Von Isabel Christian

Wer in den vergangenen Jahren auf der Autobahn unterwegs war, dürfte die knallgelben Plakate kennen, die meist an Brückengeländern hängen. Darauf zu sehen ist eine grafische Rechnung: „Auto + Handy mit SMS = 🙁 ʺ. Es ist ein Plakat der Kampagne „Tippen tötet“, die die Landesverkehrswacht 2014 zusammen mit Innen- und Verkehrsministerium ins Leben gerufen hat. Grund dafür waren die steigenden Zahlen der Unfälle, in denen zuvor der Blick aufs Smartphone den Fahrer oder Fußgänger abgelenkt hat. Doch eine merkliche Veränderung ist noch nicht spürbar – obwohl die Handynutzung während der Fahrt mittlerweile auch gesetzlich verboten wurde. Wie hoch der Anteil der Unfälle ist, bei denen ein Smartphone oder ein Navigationsgerät eine entscheidende Rolle gespielt hat, lässt sich momentan nur schätzen. „Forscher ordnen den Anteil der Ablenkung durch Smartphones und Navis als Unfallursache zwischen zehn und 30 Prozent ein“, sagte Innenminister Boris Pistorius gestern bei der Vorstellung der jüngsten Verkehrsunfallstatistik. Damit könnte die Ablenkung durch technische Geräte sogar noch vor der überhöhten Geschwindigkeit landen, momentan die häufigste Ursache von Unfällen. Doch selbst wenn die Ablenkung durchs Handy in weniger Fällen eine Rolle spielt, so dürfte sie dennoch häufiger Unfallursache sein als das Missachten von Vorfahrtsregeln (elf Prozent), falsches Abbiegen (acht Prozent) und Überholen trotz unsicherer Situation (acht Prozent).

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Um herauszufinden, wie groß das Problem Handynutzung am Steuer wirklich ist, und belastbare Zahlen zu den einzelnen Ablenkungsquellen am Steuer und allgemein im Straßenverkehr zu bekommen, hat das Ministerium Anfang des Jahres zusammen mit der Verkehrsunfallforschung der Medizinischen Hochschule Hannover und der Technischen Hochschule Braunschweig eine Studie gestartet. Bis Ende des Jahres sollen Daten aus Befragungen und Untersuchungen von Unfällen gesammelt werden. Darüber hinaus soll die Kampagne „Tippen tötet“ fortgeführt werden. „So wie es mittlerweile verpönt ist, sich alkoholisiert hinters Steuer zu setzen, muss es auch für jeden Verkehrsteilnehmer selbstverständlich werden, dass Handys und Co. während der Fahrt Sendepause haben“, sagte Pistorius. Neben „Tippen tötet“ gibt es zurzeit noch vier weitere, landesweite Kampagnen, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Das sagt die neue Statistik über zwei davon aus:

 

  • „Staubildung: Rettungsgasse!“: Im Juni 2016 haben Landesverkehrswacht und Innenministerium die Kampagne gestartet, weil Rettungskräfte und Polizei immer häufiger darüber klagen, dass sie bei Unfällen nicht so schnell an die Unfallstelle gelangen, wie sie sollten. Denn viele Autofahrer scheinen das Prinzip der Rettungsgasse nicht zu kennen oder es zu ignorieren. Jedenfalls machten sie im Stau keinen Platz, um die Fahrzeuge von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei durchzulassen. Daher findet man nun neben den gelben „Tippen tötet“-Bannern auch blaue „Rettungsgassenbanner“ an den Brückengeländern über der Autobahn. Zudem hat der Bund im vergangenen Jahr die Strafen für Autofahrer empfindlich erhöht, die keinen Beitrag zur Rettungsgasse leisten wollen. Sie müssen nun statt 20 Euro 200 Euro zahlen.

    Statistisch gesehen, besteht für Autobahnfahrer in Niedersachsen nicht häufig Grund, eine Rettungsgasse zu bilden. Denn auch wenn die Wahrnehmung eine andere ist, „Autobahnen gehören zu den sichersten Straßen im Land“, sagt Pistorius. Nur 8,2 Prozent der 216.279 polizeilich erfassten Unfälle im vergangenen Jahr ereigneten sich auf Autobahnen. Und mit 38 Todesopfern starben auf den Autobahnen weniger Menschen als auf Landstraßen (261) und im Stadtverkehr (104). Doch auch in der Stadt und außerhalb von Ortschaften müssen Rettungsgassen gebildet werden, um Unfallopfer schnell versorgen zu können. Denn die Zahl der im vergangenen Jahr bei Unfällen Verletzen ist mit 43.125 unverändert hoch. Ob die Rettungsgassen-Kampagne schon eine Wirkung entfaltet, kann Pistorius nicht sagen. „Es ist noch zu früh, um einen messbaren Erfolg zu erwarten“, sagt der Innenminister. Verkehrserziehungsmaßnahmen wie diese wirkten nur langsam, das habe man in Österreich gesehen. Dort war die Rettungsgassenkampagne noch viel offensiver und von härteren Strafen begleitet vorangetrieben worden. „Wir müssen uns noch mindestens zwei Jahre geben, erst dann können wir etwa durch Befragungen der Rettungskräfte und Auswertung der Bußgeldbescheide eine Tendenz erkennen, ob unsere Kampagne Wirkung zeigt.“

 

  • „Rummss!!!“: Die Kampagne gegen Unfallflucht zielt auch auf eine langfristige Änderung im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer ab. Obwohl Landesverkehrswacht und Innenministerium schon seit Anfang des vorigen Jahres dazu aufrufen, fair zu sein und Unfälle – insbesondere Blechschäden – bei der Polizei zu melden, begehen immer mehr Menschen Fahrerflucht. Insgesamt 49.913 Unfälle ereigneten sich im vergangenen Jahr, bei denen der Verursacher verschwunden ist, im Vorjahr waren es noch 1571 Unfallfluchten weniger. Mit 2691 stieg sogar die Zahl der Unfälle um 48 an, bei denen der Verursacher flüchtete, obwohl es mindestens einen Verletzten gab. „Diese Zahlen zeigen deutlich, dass nicht von der Strafbarkeit der Unfallflucht abgewichen werden darf“, sagt Pistorius. Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hatte sich im Januar dafür ausgesprochen, Unfallfluchten bei reinen Blechschäden künftig nicht mehr strafrechtlich, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen.