Bevor am Donnerstag das neue Schuljahr in Niedersachsen beginnt, häufen sich wieder einmal die schlechten Nachrichten: In der vergangenen Woche bekannte das Kultusministerium, dass womöglich bis zu 300 Lehrkräfte fehlen könnten. Von 1748 offenen Stellen konnten bis zu diesem Zeitpunkt erst 1414 besetzt werden, berichtete der „Norddeutsche Rundfunk“. Allerdings laufen die Besetzungsverfahren ständig weiter, die Zahl des Mangels könnte sich also noch verringern. Das ändert jedoch wenig daran, dass die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ihren ganz eigenen Einschätzungen folgend, noch größere Fehlstände darstellt.

Wie Gewerkschaftschef Stefan Störmer am Montag erklärte, fehlten nach GEW-Erhebungen bis zu 11.000 Beschäftigte an Niedersachsens Schulen, davon 8000 Lehrkräfte und 3000 Schulsozialarbeiter, Therapeuten und andere pädagogische Kräfte. Die Zahl der Neubesetzungen liegt in diesem Jahr noch einmal um 200 Stellen unterhalb des Vorjahresniveaus, kritisiert Störmer. Waren es in den vergangenen Jahren nach den Sommerferien noch gut 1620 neue Lehrkräfte, sind es nun wohl nur noch 1420. Rechne man die Besetzungsverfahren beider Schulhalbjahre zusammen, sei man in der Vergangenheit noch auf 2700 neue Fachkräfte gekommen, nun erreiche man kaum die 2400er-Marke.

die Menge der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst zurück.
Das ist ein echtes Alarmzeichen“, sagt Stefan Störmer. | Foto: GEW
Die Tendenz ist dabei eine negative, denn die Zahl der Anwärter nimmt ebenso ab. Aktuell befänden sie laut GEW noch 3630 angehende Lehrkräfte in der dreijährigen Ausbildungsphase; 2022 waren es noch 3900 und im Jahr davor noch 4280. Auch beim Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL) beklagt man mangelnde Bewegung in der Bildungspolitik: Das neue Schuljahr werde für sehr viele Schulen so beginnen, wie das vorherige geendet sei – mit zu wenig Lehrern und wiederkehrendem Unterrichtsausfall. Insbesondere in den nicht-gymnasialen Schulformen und in ländlichen Regionen sei die Einstellungsquote zu schlecht. „Die Folgen werden verheerend für die weitere schulische Laufbahn der Schülerinnen und Schüler“, erklärte der VNL-Landesvorsitzende Torsten Neumann.
Zu den schlechten Zahlen gesellt sich nun ein schlechtes Feedback aus den Reihen der Referendare und Berufseinsteiger. Die GEW Niedersachsen hat im Juni und Juli in diesen Gruppen nachgefragt und insgesamt 600 Antworten erhalten. Die Ergebnisse bezeichnet GEW-Chef Störmer als „alles andere als zufriedenstellend“. 84 Prozent der Befragten gaben dabei nämlich an, sich durch ihr Studium nicht gut auf das schulische Erleben vorbereitet zu fühlen. Die Gewerkschaft spricht von einem „Praxisschock“ am Ende des Vorbereitungsdienstes.
Dabei gaben 81 Prozent der Referendare und Berufseinsteiger an, die Arbeit eigentlich gern zu machen – für 88 Prozent reiche die Zeit aber nicht aus, um den eigenen Ansprüchen zu genügen. Mehr als die Hälfte klagt über eine hohe psychische Belastung. Die Konsequenz sei, dass fertig ausgebildete Lehrer in den Schuldienst gingen und sofort eine Teilzeitbeschäftigung wählten, erklärt Störmer und ergänzte: „Dabei wäre es doch wünschenswert, dass man vom ersten Tag an so befähigt ist, seine Arbeit vollumfänglich leisten zu können.“

Was kann nun helfen gegen eine Überforderung der Berufseinsteiger und einer Überlastung des gesamten Systems Schule?
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wagt sich in diesem Sommer mit einem Modell zur Reform der Ausbildung und des Berufseinstiegs für Lehrer nach vorn. Die Ausbildung solle stärker am Berufsalltag orientiert sein. Dazu solle zunächst bereits im Studium der Praxisanteil von derzeit 18 Wochen in der Ausbildung von Grund-, Haupt- und Realschullehrern und lediglich acht Wochen bei Gymnasiallehrern entsprechend angehoben werden.
Außerdem will die GEW die Ausbildungszeit vom Studienbeginn bis zur Verbeamtung um anderthalb auf acht Jahre verkürzen. Dazu soll die bisher zweigeteilte Phase von anderthalb Jahren Referendariat und Vorbereitungsdienst plus drei Jahren Probezeit und Bewährungsphase zu einer insgesamt nur dreijährigen Einführungsphase verschmolzen werden.

Die GEW kritisiert in diesem Zusammenhang, dass das Referendariat in seiner derzeitigen Form zwar auf die Staatsprüfung in Form von nach gewissen Schemata aufgebauten Prüfungsunterrichtsstunden vorbereite – nicht aber auf den schulischen Alltag. An die Stelle der Prüfungsorientierung sollte stattdessen eine Coaching-Phase treten, in der die Berufseinsteiger, die ab dem ersten Tag auf einer Planstelle eingesetzt werden soll, intensiv begleitet werden.
Die Umstellung der Lehrerausbildung würde die aktuelle Notlage allerdings nicht abmildern, sondern erst perspektivisch Entlastung bringen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat deshalb nun in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ die politische Forderung formuliert, man müsse die Pensionäre stärker umwerben und dazu bewegen, zumindest in Teilzeit wieder oder weiterhin an der Schule tätig zu sein.

Diese Idee ist nicht neu und wird bereits in dem von Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) initiierten „Dialogforum zur Lehrkräftegewinnung“ diskutiert. Dabei soll auch der Frage nachgegangen werden, wie eine solche Wiedereinstellung möglichst bürokratiearm möglich sein kann. Die wohl simpelste Variante wäre es wohl, die Lehrkräfte erst gar nicht komplett aus dem Dienstverhältnis zu verabschieden.
Offenbar hat aber eine entsprechende Ansprache jener Lehrkräfte, die nun zum Sommer den Schuldienst verlassen haben, bislang nicht stattgefunden. So berichtet es zumindest die GEW und zeigt sich durchaus irritiert darüber, dass ein solch einfacher und auch kosten- und aufwandsarmer Schritt noch nicht umgesetzt worden sei.
Sollte es nun so kommen, wie allseits befürchtet wird, plädiert die GEW für eine Überarbeitung der Stundentafel respektive des Lehrplans. Wenn weniger Menschen die gleiche Arbeit verrichten müsse, erwarte man von der Landesregierung, dass eine Entlastung bei den curricularen Vorgaben geprüft werde.
GEW-Chef Störmer schlägt vor, dass es einen neuen verbindlichen Kanon geben sollte, der dann nach Möglichkeit um fakultative Inhalte erweitert werden kann. Zumindest für eine Übergangsphase, bis die Lehrerstellen in einigen Jahren wieder aufgestockt werden können, bedeutete ein solcher Schritt also ein Sparen an der Qualität der schulischen Ausbildung – oder ein Rückbesinnen auf die wirklich wichtigen Inhalte.

nicht vorstellen, dass sie ihren jetzigen Job bis zum regulären Renteneintrittsalter durchhalten. | Quelle: GEW