Darum geht es: An diesem Freitag ist es 100 Jahre her, das in Deutschland die Republik ausgerufen wurde. Das geschah damals gleich mehrfach, am Reichstag verkündete Philipp Scheidemann „es lebe die deutsche Republik“, vor dem Stadtschloss im späteren Ostteil Berlins gab Karl Liebknecht den Startschuss für „die freie sozialistische Republik“. Worauf sollen wir heute stolz sein? Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Mit den historischen Jahrestagen ist es so wie mit den historischen Persönlichkeiten. Nur wenige „Große“ der Vergangenheit eignen sich durchweg als Vorbilder – denn bei näherer Betrachtung findet man neben Licht- auch Schattenseiten. Einige prägende Figuren der Geschichte, an die eine Erinnerung in jedem Fall lohnt, sind in eine tragische Rolle gedrängt worden. Paul von Hindenburg etwa, der frühere Reichspräsident, war nun wahrlich kein Förderer der Demokratie. Aber er hat früher in Hannover eine große Rolle gespielt. Soll man deshalb heute keine Straße mehr nach ihm benennen und so riskieren, dass er vergessen wird?

Was genau sollten wir heute würdigen?

Ähnlich ist es nun mit dem heutigen Jahrestag, dem 9. November. Nicht nur die Vielfalt der Jahreszahlen als Bezugsgröße macht den Umgang der Deutschen mit diesem Datum so schwierig. Soll man an die Pogrome der Nazis gegen die Juden im Jahr 1938 erinnern, an die deutsche Revolution 1918, an den misslungenen Hitler-Putsch in München 1923 oder an den Fall der Mauer 1989? In diesem Jahr, das liegt nah, sind es die runden Jahrestage, also die Gewaltakte der Nazis gegen die Juden vor 80 Jahren und die Abdankung des Kaisers vor 100 Jahren. Aber auch wenn man den 9. November 1918 isoliert betrachtet, ist eine Rückbesinnung problematisch. Was genau ist es, das wir am heutigen Tag würdigen sollten? Anders gefragt: Welches politische Idealbild haben wir vor Augen, wenn wir pauschal die „Revolution von 1918“ anpreisen?

Gerade im linken politischen Lager, gründet auf die Philosophie von Jean Jacques Rousseau und die Theorien von Karl Marx, wird als eigentliche Politik gern die Bewegung von Massen angesehen, oder genauer: von unterdrückten Massen, die sich gegen die Obrigkeit auflehnen. Verehrungswürdig erscheint dort der Moment des Aufbegehrens gegen die Mächtigen mit dem Ergebnis eines Umsturzes. Wie problematisch das im konkreten Blick auf 1918 und 1919 werden kann, zeigen die damaligen Abläufe. Unzweifelhaft war der Aufstand der Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel ein Vorgang, der das Ende des Kaiserreichs einläutete, weil die Gehorsamsverweigerung den Machtverlust der alten Elite deutlich werden ließ. Das war ein Signal für die Ablösung der alten Herrscher, damit also Glanzpunkt der Geschichte.

Aber für den Spartakusaufstand, den die Kommunisten im Januar 1919 anführten und damit das Ziel einer sozialistischen Räterepublik gewaltsam durchsetzen wollen, gilt das nicht mehr. Umgekehrt ist aber auch richtig: Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert schloss ein Bündnis mit den alten Kräften, um Ruhe und Ordnung zu sichern. Er schuf damit die Grundlagen für die neue Republik. Aber Ebert baute damit auch auf Strömungen, die im Grunde mit der Demokratie nicht viel am Hut hatten.

Wenn das alles so kompliziert ist, worauf soll man dann stolz sein, was liefert den Grund zum Feiern? Die Weimarer Reichsverfassung, die am 14. August 1919 in Kraft trat, ist wahrlich ein Vorbild an moderner demokratischer Rechtsordnung, die zu Unrecht in den vergangenen Jahrzehnten oft kritisiert worden ist. Die Weimarer Verfassung kann nichts dazu, dass es in der Weimarer Republik zu wenig Republikaner gab. Das Frauenwahlrecht wurde damals eingeführt, die Arbeitnehmerrechte, Stichwort Achtstundentag, ebenfalls. Allgemeiner ausgedrückt:  Das politische Konsensmodell, das heute wieder die Bundesrepublik prägt, ist damals eingeführt worden. Ebert ist, ebenso wie Gustav Stresemann, die Symbolfigur dafür, er hat Brücken gebaut und Mehrheiten gesichert, der frühe Tod beider Politiker verhinderte den durchschlagenden Erfolg des Modells. Heute, 100 Jahre nach dem 9. November 1918, ist dieses Konsensmodell, das mit dem Namen Angela Merkel verbunden wird, in Verruf geraten. Viele derjenigen, die heute lieber den revolutionären Akt von 1918 und weniger die Aufbauleistung der Republikaner würdigen wollen, sind weit links und weit rechts angesiedelt. Hier reichen Mitglieder der Bewegung „Aufstehen!“ von Sahra Wagenknecht den Akteuren der AfD und von Pegida die Hände.

Das ist ein Grund mehr, ziemlich klar zu sagen: Einen Aufstand zu inszenieren und die Wutbürger auf die Straße zu bringen, das ist vor 100 Jahren sicher eine größere Leistung gewesen als heute. Weit wichtiger und bedeutender aber ist auch rückblickend der erfolgreiche Versuch, die revolutionäre Stimmung in geordnete Bahnen zu lenken.

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