Wie wirkt sich die Inflation auf die bevorstehenden Tarifrunden aus? Welche Erwartungen haben die Gewerkschaften an die künftige Landesregierung – und wie kann die Energiewende am sinnvollsten organisiert werden? Der Bezirksleiter der IG Metall für Niedersachsen, Thorsten Gröger, äußert sich beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick. 

Die Rundblick-Chefredakteure Christian Wilhelm Link und Klaus Wallbaum treffen Thorsten Gröger (rechts) zum Interview. | Foto: Jan-Niklas Hartge

Rundblick: Herr Gröger, werden wir eine heftige Debatte um die nächsten Tarifrunden bekommen? 

Gröger: Die IG Metall wird die Tarifforderungen für die Metall- und Elektroindustrie Ende Juni formulieren und Anfang Juli abschließend festlegen. Im September beginnen dann die Verhandlungen und die Friedenspflicht endet im Oktober. Natürlich wird es auch um eine deutliche Lohnerhöhung gehen, alles andere wäre in diesen Zeiten verwunderlich. 

Rundblick: Die Inflationsrate liegt aber schon bei 7,4 Prozent… 

Gröger: Das ist eine Höhe, wie wir sie in den vergangenen 40 Jahren nicht hatten. Viele Kolleginnen und Kollegen machen sich Sorgen, ob sie ihren Wohlstand noch werden halten können. Man merkt die hohen Preise an der Tankstelle, bei den Energiepreisen, bei den Lebensmitteln – und es wird noch deutlicher spürbar werden in den Nebenkostenabrechnungen für die Miete. Der Anteil der Erdgaspreissteigerung beträgt über den Daumen allein 2,5 Prozentpunkte. Für uns ist klar: Es gibt mehrere Adressaten für die Lösung des Problems – Politik und Arbeitgeber. 

Rundblick: Reicht das Entlastungspaket der Bundesregierung? 

Gröger: Wohl nicht. Wir werden noch mehr Schritte und noch nachhaltigere Entlastungen benötigen. Kurzfristig könnten die Steuern auf Strom und auch die Mehrwertsteuer gesenkt werden. Der Staat hat ja den Spielraum, da er allein über die Preissteigerungen zusätzliche Einnahmen verbucht. Wir stellen uns auch ein Mobilitätsgeld vor, das unabhängig von der Wahl des Verkehrsmittels vor allem denen zugute kommt, die zur Arbeit pendeln müssen. Das wäre sozial gerechter als eine Anhebung der Kilometerpauschale im Steuerrecht, die Empfänger höherer Einkommen begünstigt. Auch einen „Gaspreisdeckel“ kann ich mir vorstellen, beispielsweise dergestalt, bis zu einem bestimmten Normalverbrauch einen fairen Gaspreis garantiert zu bekommen. Wichtig ist ja zu erkennen: Vieles von dem, was derzeit die Energiepreise steigen lässt, ist Spekulation, nicht etwa Knappheit. Einen solchen Deckel stelle ich mir auch für die kommunalen Stadtwerke als Energieversorger vor. In vielen Fällen laufen dort die Verträge im Spätsommer oder zum Jahresende aus, und bei dann fälligen Neuabschlüssen drohen erhebliche Kostensteigerungen – falls es nicht eine Deckelung gibt. 

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Rundblick: Sind denn solche Schritte überhaupt im nationalen Recht machbar? 

Gröger: Das muss geprüft werden. Ansonsten gilt: Die Bundesregierung sollte sich in dieser Diskussion nicht zu klein machen und auf EU-Ebene aktiv werden. 

Rundblick: Der vermutliche Ruf nach Lohnerhöhungen richtet sich dann an die Arbeitgeber. Befürchten Sie nicht, dass dann eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt werden könnte, an deren Ende die Inflation noch schlimmer wird? 

Gröger: Der Fehler steckt schon im Begriff: Wenn schon, müsste man hier von einer Preis-Lohn-Spirale reden. Denn die hohen Preise sind ja schon da, die Arbeitnehmer leiden darunter besonders, denn anders als viele Unternehmen haben sie keine Chance, die hohen Preise einfach weiterzureichen. Festzuhalten bleibt, dass als Folge des Ukraine-Krieges die Lieferketten gestört sind und die Preise steigen. Gleichwohl sind die Auftragsbücher vieler Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie prall gefüllt, was auch daran liegt, dass wegen der Materialmängel vieles nicht in dem gewünschten Tempo abgearbeitet werden kann. Erwähnen möchte ich auch, dass die Lohnkosten bei vielen Unternehmen vielleicht einen Anteil von 15 bis 20 Prozent ausmachen, die Materialkosten sind weit höher. Eine falsche Zurückhaltung in der Lohnpolitik würde dazu führen, dass die wirtschaftlichen Impulse abgewürgt werden. Das würde die Lage dann noch schlimmer machen.

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Rundblick: Welchen Sinn hat in einer solchen Situation der Flächentarifvertrag, der kleine Betriebe mit größeren Problemen genauso in die Pflicht nimmt wie größere, die mehr Spielraum für Kürzungen haben? 

Gröger: Der Flächentarif lässt heute schon viele Instrumente dafür zu. Aber im Grunde legt er doch fest, dass sich alle an die gleichen Maßstäbe zu halten haben. Das finde ich nach wie vor richtig und sinnvoll – gerade angesichts einer Lage, in der sich viele Unternehmen auf die Transformation zu neuen Formen und Produktion einstellen müssen, etwa in der Autoindustrie. 

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Rundblick: Welche Erwartungen haben Sie an die nächste Landesregierung und an den neuen Landtag, der am 9. Oktober gewählt wird? 

Gröger: Die wichtigste Aufgabe ist schon, dass unsere Industrie fit wird für die nötigen neuen Formen der Produktion, die Abschied nehmen von Kohlendioxidausstoß und für den Klimawandel. Die Situation von vor drei Jahren hat sich nicht wesentlich geändert – immer noch ist der Anteil der Firmen, die aus Sicht ihrer Beschäftigten hier schon „auf einem guten Weg“ sind, nicht wesentlich vergrößert. Der Staat ist gefordert zu Hilfestellungen für jene, die Unterstützung brauchen. Dazu gehören auch kräftige Investitionen in die staatliche Infrastruktur – in Schulen, Berufsschulen und Universitäten, in die Digitalisierung, in die Stromnetze und in Zukunftsprojekte wie die Umrüstung auf Wasserstoff. Das Stahlwerk in Georgsmarienhütte will eine Gießerei vom Koks-Betrieb auf Strombetrieb umstellen – aber dieser sinnvolle und vorbildliche Schritt scheitert bisher an einer fehlenden, kostenintensiven Stromleitung. Das ist so ein Beispiel dafür, wo das Land ansetzen muss.  

Rundblick: Auf wie hoch bemessen Sie die aus Ihrer Sicht nötigen Investitionen? 

Gröger: Wir gehen von 50 Milliarden Euro in zehn Jahren aus – und wir haben immer schon Kritik geübt an der Schuldenbremse, die solche kreditfinanzierten Vorhaben blockiert. Ich bin skeptisch, ob der derzeitige Finanzminister bei seiner bisherigen Philosophie hier einlenken wird. Wir müssen aufpassen, dass die Schuldenbremse nicht zur Zukunftsbremse wird. 

Foto: Hartge

Rundblick: Einige von denen, die mehr Investitionen in die Infrastruktur befürworten, predigen die Beteiligung privater Investoren über sogenannte ÖPP-Vorhaben. Was halten Sie davon? 

Gröger: Im Zweifel bin ich eher dafür, dass alles in staatlicher Verantwortung bleibt. Der Nachteil von ÖPP ist sehr häufig, dass der Staat für die Anschubfinanzierung sorgt und ein Privater dann hinterher die Rendite einstreicht – oder aber, wenn der private Beteiligte das Projekt zum Scheitern bringt, der Staat für die Folgekosten aufkommen muss. So darf das nicht laufen. Dann lieber gleich eine vollständig staatliche Investition.



Rundblick: Zu Ihren Forderungen an die Landespolitik gehört auch der „Masterplan für gute Arbeit“. Was genau meinen Sie damit? 

Gröger: Die Landesregierung muss alle Möglichkeiten nutzen, dass nur die Firmen öffentliche Aufträge erhalten, die eine Tarifbindung beachten und die Mitbestimmung gewährleisten. Das sollte sich nicht nur auf die Vergabe, sondern auch auf öffentliche Fördermittel in Gänze erstrecken. Bisher gibt es ein Tariftreuegesetz, aber die Schwellenwerte sind sehr hoch. 

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Rundblick: Kritiker sagen, strenge Vergabevorschriften erschweren die Auftragsvergabe und bedeuten einen zu hohen bürokratischen Aufwand… 

Gröger: Worin soll der Aufwand bestehen? Man braucht doch nur zu prüfen, ob die Firma sich an die gesetzlichen Bedingungen hält. Man muss dies nur einfordern. Der Aufwand ist nicht zu hoch. Bald werden wir einen erheblichen Aufholbedarf bei der energetischen Gebäudesanierung haben – und das geht dann nur mit finanziellen Anreizen des Staates. Das wird der Moment sein, in dem wir genau aufpassen müssen, dass dort dann wirklich nur Firmen zum Zuge kommen, die Kriterien der guten Arbeit beachten.