Nachwehen der Wahl: Kein leichter Parteitag für FDP-Landeschef Birkner
Würde es zur großen Generalabrechnung kommen – und das ausgerechnet in der doch so friedvollen Adventszeit? Als die rund 100 Delegierten des „kleinen Parteitags“ der niedersächsischen FDP am vergangenen Sonnabend in einem hannoverschen Hotel zusammenkommen, deutet erst einmal nichts auf ein solches Scherbengericht hin. Zwar ist der Unmut in weiten Teilen der Partei über das schwache Ergebnis der Landtagswahl und die taktischen Finessen danach groß, aber große Teile haben sich schon in der fortgesetzten Oppositionsrolle eingerichtet. Statt 13 zählt die FDP noch elf Landtagsabgeordnete, statt der Aussicht auf Ministerposten gibt es nicht einmal einen Landtagsvizepräsidenten. Aber die Stimmung und der Umgangston sind gleichwohl freundlich und höflich.
Doch dann wird die FDP-Debatte plötzlich sehr lebhaft. Eine ganze Reihe von Delegierten nutzt die Gelegenheit zu heftigen Vorwürfen an den Landesvorstand, vor allem adressiert an den Vorsitzenden Stefan Birkner. Er hatte zuvor mehrfach beteuert, sein klares Nein zu Gesprächen mit SPD und Grünen über die Bildung einer Ampel-Koalition sei „keine einsame Entscheidung“ gewesen, er habe das vor der Landtagswahl und auch am Wahlabend sehr deutlich gesagt – und niemand habe ihm widersprochen. „Das ist nirgendwo richtig in Frage gestellt worden.“ Er wolle hier „nicht eine vermeintliche Fehlentscheidung rechtfertigen“, sondern stehe nach wie vor dazu. „Wir können doch nicht dafür zur Verfügung stehen, Rot-Grün zu verlängern.“ Außerdem sei Glaubwürdigkeit in der Politik wichtig, betont Birkner und meint: „Wenn wir das Versprechen gebrochen und mit SPD und Grünen regiert hätten, stünden wir nach fünf Jahren vor der Frage, ob wir überhaupt noch wieder in den Landtag kommen können.“
Mit der Ampel „Schlimmeres verhindern“
Zwar erntet Birkner starken Applaus, auch für seine selbstkritischen Hinweise: Man habe bei den älteren Wählern über 60 verloren, die Strukturen des Landesverbandes seien „nicht kampagnenfähig“, es sei auch nicht gelungen, bestimmte Themen in der Endphase des Wahlkampfs zuzuspitzen und die FDP so unverwechselbar zu machen. Widerspruch kommt zu diesen Punkten kaum, zu Birkners nach wie vor definitivem Nein zur Ampel allerdings schon – und zwar massiv. Hans-Joachim Throl aus Wolfsburg meint, die FDP hätte in einer Landesregierung mit Sozialdemokraten und Grünen „Schlimmeres verhindern können“, immerhin stehe der bisherige Wirtschaftsminister Olaf Lies der FDP doch sowieso nah.
Heiner Schülke aus Rinteln beklagt: „Wir haben ja nicht einmal die Chance genutzt, eine Zusammenarbeit mit Rot-Grün auszuloten.“ Er meint, dass sich Ministerpräsident Stephan Weil „bei einer Sozialministerin Sylvia Bruns, einem Kultusminister Björn Försterling und einem Finanzminister Christian Grascha umschauen“ würde.
Das ist doch hier eine Versammlung von Trauerklößen.
Sehr grundsätzlich wird Lars Alt aus Helmstedt, der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen: Die „verfehlte Wahlkampagne“ sei nicht einmal vom geschäftsführenden Landesvorstand abgesegnet worden, die Parteiarbeit in den sozialen Medien sei mangelhaft, die Absage an die SPD als Koalitionspartner werde von vielen Menschen nicht verstanden, da doch auch die SPD inzwischen zur „bürgerlichen Mitte“ gehöre. Über Koalitionsaussagen, meint Alt, solle künftig doch besser ein Landesparteitag entscheiden, nicht nur ein kleiner Kreis um den Vorsitzenden. Andere sehen es ähnlich.
Heinrich Fockenbrock aus Hameln ruft dazu auf, das „schlechte Ergebnis auch direkt so zu benennen, das wäre der erste Weg zur Besserung“ . Birkner hatte anfangs von einem „soliden Resultat“ der Landtagswahl gesprochen. Rainer Fabel aus Uelzen meint: „Die SPD hatte uns doch ein Angebot gemacht“, und Björn Seela aus Hannover ergänzt: „Mir fehlt der Gestaltungswille in der FDP, zumal uns doch konkret Ressorts angeboten wurden.“
Während nur eine Minderheit der Redner beim „kleinen Parteitag“ Verständnis für Birkners Kurs aufbringt, unter ihnen Edzard Schmidt-Jortzig aus dem Hamburger Umland, Oliver Liersch aus Hannover und Christian Heins aus Oldenburg („Niemand ist Birkner im Wahlkampf ins Wort gefallen, als er sagte, die Grünen seien als Koalitionspartner ausgeschlossen“), gehen einige Kritiker noch weiter. Sie werfen Birkner sogar unzulässige Einflussnahme in die Kandidatenaufstellung vor. Clemens-Paul Schulte aus Meppen meint, der geschäftsführende Vorstand habe junge Bewerber im Emsland ausgebremst und auf interne Absprachen verwiesen. „Du weißt es, Stefan, aber es hat Dich nicht die Bohne interessiert.“
Olaf Franz aus Clausthal-Zellerfeld moniert, untere Gruppierungen würden mit ihren Anträgen „in der Partei nicht bis oben durchdringen“, weil viele Vorschläge über die Landesfachausschüsse nicht hinauskämen. Das habe Frust ausgelöst: „Wir fanden keine Freiwilligen mehr, die Plakate aufhängen oder sich an die Wahlkampfstände stellen wollten.“ Im Verhältnis zwischen Basis und Landesvorstand gebe es inzwischen „ein Wir und ein Ihr“ – und das sei „nicht gut für die Partei“. Die Vize-Landesvorsitzende Petra Enß spricht von einer „befremdlichen Generalabrechnung“ und entgegnet: „Nicht jeder abgelehnte Antrag ist Opfer einer Intrige geworden, viele haben schlicht in den Gremien keine Mehrheit gefunden.“
Birkner bekam noch Schützenhilfe
Doch zum Ende der fast dreistündigen Aussprache bekommt der Landesvorsitzende noch Schützenhilfe. Christian Dürr, bislang Chef der Landtagsfraktion und jetzt Fraktionsvize im Bundestag, spricht von den Umwälzungen im deutschen Parteiensystem und zieht daraus den Schluss, dass heute Glaubwürdigkeit „die härteste Währung“ sei. Daher sei Birkners beständige Absage an die Ampel richtig gewesen.
Auch Walter Hirche, der FDP-Ehrenvorsitzende, fühlt sich zu Birkners Unterstützung aufgerufen. „Das ist doch hier eine Versammlung von Trauerklößen“, ruft er in den Saal und bittet, die Lage nicht zu negativ zu sehen. Im Landtag könne der FDP jetzt die Rolle zufallen, auf Ausgleich, Kompromiss und Vernunft hinzuwirken. Dann sagt Hirche noch ein paar Sätze, die wie eine Mahnung an die führenden Politiker der Bundespartei klingen: „Wir sollten eigenständig sein, ja, aber wir sollten uns nicht so darstellen, als hätten wir die Weisheit mit Löffeln gefressen.“ Die Partei, meint der Altvordere, habe „alle materiellen Aspekte der Freiheit vermittelt“. Es komme aber darauf an, „die Herzen der Menschen zu erreichen“. Kräftiger Applaus erfüllt den Saal. (kw)