15. Mai 2025 · 
MeldungBildung

Mehr Praktika an Gymnasien: Hamburg stellt Pläne für die Berufsorientierung vor

Kultusministerin Julia Willie Hamburg (2. v. l.) stellt den BO-Erlass vor. | Foto: Kleinwächter

Die berufliche Orientierung soll an den niedersächsischen Gymnasien deutlich aufgewertet werden. Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) hat am Donnerstag die Eckpunkte des neuen Erlasses zur Berufsorientierung (BO) an allgemein- und berufsbildenden Schulen vorgestellt. Eine Evaluation des Vorgänger-Erlasses, den Grant Hendrik Tonne (SPD) seinerzeit als Kultusminister erstmals aufgelegt hatte, zeigte Nachbesserungsbedarf vor allem an den Gymnasien auf. Zahlreiche Betriebe, Lehrer, Eltern und Schüler hatten in einem Beteiligungsverfahren des Kultusministeriums ihre Einschätzung abgegeben. Heraus kam: Zu wenig Zeit und zu wenig Raum werde der Berufsorientierung an den Gymnasien eingeräumt, zudem werde zu spät mit der Beratung begonnen. Angesichts der Vielfalt an Ausbildungsberufen und Studiengängen fühlten sich deshalb insbesondere Abiturienten schlecht auf ihren weiteren Bildungsweg vorbereitet. Auf diese Kritik reagiert das Kultusministerium nun mit dem Vorschlag, ein zusätzliches Pflichtpraktikum im Sekundarbereich I vorzuschreiben. Neben dem Praktikum im elften Jahrgang sollen Schüler künftig auch in Jahrgang neun in einen Beruf hineinschnuppern. An den beruflichen Gymnasien soll das bisher optionale Betriebspraktikum in Zukunft auch verpflichtend sein. Die Anzahl der Berufspraxistage, an denen beispielsweise Berufsmessen besucht oder an Bewerbungs-Coachings teilgenommen werden kann, soll von 25 auf 35 Tage erhöht werden.

Das Kultusministerium strebt zudem an, die Vernetzung zwischen den verschiedenen Akteuren der Berufsorientierung zu verbessern. Das betrifft etwa die Berufsschulen, die stärker mit den allgemeinbildenden Schulen zusammenarbeiten sollen. Darüber hinaus soll die Berufsorientierung auch an den Berufsschulen selbst einen höheren Stellenwert erhalten. Das gelte für die Berufsfachschulen, die Berufseinstiegsschulen und die Beruflichen Gymnasien, an denen inzwischen immer mehr Schüler unterrichtet werden, die noch gar nicht genau wissen, in welche Richtung sich ihr Werdegang entwickeln soll. „Die Realität an den berufsbildenden Schulen hat sich verändert“, hält Kultusministerin Hamburg fest.

Verbindliche Vorgaben strebt das Kultusministerium etwa bei der Dokumentation von Maßnahmen zur Berufsorientierung an. Insbesondere die sogenannte Kompetenzfeststellungsanalyse soll zur Pflicht werden. Darüber wurde im Vorfeld kontrovers diskutiert. Es wurde das Argument vorgetragen, auf diese Analyse könne aus Zeitgründen auch verzichtet werden, bevor es am Ende gar keine Berufsorientierung gebe. Andere meinten, ohne die vorherige Analyse sei jede weitere Maßnahme wie etwa ein Praktikum bloß Makulatur. Hamburg erklärte nun, den Schulen künftig ein einheitliches Verfahren für die individuelle Analyse von Stärken und Schwächen der Schüler an die Hand geben zu wollen. Zudem solle bei der Fortbildung von Lehrkräften gezielt darauf geachtet werden, diese Kompetenzen zu steigern. Die Lehrer geraten noch an einer anderen Stelle als wichtige Wegbereiter in den Fokus: Hamburg kündigte an, Lehrern künftig Betriebspraktika zu gestatten, damit diese ihren Überblick über die Vielfalt der Berufswelt einmal erweitern können.

Mehr Freiheiten sollen die Schulen derweil bei der zeitlichen Planung der Praktikumsphasen bekommen. Im Sinne des Freiräume-Prozesses des Kultusministeriums werde derzeit ein Grundsatzerlass erstellt, der den Schulen mehr Flexibilität bei den Leistungsprüfungen geben soll. Hamburg präzisierte, dass es nicht darum gehe, einfach weniger Klassenarbeiten zu schreiben, sondern alternative Prüfungsformate anzubieten. Falle die Klausurenphase entspannter aus, bliebe mehr Zeit für Phasen der Berufsorientierung. In Einzelfällen sollen die Schulen zudem die Möglichkeit bekommen, Schülern ein Zusatzpraktikum zu gewähren. Diese Maßnahme soll den Zweck haben, unmotivierten Schülern eine neue Perspektive aufzuzeigen. Hamburg brachte das Beispiel eines Schülers, der im Handwerksbetrieb merkt, wieso er im Matheunterricht besser aufpassen sollte.

Wie der Erlass zur Berufsorientierung an den Schulen in ein eigenes Konzept überführt wird, soll künftig in der Verantwortung der Fachkonferenz für Politik/Wirtschaft liegen. Gesonderte BO-Lehrkräfte oder gar nicht-pädagogische BO-Fachkräfte sind nicht vorgesehen. Ein gesondertes Stundenkontingent, wie es das in der Phase zur Implementierung des ersten BO-Konzeptes gegeben hat, soll es nicht geben. Den Schulen stehe es aber frei, ihre vorhandenen Anrechnungsstunden für diesen Schwerpunkt einzusetzen, erklärte Hamburg. Sie wies zudem darauf hin, dass insgesamt 500 Anrechnungsstunden für die BO-Beratung im System stehen, die in der kommenden Zeit vermutlich intensiv abgerufen werden. Nach der Verbändeanhörung, die nun beginnt, soll der Erlass zunächst sukzessive je nach Stand an den einzelnen Schulen umgesetzt werden. Spätestens zum Schuljahr 2026/27 soll er dann flächendeckend gelten.

  • Lob und Druck aus der Wirtschaft: Olaf Brandes, Geschäftsführer der Stiftung Niedersachsen-Metall, fordert eine stärkere Berufsorientierung und begrüßt, dass der Entwurf für den BO-Erlass „nach mehrfachen Verzögerungen nun endlich überarbeitet“ wurde. Die Unternehmerverbände Niedersachsen kommentieren, der höhere Praxisanteil im BO-Erlass stärke den Wirtschaftsstandort.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #091.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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