11. Nov. 2019 · 
Soziales

Margot Käßmann ruft dazu auf, den Tod nicht zu verdrängen

Von Martin Brüning Sportliche Menschen auf Surfboards oder auf dem Fahrrad, lachende Familien, glückliche Paare am Strand. Das sind die Bilder, die auf den Internetseiten der Krankenkassen zu sehen sind. Die AOK Niedersachsen hat sich in der vergangenen Woche einem Thema gewidmet, über das viele Menschen häufig nicht so gerne sprechen, es teilweise auch verdrängen. „Das Lebensende gestalten – Ist gutes Sterben möglich?“, lautete der Titel einer Veranstaltung im Sprengel-Museum in Hannover. „Im Fernsehen kommt der Tod vor allem in Krimis vor. Ansonsten sieht und liest man in den Medien eher wenig über das Thema. Besser verkaufen lässt sich die Hoffnung auf ein neues Heilmittel oder eine neue Fitness-App“, erklärte Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen. [caption id="attachment_45207" align="alignnone" width="780"] Die ehemalige Landesbischöfin Margot Käßmann bei der Veranstaltung - Foto: Schaarschmidt / AOK Niedersachsen[/caption] Dabei ist der Gedanke an das Sterben für viele Menschen eine Belastung. Viele hätten Angst, in der letzten Lebensphase ihre Selbstbestimmtheit und Würde zu verlieren, so Peter. Es sei aber in den vergangenen Jahren viel in Bewegung geraten, die medizinische und pflegerische Versorgung sterbenskranker Menschen habe deutliche Fortschritte gemacht. „Hospizdienste und Palliativmedizin machen das Thema Sterben zu dem, was es ist: Teil unseres Lebens.“

Viele junge Menschen kommen zu "Letzte-Hilfe-Kursen"

„Am Ende wissen, wie es geht“, so sind die sogenannten „Letzte Hilfe“-Kurse des Ambulanten Palliativ- und Hospizdiensten der Diakoniestationen Hannover umschrieben. Kursleiterin Heike Metje sprach vom kleinen Einmaleins der Sterbebegleitung. Es gehe darum, was man tun könne, wenn in der Familie, im Freundeskreis oder auch in der Nachbarschaft ein Mensch am Lebensende angekommen sei. „Angehörige sagen immer, dass man doch essen muss. Aber man muss den Sterbenden erlauben, Essen auch wieder auszuspucken, weil viele zwar vielleicht den Geschmack noch einmal erleben wollen, aber keinen Hunger hätten“, erklärte Metje aus der Praxis. Sie beobachtet, dass das Sterben nicht nur ein Thema für Ältere ist, auch viele jüngere Menschen kämen in die „Letzte Hilfe“-Kurse. [caption id="attachment_45209" align="alignnone" width="780"] Margot Käßmann vergleicht das Verschweigen des Todes mit dem Umgang mit Lord Voldemort, dem düsteren Antagonisten des Helden Harry Potter - Foto: Schaarschmidt / AOK Niedersachsen[/caption] In mehr als der Hälfte der Fälle endet das Leben  im Krankenhaus, obwohl sich die Mehrheit das anders wünscht. Viele wollen gerne zuhause sterben. Der Anteil derjenigen, bei denen dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist in allerdings gesunken. Im Jahr 2001 lag er noch bei 28 Prozent, zehn Jahre später nur noch bei 23 Prozent. Zuhause zu sterben sei allerdings auch nicht immer das Optimum, erklärte die Theologin  Margot Käßmann, ehemalige Landesbischöfin der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Viele Rituale seien nicht mehr bekannt. So seien damals Gurkenscheiben oder Münzen auf die Augenlider gelegt worden, um die Lider zu schließen und der Kiefer hochgebunden worden, damit der Mund nicht offen steht. „Wenn jemand mit offenen Augen und herabhängendem Kiefer aufgebahrt wird, ist das keine schöne Situation. Wer kennt diese Rituale noch?“, fragte sie. Es sei sehr schön, jemanden zuhause auszusegnen und dort aufzubahren, aber dazu müsse man die Rituale kennen.
Es rechnet sich natürlich ökonomisch nicht, einer sterbenden Frau zwei Stunden lang die Hand zu halten. Aber eine Gesellschaft, in der das niemand mehr tut, die hat moralisch wirklich abgewirtschaftet.
Käßmann wünscht sich, dass mehr über das Sterben und den Tod gesprochen wird. Es werde viel über Geburtsvorbereitung und Geburt geredet, die ein einzigartiges Erlebnis sei. „Aber auch jedes Sterben ist ein einzigartiges Erlebnis. Jeder Tod ist sehr individuell.“ Sie verglich das Verschweigen des Todes mit dem Umgang mit Lord Voldemort, dem düsteren Antagonisten des Helden Harry Potter. Geht es um Voldemort in den Harry-Potter-Büchern, wird dessen Name häufig nicht ausgesprochen. „Der, dessen Namen wir nicht nennen“ heißt es dann. Aber: „Je mehr wir den Namen nicht nennen, desto mächtiger wird er“, sagt Käßmann und meint damit auch den Tod. Man müsse nicht ständig über den Tod sprechen, ihn aber dann thematisieren, wenn er auf die Tagesordnung kommt. „Das hilft auch, die Kostbarkeit des Lebens zu schätzen. Ich habe solche Gespräche immer als tiefgreifend empfunden und ich ärgere mich, wenn Menschen diese Gespräche ablehnen.“ Käßmann warnte davor, das Thema unter ökonomischen Gesichtspunkten zu diskutieren. „Es rechnet sich natürlich ökonomisch nicht, einer sterbenden Frau zwei Stunden lang die Hand zu halten. Aber eine Gesellschaft, in der das niemand mehr tut, die hat moralisch wirklich abgewirtschaftet.“ [caption id="attachment_45210" align="alignnone" width="780"] "Es ist für einen Assistenzarzt morgens bei der Besprechung mit dem Ober- und dem Chefarzt immer leichter zu sagen: Wir haben da etwas gemacht", sagt Professor Lukas Radbruch - Foto: Schaarschmidt / AOK Niedersachsen[/caption] Mit dem Tod offener und ehrlicher umgehen, dafür plädierte auch Professor Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Man habe immer mit bestimmten Grundsätzen im deutschen Medizinsystem zu kämpfen, meinte er. „Man darf Menschen nicht die Hoffnung nehmen. Man muss immer so tun, als könnte man immer noch Leben retten und stabilisieren. Es ist für einen Assistenzarzt morgens bei der Besprechung mit dem Ober- und dem Chefarzt immer leichter zu sagen: Wir haben da etwas gemacht.“ Für viele Menschen sei es aber wichtig, nichts zu tun. Das sei im System aber nicht angelegt. Und schwierig mitzuteilen, ist es darüber hinaus auch noch.  
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #199.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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