„Nicht für alle Aufgaben brauchen die Polizisten ein Studium“
Im Oktober vor zehn Jahren wurde die Polizeiakademie Niedersachsen gegründet. Seitdem muss jeder, der Polizist werden will, eine dreijährige Ausbildung mit Studium absolvieren. Den mittleren Dienst gibt es nicht mehr. Professor Dr. Bernhard Frevel ist Professor für Soziologie, Politikwissenschaft und Sozialwissenschaftliche Methoden an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Er forscht im Bereich der Polizeiausbildung. Isabel Christian sprach mit ihm.
Rundblick: Herr Professor Frevel, zusammen mit einem britischen Forscher veröffentlichen Sie demnächst ein Buch über internationale Trends und Erkenntnisse zur hochschulischen Polizeiausbildung. In Ihrem Beitrag über Deutschland geben Sie sich als Befürworter einer dualen Polizeiausbildung zu erkennen, bei der die Anwärter auch studieren müssen. Aber muss man denn unbedingt einen Hochschulabschluss haben, um Verkehrsunfälle aufzunehmen?
Frevel: Ein Kollege vergleicht das gern mit dem Zahnarzt. Von dem erwarte ich in erster Linie, dass er sein Handwerk beherrscht und geschickt das Loch in meinem Zahn flicken kann. Aber ich erwarte auch, dass er weiß, warum er das tut. Diese zwei Aspekte gelten bei der Polizei auch. Polizisten haben einen sehr anspruchsvollen Beruf. Sie müssen ihr klassisches Handwerk beherrschen, strategisch und analytisch planen können und hin und wieder auch Gewalt anwenden. Das muss aber alles grundrechtlich fundiert sein, immerhin greifen sie in elementare Rechte ein. Dazu brauchen sie nicht nur Wissen, sondern auch Fingerspitzengefühl. Dieses umfassende Set aus wissenschaftlicher Qualifikation und praktischer Ausbildung kann ein Studium mit zugehöriger polizeipraktischer Ausbildung meiner Meinung nach bieten. Allerdings differenziere ich auch. Für einige Aufgaben in der Polizei ist es nicht notwendig, studiert zu haben. Und auf der anderen Seite gibt es auch Nachwuchspolizisten, die nicht fähig oder willens sind, zu studieren.
Rundblick: Zu diesem Schluss kam auch eine Untersuchung des Beratungsinstituts Kienbaum 1991. Der Beruf eines Polizisten sei so anspruchsvoll und erfordere so viele Fertigkeiten, dass er nur von gut ausgebildeten Menschen ergriffen werden sollte. Deshalb rieten die Berater dazu, den mittleren Dienst abzuschaffen und nur noch für den gehobenen Dienst einzustellen. Doch wenn die akademische Grundausbildung einen positiven Effekt hat, warum haben sich seit dem „Kienbaum-Report“ nur sechs Bundesländer für die Abschaffung des mittleren Dienstes und die Einführung eines Dualen Studiums als Pflichtausbildung für alle Polizeibeamten entschieden?
Frevel: Weil es keine Studien gibt, die empirisch belegen könnten, dass das eine oder das andere System besser ist. Aus der reinen Wahrnehmung heraus sehe ich nicht, dass die Polizisten in Bayern, wo es noch den mittleren Dienst gibt, schlechter arbeiten würden als in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen, wo das Duale Studium Pflicht ist. Die Länder mit dem Ausbildungssystem ohne Pflichtstudium leiten daraus ab, dass sich ihr System bewährt hat, und folgen den Empfehlungen des „Kienbaum-Reports“ nicht. Wie ich schon sagte, braucht man nicht für alle Aufgaben in der Polizei ein Studium, man kann die mittlere Ebene also belassen. Allerdings bringt man dadurch wieder mehr Verantwortung in die Hierarchie, denn Polizisten im mittleren Dienst müssen intensiver angeleitet werden.
Rundblick: Warum gibt es denn keine Studien über die beiden Ausbildungsvarianten? Immerhin ist der „Kienbaum-Report“ mittlerweile 26 Jahre alt und die Polizeiakademien gibt es auch nicht erst seit gestern…
Frevel: Es liegt nicht an den Möglichkeiten, sondern am Willen der Politik. Die Diskussion ist bisher immer standespolitisch geführt worden, aber nicht evidenzbasiert. Die Innenminister wollen die Daten nicht herausgeben, weil sie befürchten, dass ihr jeweiliges Ausbildungssystem als das Schlechtere abschneiden könnte. Und wie will man dann der Bevölkerung einerseits erklären, warum man jahrelang unnötig viel Geld in eine akademische Ausbildung investiert hat oder andererseits, warum man seine Polizisten nicht vernünftig ausgebildet hat? Aber genau das wiederum finde ich seltsam: Warum will offensichtlich niemand wissen, ob das Duale Studium für die zweigeteilte Laufbahn tatsächlich das bessere System ist, wo es doch um ein hohes Gut – den Schutz der Gesellschaft – geht, und viel Geld dort hineininvestiert wurde.
Rundblick: Wie gehen denn andere europäische Länder mit dem Thema um?
Frevel: Wir Wissenschaftler sehen einen deutlichen Trend zur akademischen Polizeiausbildung in Europa. Allerdings differenzieren die anderen Länder stark. In Großbritannien zu Beispiel startet jeder als Constable, was hier dem Polizeimeister des mittleren Dienstes entspricht, und steigt erst im Laufe der Jahre zum Inspektor auf. Bei uns steigen die jungen Beamten gleich als Kommissare ein, was in Großbritannien dem Inspektor entspricht.
Rundblick: Damit sprechen Sie ein Problem an, das die zweigeteilte Laufbahn mit sich bringt. Die meisten der jungen Polizisten können nur noch zwei Dienstgrade höher befördert werden, bevor sie in Rente gehen. Ist das ein notwendiges Übel oder besteht Handlungsbedarf?
Frevel: Für die, die im mittleren Dienst eingestiegen und aufgestiegen sind, ist es ein Problem. Befördert zu werden ist Teil ihrer Kultur. Dagegen glaube ich, dass sich viele Berufseinsteiger dessen gar nicht bewusst sind. Das muss die Beförderungspolitik im Blick behalten. Denn es kann zu mehr Berufszufriedenheit führen, aber auch eine tickende Zeitbombe für die Mitarbeiterzufriedenheit sein.
Rundblick: Befragungen unter Polizeistudenten haben aber auch ergeben, dass viele Studenten nicht ganz zufrieden mit der Ausgestaltung des Dualen Studiums sind, sie wünschen sich mehr Praxisanteil und weniger Wissenschaft, die für ihren Alltag nicht relevant sei. Wie viel Spielraum haben die Akademien dabei?
Frevel: Das hat zwei Dimensionen. Zum einen zeigt das, was die jungen Leute wollen, wie sie sich den Polizeiberuf vorstellen. Aber die Fernsehserie „Alarm für Cobra 11“ ist nicht die Wirklichkeit. Polizeiarbeit ist nicht nur Action. Hier muss man klar abgrenzen, was sinnvoll ist und was die Studenten lediglich meinen, was wichtig ist. Das andere ist eine Frage der Laufbahn. Wenn Polizeistudenten zum Ende ihrer Ausbildung den Bachelor verliehen bekommen, so muss die Qualifikation mit den Bachelor-Abschlüssen in anderen Studiengängen vergleichbar sein. Hier müssen europäische Standards eingehalten werden. Man kann nicht einfach eine Ausbildung nehmen, ein bisschen Theorie hinzufügen und zum Schluss den Bachelor vergeben. Das würde die Hochschulpolitik und Standards der Wissenschaft untergraben.
Rundblick: Wie bewerten Sie denn die Duale Ausbildung an der Polizeiakademie Niedersachsen?
Frevel: Das Studium an der Polizeiakademie Niedersachsen kenne ich nicht im Detail, sondern nur aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen. Auf dieser Grundlage bin ich nicht ganz zufrieden mit dem Konzept. Hier sind meiner Meinung nach die wissenschaftlichen Anteile kleiner als sie meines Erachtens sein sollten. Empirisch kann ich das aber nicht belegen. Ich finde es allerdings lobenswert, dass die Akademie ihr Bewerberpotenzial erweitert, indem sie Realschülern anbietet, ein Fachabitur zu machen und dann in die reguläre Ausbildung einzusteigen. Damit bezieht sie auch untere Bildungs- und Sozialschichten mit ein und macht aus der Polizei keinen Beruf für die Elite. Das hat Niedersachsen clever gelöst.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #190.