Niedersachsen ist so sicher wie vor 30 Jahren, doch die Bürger fühlen sich zunehmend bedroht
Von Isabel Christian
Die nackten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die Kriminalität ist auf einen historischen Tiefstand gesunken, in Niedersachsen lebt man so sicher wie seit mehr als zehn Jahren nicht. Auf die Straftaten pro Einwohner gerechnet, war die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, zuletzt 1981 ähnlich groß. Damals kamen auf 100.000 Einwohner 6794 Straftaten, heute sind es 6621 Taten. Das ist das Bild, das die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vom abgelaufenen Jahr 2017 zeichnet. Innenminister Boris Pistorius und der frisch ernannte Landespolizeipräsident Axel Brockmann haben den Datenkatalog und seine Ergebnisse gestern vorgestellt. Uwe Kolmey, Präsident des Landeskriminalamts, stellte der PKS jedoch noch einen anderen Datensatz gegenüber: die Ergebnisse der dritten „Dunkelfeldstudie“, einer Befragung von rund 20.000 Niedersachsen zu ihrem Sicherheitsempfinden. Und diese Studie zeichnet das Bild einer Gesellschaft, die sich trotz abnehmender realer Gefahr zunehmend unsicher fühlt.
Furcht vor Einbruch 250 Mal höher als die Gefahr
Besonders deutlich wird die Diskrepanz beim Wohnungseinbruch. Statistisch gesehen wird bei einem von 1000 Menschen eingebrochen oder ein Einbruch versucht. Dagegen halten 23 Prozent der Befragten es für wahrscheinlich, dass innerhalb der nächsten zwölf Monate bei ihnen eingebrochen werden könnte. „Damit ist die Furcht vor einem Einbruch etwa 250 Mal höher als die tatsächliche Gefahr“, sagt Innenminister Pistorius. Das habe zwar den positiven Effekt, dass die Menschen sensibilisiert sind und ihre Wohnungen zunehmend mit Sicherheitstechnik gegen Einbrecher schützen. Aber die Angst sei auch ein Problem: „Die Menschen müssen sich prinzipiell sicher fühlen, um frei und selbstbestimmt leben zu können.“ Und dazu gehöre auch, dass sie sich keine Sorgen um ihr Eigentum machen müssten.
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Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 13.595 Einbrüche, ein Rückgang um 17 Prozent. In 8196 Fällen blieb es sogar beim Versuch, weil die Täter nicht in die Wohnung kamen oder gestört wurden, bevor sie etwas stehlen konnten. Zudem stieg die Quote der Aufklärung von Einbrüchen um 2,2 Prozent auf 23,6 Prozent. Pistorius macht dafür unter anderem die speziell für die Aufklärung von Wohnungseinbrüchen gebildeten Ermittlungsgruppen und die Einführung des Programms „PreMap“ verantwortlich. „PreMap“ analysiert aufgrund von Datensätzen das Gefährdungspotential in einer Gegend. Erste Ergebnisse des Testlaufs in den Polizeiinspektionen Wolfsburg und Salzgitter-Peine-Wolfenbüttel sollen demnächst vorgestellt werden. Für Pistorius ist das steigende Unsicherheitsgefühl beim Wohnungseinbruch dennoch ein Zeichen, dass noch mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. „Die Fakten aus der PKS zeigen, dass wir mit unseren Maßnahmen auf dem richtigen Weg sind. Aber wir müssen den Menschen noch stärker zeigen, dass sie sicherer leben als sie denken.“
Strafrechtsparagraf für Angriffe auf Polizisten ausgeweitet
Entgegen dem allgemeinen Trend der PKS ist die Gewalt gegen Polizisten angestiegen. 3179 Fälle gab es im vergangenen Jahr, bei denen mindestens ein Polizist angegangen worden ist. Neun Beamte trugen dabei schwere Verletzungen davon. Die Zahl der Angriffe auf Polizisten stieg damit insgesamt um 427 Fälle. Ein Teil davon dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass im vergangenen Mai der Strafgesetzbuchparagraf für Angriffe auf Vollstreckungsbeamte wie Polizisten ausgedehnt worden ist. Im zusätzlichen Paragrafen 114 StGB ist nun festgelegt, dass der Angriff nicht mehr im Zusammenhang mit einer Vollstreckung wie etwa einer Festnahme oder einer Räumung stehen muss, sondern auch dann mit einer mindestens dreimonatigen Freiheitsstrafe geahndet werden kann, wenn der Polizist einer anderen Tätigkeit innerhalb seines Dienstes nachgegangen ist. Zum Beispiel der Sicherung eines Gebäudes oder einer Demonstration. „Diese Entwicklung ist dennoch nicht hinnehmbar“, sagt Pistorius. Wer Polizeibeamte angreife, greife die gesamte Gesellschaft an. Als absolut „besorgniserregend“ bezeichnete der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Mildahn, die Entwicklung. „Das bedeutet, dass im vergangenen Jahr jeden Tag hier in Niedersachsen neun Polizisten angegriffen wurden. Das ist weiterhin völlig inakzeptabel und erfordert eine klarere Vorgehensweise des Staates.“
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Die Dunkelfeldstudie hat darüber hinaus ergeben, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei gesunken ist. So gaben 22 Prozent der Befragten an, von der Polizei ungerecht behandelt worden zu sein. Um einen Prozentpunkt auf 17,4 Prozent ist auch die Zahl derer gestiegen, die die Polizei als nicht engagiert empfinden. Und vier von zehn Befragten fanden sich von der Polizei nicht auf dem Laufenden gehalten. „Diese Dinge wiederum hängen vermutlich mit einer anderen Zahl zusammen“, bilanziert Kolmey. „Ein Drittel der Befragten hält die Polizei für überlastet.“ Aus Sicht der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) eine bedenkliche Entwicklung: „Offensichtlich ist die Wahrnehmung der Polizeigewerkschaften mittlerweile auch in der Bevölkerung angekommen“, sagte der DPolG-Landesvorsitzende Alexander Zimbehl gegenüber dem Politikjournal Rundblick. Das verdeutliche einmal mehr den dringenden Bedarf an zusätzlichem Personal für die Polizei.