für Platz 13, nur Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sind verkehrstechnisch schlechter erschlossen. In der Spitzengruppe befinden sich dagegen Bremen, das Saarland, Hamburg und Berlin, wo die nächste Autobahnauffahrt im Schnitt nicht weiter als sieben Minuten Fahrtzeit entfernt ist. Bei der Ladeinfrastruktur reicht es für Niedersachsen sogar nur für Platz 14. Pro 100.000 Elektrofahrzeuge gibt es zwischen Harz und Küste nur 11,66 Ladepunkte. Schlechter sind nur noch das Saarland und Hessen. Spitzenreiter ist Sachsen-Anhalt mit 22,72 Ladepunkten pro 100.000 Elektrofahrzeuge.

Emsland top, Uelzen flop

Im Standortvergleich unter allen insgesamt 400 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland gibt es einen für viele wohl unerwarteten Spitzenreiter: Der Landkreis Emsland liegt mit 72,08 von 100 Punkten noch vor München und Köln. Als einzige Region erhalten die Emsländer bei den Erneuerbaren Energien die volle Punktzahl, wobei unterdurchschnittliche Werte bei der Fachkräfteverfügbarkeit und bei der Verkehrsinfrastruktur die Westniedersachsen beinahe um den Thron gebracht hätten. Kaum besser beim Anschluss ans Straßennetz wird die Region Hannover bewertet, die aber dennoch auf Platz 6 landet. Weit oben im Ranking sind auch noch die Landkreise Vechta (29), Cuxhaven (30), Cloppenburg (36), Friesland (38) sowie die Stadt Salzgitter (39) zu finden. Letztere punktet im Gegensatz zu fast allen anderen Regionen mit ihrer guten Autobahnanbindung.

Quelle: IW

Am klaren West-Ost-Gefälle ändert das aber nichts. Ganz unten in der Tabelle rangieren die Landkreise Celle (386), Lüchow-Dannenberg (387) und Uelzen (393). Dass die Ostniedersachsen sogar schlechter als der neuerdings AfD-geführten Landkreis Sonnenberg in Thüringen (Platz 377) bewertet werden, liegt vor allem an der schwachen Verkehrsinfrastruktur. In den anderen Kategorien werden die drei Flächenlandkreise jedoch auch unterdurchschnittlich bewertet. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf, wenn ein möglicher wirtschaftlicher Aufschwung in Niedersachsen nicht am Osten vorbeigehen soll.

Quelle: IW
Dieser Artikel erschien am 23.8.2023 in Ausgabe #142.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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