12. März 2024 · 
Inneres

Niedersachsen bekommt nach sieben Jahren wieder einen Untersuchungsausschuss

In bald 78 Jahren Landesgeschichte hat der Landtag, die Volksvertretung Niedersachsens, bisher erst 24 Untersuchungsausschüsse erlebt. Das sind im Schnitt alle 3,25 Jahre ein Ausschuss. Ist das nun wenig oder viel? Tatsache ist jedenfalls: Der letzte „Parlamentarische Untersuchungsausschuss“, in Kurzform „Pua“ gesprochen und „PUA“ abgekürzt, liegt schon bald sieben Jahre zurück. Er war zwischen Juni und November 2017 und beschäftigte sich mit der „Vergabeaffäre“. Es ging um den Vorwurf, die Landesregierung habe bei Auftragsvergaben an Firmen, etwa im PR-Bereich, die Vorschriften der Ausschreibung und ordnungsgemäßen Auswahl nicht ausreichend berücksichtigt. Zwei Staatssekretäre mussten damals gehen, Daniela Behrens (heute Innenministerin) und Michael Rüter, seinerzeit Leiter der Landesvertretung in Berlin. Das landespolitische Geschäft ist recht schnelllebig, deshalb können sich die meisten heute aktiven Abgeordneten und Journalisten kaum noch an den PUA zur Vergabeaffäre erinnern.

Im Fokus: Niedersachsens Staatskanzlei | Foto: Kleinwächter

Die Untersuchungsausschüsse gelten als „das schärfste Schwert der Opposition“ – und das liegt vor allem an den Mitteln, die den Mitgliedern dieses Gremiums gegeben werden. Zum einen sind diese Ausschüsse ein Minderheitenrecht, es genügt die Zustimmung von einem Fünftel der Abgeordneten, um einen solchen Ausschuss einzusetzen. Die Mehrheit im Landtag darf auch das Kernanliegen der Antragsteller nicht verwässern – etwa mit einer extremen Ausweitung des Untersuchungszeitraums. So lautete ein wegweisendes Bückeburger Urteil von 2017. In der Zusammensetzung des Ausschusses müssen sich gleichwohl die Mehrheitsverhältnisse des Landtages widerspiegeln. Der Vorsitz rotiert in einer seit Jahren geübten Praxis zwischen beiden großen Fraktionen. Wenn in Kürze der 25. PUA zur Büroleiter-Affäre eingesetzt wird, geht diese Rolle an die CDU. Die Sitzungsleitung ist durchaus wichtig, denn die Untersuchungsausschüsse sind eine Mischung: Zum einen haben sie den Charakter der normalen Landtagsausschüsse, in denen die Abgeordneten über Befragungen von Beamten und Sachverständigen einen Sachverhalt aufklären wollen. Zum anderen aber haben diese Ausschüsse auch etwas von Gerichtsverhandlungen. Der Vorsitzende agiert wie „der Vorsitzende Richter“ in einem Prozess. Er befragt die Zeugen, bittet sie, sich genau zu besinnen und ihre Erlebnisse preis zu geben. Sagt der Zeuge, sich nicht mehr genau erinnern zu können, so kann er auch vereidigt werden – und eine uneidliche Falschaussage ist mit Strafen bewährt, wie es auch vor Gericht der Fall ist. Zugleich kann der Vorsitzende die Zeugen mit Schriftstücken und Aktenvorgängen konfrontieren. Denn der zweite große Vorteil des PUA ist, dass die Mitglieder in interne Akten der Landesregierung Einblick nehmen können und so erfahren, was in einem Bereich passiert ist, der normalerweise von außen nicht eingesehen werden kann.

Die Kunst der Aufklärung besteht nun darin, Widersprüche zwischen den Zeugenaussagen aufzudecken, Ungereimtheiten in den Akten abzugleichen mit den mündlichen Einlassungen der Beteiligten dazu. Im günstigsten Fall kann es der Opposition gelingen, Fehlentscheidungen, interne Unstimmigkeiten, bisher verborgen gebliebene Widerstände von Beamten gegen Anweisungen oder ähnliche Ungereimtheiten aufzudecken. Oder es klappt sogar, bei der Einlassung eines Zeugen Widersprüche aufzudecken und so seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Dabei ist es häufig so, dass die eine Seite der Ausschussmitglieder – meistens sind es die Fraktionen, die die Regierung tragen – weniger Interesse an derartigen Enthüllungen hat. Sie hat tendenziell das Ziel, die Regierung zu entlasten und die Vorwürfe der Opposition als überhöht, ungerechtfertigt und dramatisiert zu entlarven. Die Opposition wiederum neigt dann dazu, Disharmonien in der Regierung und Verfehlungen herauszustellen und anzuprangern. Sie hält den Regierungsfraktionen dann häufig eine Strategie der Verharmlosung und Beschwichtigung vor.

Minister und Staatssekretäre im Fokus

Vor allem für Minister und Staatssekretäre können Untersuchungsausschüsse riskant sein. Der mögliche Zwiespalt zwischen mündlichen Aussagen und Vermerken in den Akten kann nirgendwo so gut festgestellt werden wie in einem solchen Gremium. Wenn nun ein Minister in einer heiklen Angelegenheit als Zeuge etwas aussagt, das ihm später anhand der Akten als unwahr nachgewiesen werden kann, besiegelt das möglicherweise sein politisches Schicksal. Dann stünde nämlich ein Verstoß gegen Artikel 24 der Landesverfassung zur Diskussion, der alle Regierungsmitglieder verpflichtet, „nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig“ auf Landtagsanfragen antworten zu müssen. Das prominenteste Beispiel dafür bietet der frühere Innenminister Wilfried Hasselmann (CDU), der im 12. PUA 1988 zur Frage der Spielbank-Konzessionen Auskunft geben musste. Dabei verschwieg er, eine Parteispende von 40.000 D-Mark vom Vertreter eines Betreibers angenommen zu haben. Als das aufgefallen war, blieb Hasselmann am Ende nur der Rücktritt. Tatsächlich sind aber derart dramatische Folgen von PUA-Beratungen bisher in der Landesgeschichte eher die Ausnahme geblieben.

Beim Blick auf die bald 25 Untersuchungsausschüsse fällt einiges auf: Umwelt-Themen sind verknüpft mit der Sorge um den ausreichenden Schutz für Wasser, Luft und Boden durchaus relevant. Da gibt es Beispiele wie das Atommüll-Endlager Asse II, bei der es eher um die historische Aufarbeitung und die Suche nach Verantwortlichkeiten für Nachlässigkeiten ging, oder auch die Sondermüll-Entsorgung, die in den achtziger Jahren untersucht wurde. Noch stärker geht es um Themen der inneren Sicherheit und die Frage, ob der Polizei in größeren Einsätzen Versäumnisse angelastet werden können. Das betrifft die Chaos-Tage der Punk-Szene in Hannover, die 1995 aufbereitet wurden, oder auch der islamistische Angriff der Schülerin Safia S. auf einen Polizisten im hannoverschen Hauptbahnhof im Jahr 2016. Anfang der neunziger Jahre ging es um das Sicherheitskonzept der JVA Celle, einige Jahre zuvor um die Frage, ob der Verfassungsschutz bei seinem Agieren gegen den Terrorismus seine gesetzlichen Grenzen überschritten hatte. 2006 wurde das Transrapid-Unglück im Emsland untersucht. In all diesen Fällen hat der PUA dann die Aufgabe, das Geschehene nachzuzeichnen und mögliche strukturelle Mängel im Sicherheitsapparat zu identifizieren.



Der nächste große Komplex sind Vorgänge in der Regierung, zumeist personalpolitische Entscheidungen, bei denen der Verdacht des Verstoßes gegen Gesetze und allgemeine Regeln geht – auch der Korruptionsverdacht spielt dort tendenziell mit rein. Das war sicher der Antrieb dafür, nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Gerhard Glogowski 1999 dessen Wirken noch einmal in einem PUA nachzuprüfen. 1995 wurde in der „Familienfilz-Affäre“ der damaligen Umweltministerin Monika Griefahn erörtert, ob die Politikerin ihren Ehemann als Aufsichtsratsmitglied der Expo bei einer Auftragsvergabe begünstigt hatte. Der Jade-Weser-Port-Ausschuss 2007 ging der Frage auf den Grund, ob die Landesregierung in den zuständigen Gremien den günstigsten Anbieter ausgebootet hatte – wegen langfristiger Verknüpfungen mit der Bremer Hafenwirtschaft. 2013 wurde das Wirken des entlassenen Agrar-Staatssekretärs Udo Paschedag nachgezeichnet – unter der Fragestellung, ob der Spitzenbeamte sich womöglich mit politischer Rückendeckung eine Sonderstellung verschafft hatte. Die Zeugenbefragungen lieferten eine einprägsame Charakterstudie über Akteure und Abläufe in einer großen Landesbehörde, hier im Agrarministerium. Der 6. PUA im Jahr 1955 arbeitete die Frage auf, wie der rechtsextreme Politiker Leonhard Schlüter Kurzzeit-Kultusminister hatte werden können – und ob hier interne Frühwarnsysteme versagt hatten. Doch die Mehrheit entschied sich im Abschlussbericht, an dieser Stelle kein Fehlverhalten von Ministerpräsident Heinrich Hellwege (DP) festzustellen.

Diese Fragestellung dürfte sich nun beim nächsten, dem 25. PUA, fast 70 Jahre später wiederholen. Hat sich der Ministerpräsident bei dem Thema, das untersucht werden soll, Fehler zuzuschreiben? Maßgeblich für die Beurteilung dürften die zu erwartenden vielen Zeugenaussagen sein.

Dieser Artikel erschien am 13.3.2024 in Ausgabe #048.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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