Neuer VW-Skandal: Genosse der Posse
Darum geht es: Volkswagen hat an der Erarbeitung einer Regierungserklärung mitgewirkt, die Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im Oktober 2015 im Landtag gehalten hat. Die CDU fordert Weils Rücktritt, der Ministerpräsident selbst spricht von einer bodenlosen Unterstellung. Ein Kommentar von Martin Brüning:
Wenn es noch eines weiteren Beispiels der unglücklichen Verknüpfung zwischen Politik und Automobilindustrie bedurft hätte, so ist dies der Öffentlichkeit an diesem Wochenende aus Niedersachsen frei Haus geliefert worden. Das Vertrauen in die deutschen Autokonzerne befindet sich auf einem Tiefstand, das Vertrauen in die Politik dürfte durch die Nachrichten am Wochenende weiter abgesackt sein. Hat man angesichts der zahlreichen Vergabepannen der vergangenen Jahre schon leichte Zweifel an der Professionalität dieser Landesregierung, so schafft sie es, diese Zweifel ein weiteres Mal mehr als zu bestätigen.
Es ist völlig unerheblich, welche Textbausteine der Regierungserklärung durch den Einfluss von Volkswagen verändert wurden. Allein, dass die Regierungssprecherin die Rede ausgerechnet an den VW-Cheflobbyisten und ehemaligen SPD-Regierungssprecher Thomas Steg zur Prüfung schickt, lässt wieder einmal jegliches politisches Feingefühl vermissen. Ob Kronacher oder Steg – die Genossen unterstützen sich. Nur, dass diesmal der Fall eine Stufe höher angesiedelt ist, eine Stufe zu hoch. Im Grunde war die Idee einer juristischen Prüfung vollkommen richtig. Aber wer kommt auf die Idee, die Rede ausgerechnet dem Konzern und dann auch noch dem Cheflobbyisten mit SPD-Historie zuzuleiten?
Gerhard Schröder galt vielleicht noch als Genosse der Bosse. Mit dem neuerlichen Tritt ins Fettnäpfchen ist Stephan Weil inzwischen der Genosse der Posse
CDU-Fraktionsvize Dirk Toepffer hat völlig recht: Diese Landesregierung kontrolliert nicht den Konzern, der Konzern kontrolliert die Landesregierung. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die teilweise hochmütigen VW-Manager aus Wolfsburg mitleidig auf die Landespolitik herunterblicken. Die Staatskanzlei hat sich selbst zum Spielball derjenigen gemacht, denen Teile der Bevölkerung lieber keinen Gebrauchtwagen mit Dieselmotor mehr abkaufen würden, erst recht keinen Neuwagen. Kleines Karo trifft auf Groß-Konzern. Gerhard Schröder galt vielleicht noch als Genosse der Bosse. Mit dem neuerlichen Tritt ins Fettnäpfchen ist Stephan Weil inzwischen der Genosse der Posse.
https://soundcloud.com/user-385595761/stephan-weil-vorwurfe-zu-vw-haben-mit-dem-wahlkampf-zu-tun
Dass es so weit gekommen ist, ist allerdings zumindest nicht allein die Schuld der rot-grünen Landesregierung. Die VW-Beteiligung des Landes ist ein heikles Thema. Wer ihr kritisch gegenüber steht, hat nicht viel Zustimmung auf seiner Seite. Die Beteiligung macht der Politik Spaß, so lange in Wolfsburg der Motor brummt und alles zur Zufriedenheit aller läuft. In einer Phase wie dieser aber wird deutlich: Man kann eben nicht Diener zweier Herren sein.
In den Teilen seiner Regierungserklärung, die sich anhörten wie aus dem VW-Werbeprospekt, bekam Weil breiten Applaus von SPD, Grünen und CDU. Nach der Wahl muss endlich eine Trennlinie gezogen werden. Wenn auch die neue Landesregierung der Meinung ist, dass ein Bundesland zwingend an der Produktion von Autos beteiligt sein muss, so ist zumindest die Kontrolle des Konzerns sicherzustellen. Dazu sind Kräfte zu bündeln, damit in der Staatskanzlei eine ernstzunehmende Kontrollinstanz entstehen kann. Wer sowohl von Wählern als auch von Konzernvorständen ernst genommen werden möchte, kann nicht der bemitleidenswerte Konzern-Kumpel sein. Er muss Augenhöhe herstellen.