26. Sept. 2025 · 
TagesKolumne

Niedersachsen ist das bessere Belgien

Föderalismus ohne Krise, Dialekte ohne Drama, Protest ohne Barrikaden – Niedersachsen zeigt den Belgiern, wie es einfacher geht.

Nach meinem Ausflug nach Lausanne denke ich manchmal wehmütig an den Frühstücksraum meines Hotels zurück. Dort gab es nicht nur einen traumhaften Ausblick auf den Genfer See und kleine Le-Gruyère-Käseriegel, sondern auch eine ausgezeichnete Belgische Nuss-Nougat-Creme – zumindest dem Namen nach. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich, dass die vermeintlich belgische Schokoladenkunst vom Honighof Göken aus Thüle im Landkreis Cloppenburg stammt, der in der europäischen Hotelszene für seine selbst entwickelten Konfitüre- und Honigspender geschätzt wird. Und als ich später dann noch im Feinkost-Bierladen das friesisch-herbe Jever-Pils direkt neben den belgischen Bierspezialitäten stehen sah, wurde mir klar: Vom Alpenrand aus betrachtet, verschwimmen Belgien und Niedersachsen irgendwo jenseits des Rheins zu einer einzigen Region: flach, wetteranfällig und mit erstaunlich einsilbigen Bewohnern.

Exportschlager aus Niedersachsen: Konfitüre-, Honig- und Nougatspender aus Thüle sind auch am Genfer See gefragt. | Foto: Link

Für alle unsere Schweizer Leser möchte ich an dieser Stelle jedoch klarstellen: Niedersachsen ist das bessere Belgien.

Belgien ist berühmt für seine föderalen Grabenkämpfe. Niedersachsen hingegen hat Landkreise wie Lüchow-Dannenberg und Cloppenburg friedlich unter einem Dach vereint – und das ganz ohne eigene Regionalparlamente. Selbst Ostfriesen akzeptieren einen Landtag in Hannover, was vom Friedensnobelpreis-Komitee bislang aber nicht hinreichend gewürdigt wurde.

In Belgien werden drei Sprachen offiziell gefördert, in Niedersachsen gibt es mindestens ebenso viele Dialekte. Rund um Hannover spricht man Hochdeutsch, an der Nordsee ein weitgehend unverständliches Plattdeutsch, im Osnabrücker Land verwirrt man Auswärtige mit Ausdrücken wie Schmöttke oder Sonneküken – und keinen kümmert’s.

Belgien hat mühsame Kompromissmodelle für fast alles – und trotzdem Streit. In Niedersachsen reicht ein Bierzelt, eine Frikadelle und der Satz: „Dann machen wir das jetzt so.“ Deswegen müssen die Regierungsbildungen in Hannover anders als in Brüssel auch nie vertagt werden.

Belgien gilt als regnerisch – aber in Niedersachsen weht ein Wind, bei dem man Kinder mit Backsteinen beschweren muss, Wahlplakate besser mit Spanngurten an Bäumen festzurrt und seine Pommes-Frites-Tüte lieber drinnen isst, wenn man sie nicht aufs offene Meer hinausfliegen sehen will.

Und während in Belgien Bauern, Beamte und Lokführer regelmäßig streiken, demonstriert man in Niedersachsen lieber sachlich und geordnet. Wer hier protestiert, macht das nicht mit Bengalos, Straßensperren oder Steinwürfen, sondern äußert seine Bedenken im Akzeptanzdialog oder mit einer Petition an den Landtag – aber bitte mit Aktenzeichen und Anlagenverzeichnis.

Während Belgien also weiter um seine Identität ringt, funktioniert Niedersachsen – oft unauffällig, meist windig, gelegentlich widerwillig, aber erstaunlich stabil. Das zeigt sich auch bei den Themen der heutigen Ausgabe:



  • Finanzen: Für Finanzminister Gerald Heere kommt es ganz dick: Nun üben auch die unabhängigen Landtagsjuristen scharfe Kritik an seinem Konzept für die NIA.


  • Soziales: Jugendarbeit lebt vom Ehrenamt. Doch was tun, wenn die Freiwilligen keinen Bock auf Vorstandsarbeit haben? In Hannover geht man einen neuen Weg. Ein Modell für andere Kommunen?


  • SPD: Die SPD im Bezirk Hannover leitet eine neue Ära ein - der Vorsitzende Matthias Miersch geht, es kommt das Team aus Grant Hendrik Tonne und Svenja Stadler.


  • Personen und Positionen: Peter Mümmler (LPKF), Carl-Ulfert Stegmann (Norden-Frisia), Michael Kaiser (GVN) und Sebastian Zinke und Brian Baatzsch (beide SPD).


Kommen Sie gut in die Woche!



Ihr Christian Wilhelm Link

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #170.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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