31. März 2021 · Justiz

Ministerium startet Hotline gegen antisemitische Parolen im Stadion

Das Problem ist durchaus gravierend – auch wenn selten offen darüber gesprochen wird. Justizministerin Barbara Havliza (CDU), der Antisemitismus-Beauftragte Franz-Rainer Enste und Raimund Lazar von der Stiftung Gedenkstätten in Niedersachsen haben sich näher mit dem Auftreten antisemitischer Akteure in den Fußballstadien auseinandergesetzt. Lazar hat 30 intensive Interview mit Vereinsvertretern geführt und beschreibt das Phänomen jetzt näher: Die Fußball-Welt sei ein Spiegelbild der Gesellschaft, unter den Fans sei vermutlich der Antisemitismus nicht verbreiteter als in anderen Berufsgruppen. Aber da bei Fußballspielen die Grundhaltung „Wir hier gegen die dort“ gelte, tauchten antisemitische Hetzparolen, Angriffe und gezielte Beschimpfungen hier vermutlich öfter als in anderen Lebenszusammenhängen auf. Dagegen solle jetzt etwas getan werden. „Prävention ist dabei besonders wichtig“, hob Justizministerin Havliza hervor.

Experte liefert Handlungsanleitungen

Der Sozialwissenschaftler Lazar, der in der Gedenkstätte Bergen-Belsen arbeitet, hat eine Broschüre mit Handlungsanleitungen entwickelt. Darin wird etwa vorgegeben, dass ein Fußballfan, der im Stadion auf eine Gruppe provozierender Hooligans stößt und dagegen einschreiten will, möglichst nicht im Akt der aufopfernden Zivilcourage den Konflikt suchen soll. Die Gefahr einer Eskalation sei zu groß. Besser sei es, sich an eine Hotline zu wenden, wenn gewünscht auch anonym, und auf die Vorkommnisse möglichst umgehend aufmerksam machen zu können. Wie Justizministerin Havliza ankündigte, komme es vor allem auf das nötige Problembewusstsein an. In Kürze sollten Projekte gegen Antisemitismus auf der Tribüne und auch im Spielbetrieb und in den weiteren Zusammenhängen des Sports starten.

Justizministerin Barbara Havliza (CDU), der Antisemitismus-Beauftragte Franz-Rainer Enste und Raimund Lazar von der Stiftung Gedenkstätten in Niedersachsen haben sich näher mit dem Auftreten antisemitischer Akteure in den Fußballstadien auseinandergesetzt - Foto: kw

Lazar hält es für wichtig, dass sich bekannte Persönlichkeiten der Vereine öffentlich stark machen gegen Judenhass, dass auch in den Vereinen, den Fan-Gruppen und in den Kreisen der Angehörigen der Fan-Gruppen Erinnerungsarbeit betrieben wird. Das fange an mit Diskussionen über die Frage, welche Rolle der Fußballverein zur NS-Zeit und danach hatte, inwieweit jüdische Sportler ausgegrenzt oder verfolgt wurden, und es führe auch zu den Besuchen der Gedenkstätten wie etwa Bergen-Belsen. Bildungs- und Schulungsangebote seien ebenfalls sinnvoll. Die Entwicklung des Handlungsrahmens ist vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und vom Jüdischen Weltkongress gefördert worden.

Fans nutzen "Jude" als Schimpfwort

Bei seinen Interviews stieß Lazar, wie er berichtet, durchweg auf aufgeschlossene Vereinsvorstände und -mitglieder. Gleichwohl hätten die Verantwortlichen nicht überall gleich erkannt, dass sie ein Problem mit Antisemitismus haben. Wie Enste ergänzte, sind die Erscheinungsformen des Judenhasses auch vielfältig und unterschiedlich ausgeprägt. Lazar findet auch nicht, dass Antisemitismus überall zwingend auf nationalistischen oder rechtsextremen Positionen beruhe. Bei vielen Fans gehöre das Wort „Jude“ schon zum üblichen Schimpfwort, ohne dass man dahinter rechtsextreme Einstellungen vermuten dürfe.

Wenn Angriffe gegen Juden mit einer ausgeprägten Feindschaft gegenüber dem Staat Israel einhergehen, sind auch oft linksextreme Zusammenhänge maßgeblich. Lazar berichtete von Anfeindungen auf die Führung des Fußballvereins RB Leipzig, die sich gegen den kapitalistischen Investor aus dem Ausland richteten und die Vorstellung verbreiteten, eine aus der Ferne gesteuerte Elite wolle sich breit machen und etwas Fremdes etablieren. Die Kritik am kapitalistischen System werde damit sehr intensiv verbunden.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #062.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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