17. Apr. 2023 · Inneres

Muss die Landtagswahl wiederholt werden? FDP-Politiker greifen Landeswahlleiterin an

Der Ton wird schärfer, und am Freitag tagt zu diesem Thema auch erstmals im Landtag der „Wahlprüfungsausschuss“ – und zwar in einer als „geheim“ eingestuften Sitzung. Also nicht bloß nicht-öffentlich und vertraulich, sondern sogar „geheim“.

Foto: FDP Niedersachsen, Canva

Tatsächlich geht es um eine folgenschwere Frage. Muss die Landtagswahl vom Oktober 2022 wiederholt werden, weil bei einer Partei – der AfD – im Vorfeld gravierende Verstöße gegen die Wahlrechtsbestimmungen aufgetreten waren? Landeswahlleiterin Ulrike Sachs, die diese Vorwürfe schon lange kennt und erstmals bereits vor der Landtagswahl, nämlich im August, ein Gutachten darüber angefertigt hatte, sieht die Verstöße als nicht so gravierend und die Vorwürfe gegen die AfD als teilweise unberechtigt an. Sie sieht keinen Grund für eine Wahlwiederholung. Zwei andere Gruppen dagegen beurteilen das ganz anders – der AfD-Politiker Friedhelm Pöppe aus Elsfleth und die beiden FDP-Politiker Marco Genthe und Alexander Grafe. Genthe geht in der Diskussion sogar so weit, Sachs grobe Nachlässigkeiten zu unterstellen – sie habe keine unabhängigen Nachforschungen unternommen.

Was sind die Vorwürfe und wie schwer wiegen sie?

Streit um Delegiertensystem: Am 2. Juli hatte eine AfD-Delegiertenversammlung in Dötlingen (Kreis Oldenburg) die Landesliste aufgestellt. Genthe sagt nun, die AfD-Landessatzung sehe für solche Fälle gar kein Delegiertenprinzip sondern nur Mitglieder-Vollversammlungen vor, damit sei die Aufstellung satzungswidrig geschehen. Tatsächlich hatte der Landesparteitag aber am 28. Mai beschlossen, dass die Kreisverbände für eine Notsituation (Corona-Lage oder fehlende Hallen-Anmietung) Delegierte aufstellen sollen. Genthe meint, dieser Beschluss reiche für eine derart weitreichende Festlegung nicht, man hätte eine formelle Satzungsänderung festlegen müssen. Sachs argumentiert anders: Die AfD-Satzung gebe dem Landesparteitag sogar die Befugnis, jegliche Entscheidungskompetenz an sich zu ziehen. Wenn die AfD jetzt argumentiere, dies sei auf Grundlage dieser Bestimmung geschehen, dann gelte das erst einmal. Selbst wenn die AfD ihre eigene Satzung hier nicht ganz korrekt eingehalten haben sollte, sei das für die wahlrechtliche Beurteilung der Listenaufstellung der AfD nicht relevant, meint Sachs.



Streit um Befugnisse des Vorstands: Die Landesliste war im Juli 2022 vom neuen Landesvorstand um den Vorsitzenden Frank Rinck bei Sachs eingereicht worden. Genthe meint, Rinck sei dazu gar nicht befugt gewesen, da er nicht rechtmäßig ins Amt gekommen sei. Die Neuwahl am 28. Mai war tatsächlich noch vor Ablauf der Amtszeit des alten Vorstands um Jens Kestner geschehen – auch deshalb, weil man Kestner die Schmach eines Rücktritts ersparen wollte. Beide Lager in der AfD, das von Rinck und das von Kestner, hatten sich auf das eigentlich nicht satzungsmäßige Verfahren am 28. Mai verständigt. Die AfD-Schiedsgerichte sahen anschließend auch keinen Anlass, daran Anstoß zu nehmen. Genthe meint nun, Sachs hätte wegen dieses Formfehlers im August 2022 die von der AfD eingereichte Liste gar nicht annehmen dürfen – „so wie es auch in Bremen vor der Bürgerschaftswahl geschehen war“. Sachs hatte bisher wiederholt erklärt, die AfD habe in großer Einmütigkeit ihren Vorstandswechsel am 28. Mai vollzogen – ohne jeglichen öffentlichen Streit darüber, ob dem neuen Vorstand um Frank Rinck eine Berechtigung zur Amtsführung abzusprechen sei.

„Nicht jede unterlassene Einladung teilnahmeberechtigter Parteiangehöriger führt schon zu einem wahlrechtlich relevanten Gesetzesverstoß“.

Einzelne Kreisverbände nicht beteiligt: Bei der Aufstellungsversammlung am 2. Juli fehlten Delegierte der Kreisverbände Wesermarsch, Rotenburg, Osterholz-Verden und Göttingen. Sachs hat das überprüft und festgestellt, dass der alte wie der neue, Ende Mai gewählte Landesvorstand den Kreisverbänden schon sehr früh aufgetragen hätten, sie sollten vorsorglich Delegierte wählen. Wenn diese vier Kreisverbände die Wahlen schlecht vorbereitet, widerrechtlich offen abgestimmt oder kurz vor dem Termin abgesagt hätten, sei das nicht dem Landesvorstand anzulasten – und außerdem führe „nicht jede unterlassene Einladung teilnahmeberechtigter Parteiangehöriger schon zu einem wahlrechtlich relevanten Gesetzesverstoß“.



Vorwurf der „Kriegskasse“: Genthe hält den vom früheren AfD-Abgeordneten Christopher Emden erhobenen Vorwurf, die Partei habe sichere Listenmandate möglichen Bewerbern als Gegenleistung für eine Geldzahlung versprochen, für „grob verfassungswidrig“. Mit dem Hinweis von Emden habe sich Sachs aber gar nicht befasst und nicht dazu recherchiert. Sie habe sogar „ignoriert“, dass es sich um ein Konto außerhalb der Parteikasse gehandelt habe. In der Stellungnahme der Landeswahlleiterin heißt es, zu diesem Punkt seien „keine konkreten und schlüssigen Hinweise vorgetragen“ worden – lediglich Emden ist derjenige, der diesen Vorwurf bisher geäußert hat. Der Wahlprüfungsausschuss des Landtags könnte nun auf Grundlage der Kritik von Genthe festlegen, die Untersuchung zu diesem oder zu den anderen Punkten intensiv zu betreiben.

Dieser Artikel erschien am 18.4.2023 in Ausgabe #070.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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