3. Juni 2024 · Wirtschaft

„Mymuesli“-Mitgründer: „Die meisten Stellenanzeigen sind lieblose Grütze“

Als Mitgründer von „Mymuesli“ hat Max Wittrock den Durchbruch als Unternehmer geschafft. Danach baute er zusammen mit Fernsehmoderator Joko Winterscheidt die Fairtrade-Schokoladenmarke „Jokolade“ auf und verbreitete seine Erfahrungen als Buchautor. „Der erste Berg, den man erklettern muss, ist der schwierigste. Wenn man erstmal 10.000 Kunden hat, dann läuft’s. In einem immer größer werdenden Unternehmen ist man aber irgendwann nur noch am Entscheiden. Ich sitze lieber an der Spanplatte und arbeite“, verriet Wittrock beim Arbeitgeberforum von Niedersachsen-Metall vor fast 500 Unternehmern in Hannover, das diesmal unter dem Motto „Recruiting impossible? – Unternehmerische Strategien in einem veränderten Arbeitsmarkt“ stand.

Max Wittrock fordert beim Arbeitgeberforum in Hannover mehr Risikobereitschaft von den Unternehmen. | Foto: Axel Herzig

Ein Radio-Werbespot des Müsli-Herstellers „Seitenbacher“ habe Wittrock und seine beiden Mitgründer vor fast 20 Jahren auf die Idee gebracht, selbst eine Firma aufzumachen. „Wir haben uns gedacht: Der Markt hat lange keine Innovationen mehr gesehen“, erzählte der Passauer und fügte hinzu: „Die wenigsten Gründungsideen entstehen, weil jemand ein Kuchendiagramm studiert.“

Als Wittrock (Foto) das Unternehmen 2019 verließ, erwirtschaftete „Mymuesli“ einen Umsatz von 58,4 Millionen Euro. Zur Unternehmensgründung 2007 sei dieser Erfolg überhaupt nicht absehbar gewesen, berichtete der Co-Founder. Um Investoren für den Online-Müsli-Shop zu werben, habe man damals eine Marktanalyse durchgeführt. Dabei seien die potenziellen Kunden unter anderem gefragt worden, ob sie bereit wären, Müsli online zu kaufen. „Die ermutigende Antwort war, dass 100 Prozent der Befragten gesagt hat: Nein, das würde ich nicht“, erzählte Wittrock.

Weil aber Kunden ebenso wie Bewerber in der Regel nicht wissen, was sie eigentlich wollen, habe man sich davon nicht abschrecken lassen. „Die wirklich guten Ideen klingen nicht so, als wären sie es wert, geklaut zu werden“, zitierte er den Open-AI-Gründer Sam Altman. Mit ChatGPT habe Altman der Künstlichen Intelligenz (KI) auch in der öffentlichen Wahrnehmung zum Durchbruch verholfen. „KI wird der größte Umbruch in unserer Wirtschaftsgeschichte, den wir je hatten“, prophezeite Wittrock. Die Technik werde den Menschen zwar in vielen Bereichen übertreffen und ersetzen: „Aber was wir besser können, das ist Kreativität.“

Hunderte Unternehmer verfolgen beim Arbeitgeberforum im Schloss Herrenhausen den Vortrag von Max Wittrock. | Foto: Axel Herzig

Apropos KI: Wittrock kam auch auf den „Habsburger-Effekt“ zu sprechen, der eine der größten Gefahren für den Fortschritt der KI darstellt. Denn wenn die KI-Modelle fast nur noch mit Daten trainiert werden, die von anderen KIs erstellt wurden, führe dies wie beim österreichischen Fürstengeschlecht zu Inzucht und zur Degeneration. Das gleiche Problem beobachtet Wittrock bereits auf dem Stellenmarkt. Weil Recruiter schlechte Stellenanzeigen von anderen kopieren, würden diese immer schlechter. „Das meiste davon ist einfach lieblose Grütze. Da brauchen Sie sich nicht wundern, dass sich niemand bewirbt“, sagte der Marketing-Experte. Den niedersächsischen Unternehmern gab Wittrock den Rat, bei Stellenanzeigen vor allem offen und ehrlich zu sein: „Ihr müsstet doch einfach nur erzählen, was bei Euch richtig gut läuft und was Ihr einfach nicht gebacken bekommt.“

Zudem forderte der studierte Jurist eine bessere Fehlerkultur in Deutschland, wobei die etablierten Unternehmen dabei von Startups lernen könnten. Als Paradebeispiel nannte er hier den „Friedhof der Geschmackssorten“ beim Speiseeishersteller „Ben & Jerry‘s“, wo erfolglose Kreationen zu Grabe getragen werden. Hinter jeder gescheiterten Idee habe schließlich viel Mühe und Arbeit gesteckt. „Startups machen ganz viel schlecht, aber sie sind richtig gut darin, Dinge auszuprobieren“, sagte Wittrock.

Moderator Martin Brüning (von links) spricht mit Steffen Krach, Eike-Christian Korsen und Martin Kind über den Sportstandort Hannover. | Foto: Axel Herzig



Ebenfalls vom Scheitern berichtete Hannovers Regionspräsident Steffen Krach. Der SPD-Politiker trauerte der geplatzten Bewerbung für die „World Games“ hinterher, die mal wieder ein sportliches Großevent in die Landeshauptstadt gebracht hätte. „Da ging es uns nicht nur um die Veranstaltung selber, sondern auch um den Weg dahin“, sagte Krach. Große Sportereignisse würden auch Fördermittel und nachhaltige Investitionen freisetzen, wie der Stadionumbau zur Fußball-WM 2006 gezeigt habe. Dass seit Längerem kein Mega-Sportevent mehr in Hannover stattgefunden hat, liegt laut Krach auch an mangelnder Entschlossenheit und Risikobereitschaft. „Manchmal sind wir zu mutlos gewesen, das müssen wir in Zukunft ändern“, meinte der Regionspräsident selbstkritisch. Eine Stadt, die eine Großveranstaltung gewinnen möchte, müsse auch bereit sein, diese Bewerbung mit einigen hunderttausenden Euro zu untermauern. „Das kostet uns zwar Geld, aber das kommt über Umwege auch wieder zurück“, betonte Krach.

Hannover-96-Präsident Martin Kind und Eike-Christian Korsen, Geschäftsführer von Handball-Bundesligist TSV Hannover-Burgdorf, bekräftigten diese Einschätzung. „Wenn man erfolgreichen Sport insgesamt hat, ist das für die jeweiligen Regionen auch mal Anlass, in die Infrastruktur zu investieren“, bestätigte Korsen. Diese Investitionen würden sowohl dem Spitzensport als auch dem Breitensport und der Region insgesamt zugutekommen: Die Lebensqualität steige, die Stadt werde bekannter und sichtbarer nach außen. Davon würden auch die Arbeitgeber profitieren, für die es leichter wird, Arbeitskräfte an den Standort zu holen und hier zu binden. „Dieser Image-Faktor ist gar nicht mit anderen Mitteln bezahlbar“, sagte Krach.

Lutz Woellert (rechts) und Björn Vofrei helfen Unternehmen bei der Identitätsfindung. | Foto: Axel Herzig

Dass die richtige Außendarstellung für die Fachkräftegewinnung und die Mitarbeiterbindung entscheidend ist, machten auch Lutz Woellert und Björn Vofrei von der „Identitätsstiftung“ aus Hannover und Berlin deutlich. Wer von anderen als sympathischer Arbeitgeber wahrgenommen werden wolle, müsse zuerst ein attraktives Selbstbild aufbauen. „Erst dann können wir auch nach außen treten und einen Tischkicker aufstellen oder TikTok machen“, sagte Woellert. Genauso wie Marketing-Experte Wittrock mahnte auch der „Identitätsstiftung“-Geschäftsführer die Unternehmen zu Ehrlichkeit, weil ansonsten die Wirkung verpuffe. „Eine gute Arbeitgeberidentität ist vor allem eine starke Unternehmensgeschichte. Eine Geschichte, die kein Märchen und kein Mythos ist, sondern authentisch ist“, so Woellert.

„Die Suche nach Fachkräften ist das A und O“, sagte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall. Beim Recruiting gelte die Devise: „Finden, halten, binden.“ Die wirtschaftliche Lage mache das den Unternehmen aber nicht leicht, vor allem in internationalen Standortwettbewerben gerate Deutschland immer mehr ins Hintertreffen. „Wir haben in der Bundesrepublik die längste wirtschaftliche Schwächephase, die es seit Erhebung der Daten jemals gegeben hat“, berichtete Schmidt und äußerte wenig Hoffnung auf eine baldige Besserung: „Die negativen Vorzeichen für das zweite Halbjahr verdichten sich, die deutsche Industrie befindet sich in einem besorgniserregenden Abwärtstrend.“

"Die Suche nach Fachkräften ist das A und O", weiß Volker Schmidt. | Foto: Axel Herzig

Während die weltweite Industrieproduktion seit 2018 um sieben Prozent gewachsen sei, sei in diesem Zeitraum das Produktionsniveau der deutschen Metall- und Elektrobranche um sieben Prozent zurückgegangen. „Wir haben nicht mehr diese alte Stärke, die uns über Jahrzehnte ausgezeichnet hat“, beklagte der Niedersachsen-Metall-Hauptgeschäftsführer. Welche Hebel kann man in Bewegung setzen, um dagegen zu steuern? Jedes zweite Unternehmen begründe das Zurückstellen von Investitionen in den Standort Deutschland mit hohen Energiekosten, jedes dritte gebe dafür den Fachkräftemangel an, sagte Schmidt. Kämpferisch fügte er hinzu: „Wenn man den Standortwettbewerb erkannt hat, muss man ihn auch annehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir als perspektivreiche Arbeitgeber erkannt werden.“

Dieser Artikel erschien am 4.6.2024 in Ausgabe #101.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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