„Wir sind diejenigen, die die Präventionsmaßnahmen an die Schulen bringen. Aber wir haben nicht einen Cent gekriegt“, ärgert sich Heike Gronewold, Suchtberaterin im Kirchenkreis Verden. Im zweiten Sommer nach der Teillegalisierung von Cannabis zieht die Suchthilfe in Niedersachsen ein ambivalentes Fazit. Die Entkriminalisierung der Konsumenten sei ein positives Ergebnis, meint Serdar Saris, Vorsitzender der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen (NLS). Die Schattenseite beschreibt die Drogenbeauftragte des Landes, Bärbel Lörcher-Straßburg, auf der Jahrestagung der NLS mit drastischen Worten: „Es fehlt der ernsthafte politische Wille, den Präventionsbereich zu stärken. Schon vor der Teillegalisierung gab es zu wenig Ressourcen, um das niedersächsische Präventionskonzept umzusetzen. Wir können die Fläche nicht erreichen.“ Eine verbesserte Prävention und Jugendschutz gehörten zu den zentralen Zielen der Teillegalisierung. Lörcher-Straßburgs Kritik ist bemerkenswert, weil ihr Chef, Gesundheitsminister Andreas Philippi, in seinem Grußwort eben noch gesagt hatte: „Die Prävention und die ambulante Suchthilfe in Niedersachsen sind gut aufgestellt.“ Auf eine Kleine Anfrage der AfD hin hatte die Landesregierung im Juni eine überschaubare Anzahl an Maßnahmen aufgezählt, die sie seit der Teillegalisierung ergriffen hat: Für ein Jahr wird eine halbe Stelle zur Unterstützung der Kommunen bei der NLS finanziert. Die Fachstellen für Sucht und Suchtprävention wurden mit 75 „Grünen Koffern“, einem Methodenset zur Cannabis-Prävention, ausgestattet. Philippi verwies zudem auf die von den Ländern finanzierte Online-Beratungsplattform „DigiSucht“.

Serdar Saris reicht das nicht, wie er im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick erklärte. „Prävention wirkt, wenn sie längerfristig angelegt ist. Ein Infostand bringt nichts.“ Programme haben sich bewährt, die Schüler über einen längeren Zeitraum begleiten. „Wir wünschen uns, Kooperationen mit Schulen zu intensivieren. Hier sind das Kultusministerium und die Kommunen gefragt.“ In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage hatte die Landesregierung darauf verwiesen, dass die Schulen eigenverantwortlich handeln. Daten dazu, an wie vielen Schulen Präventionsmaßnahmen stattfinden, liegen nicht vor. Saris macht die Erfahrung, dass Schulleiter oft zurückhaltend sind, weil sie nicht riskieren wollen, dass ihre Schule den Nimbus eines Drogenproblems bekommt. Gute Erfahrungen machen die Experten dagegen, wenn die Initiative von der Elternschaft ausgeht. „Das Programm muss gar nicht in den schulischen Räumen stattfinden“, wirbt Saris. Erfolgreiche Prävention, erklärt die Drogenbeauftragte Lörcher-Straßburg, setzt bei den Ursachen an, warum Menschen zu Substanzen greifen: Wer Leitplanken für sein Leben hat, das Positive zu schätzen weiß und Probleme aktiv zu lösen versucht, greift nicht so schnell zu Drogen – selbst dann nicht, wenn ihn Schulstress oder andere Sorgen belasten. Jugendlichen solche Leitplanken zu vermitteln, braucht Zeit und Ressourcen. „Wir haben eine klare Erwartung an den Haushalt 2026“, sagt Kerstin Tack, die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege. In den aktuellen Haushalt seien 800.000 Euro für die Suchthilfe erst über die politische Liste gekommen. Für 2026 seien wieder keine Mittel etatisiert. „Wir brauchen eine Million“, fordert Tack.
Seit 2024 können Konsumenten ihr Cannabis über nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen beziehen. Sowohl Jule Heyn, die bei der Landwirtschaftskammer für die Zulassung dieser Clubs und die Kontrolle ihrer Produkte zuständig ist, als auch Suchtberaterin Evelyn Popp stellten ihnen ein positives Zeugnis aus: „Sie geben sich viel Mühe und wollen alles richtig machen“, beschrieb Heyn. Nur einmal musste eine Genehmigung widerrufen werden. Doch die Anbauvereinigungen decken nur einen Bruchteil des Bedarfs ab, ergänzte Moderator Tobias Trillmich von der NLS: Selbst wenn alle Clubs in Niedersachsen die erlaubten 500 Mitglieder aufnehmen würden, könnten sie nur sechs Prozent derer versorgen, die angeben, in den letzten dreißig Tagen Cannabis konsumiert zu haben. Das passt zu den Erkenntnissen einer aktuellen Studie der Frankfurt University of Applied Science, aus der Prof. Bernd Werse vorab einige Ergebnisse vorstellte. Mehr als elftausend Cannabis-Konsumenten, die meisten davon intensive Nutzer, haben an der Online-Befragung teilgenommen. Die gute Nachricht: „Nur zwanzig Prozent von ihnen nutzen noch illegale Quellen.“ Fast die Hälfte der Befragten baut die Pflanzen selbst an, knapp dreißig Prozent beziehen ihre Blüten aus der Apotheke – in hoher Qualität und zu einem günstigeren Preis als auf dem Schwarzmarkt. Onlineportale, die Konsumenten ohne Arztkontakt zu einem gültigen Rezept für medizinisches Cannabis verhelfen, macht Experten seit einiger Zeit Sorgen. Welche Risiken das für junge Erwachsene birgt, erklärte Rike Koop vom Cannabis Social Club Nordheide: Die Vereine dürfen an Unter-21-Jährige nur eingeschränkte Mengen mit einem geringeren THC-Gehalt ausgeben. Bei den Onlineportalen und auf dem Schwarzmarkt gibt es diese Einschränkungen nicht. Die Folge: Der Club hat kaum Mitglieder unter 21, der Altersdurchschnitt liegt jenseits der 40. Jüngere Konsumenten versorgen sich weiterhin dort, wo sie mit Prävention nicht in Berührung kommen: Im Internet oder auf dem Schwarzmarkt.