Löst der Theoretiker bald die Generation Praktikum ab?
Die Generation Praktikum braucht vielleicht bald einen neuen Namen: Denn der zu Beginn des Jahres 2015 eingeführte Mindestlohn führt dazu, dass offenbar immer weniger Praktika angeboten werden. Der Personalvermittler Randstad hat ermittelt, dass im Vergleich zu der Zeit vor der Einführung des Mindestlohns nur noch halb so viele Praktikumsstellen ausgeschrieben werden. Auch die Zahl der angebotenen Pflichtpraktika habe sich halbiert.
Diese Entwicklung ist auch in Niedersachsen zu beobachten. Bei den Unternehmerverbänden stellt man fest, dass die Firmen sich inzwischen stark auf maximal dreimonatige Orientierungspraktika während des Studiums beziehungsweise der Ausbildung konzentrieren. Denn bei freiwilligen Praktika muss ab dem vierten Monat der Mindestlohn bezahlt werden. Es seien auch einige Praktikumsplätze ganz weggefallen. Vor allem in der Werbe- und Kreativwirtschaft gibt es kritische Stimmen.
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Die fehlenden Praktikumsstellen bemerken inzwischen auch die jungen Leute, meint der Landesvorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, im Gespräch mit dem Rundblick. Viele Unternehmen seien nicht mehr bereit, freiwillige Praktika anzubieten. Zu viel Bürokratie und ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis – dieses Argument sei immer wieder zu hören. Zum Hintergrund: Arbeitet ein Praktikant 40 Stunden pro Woche, verdient er ab dem vierten Monat fast 1500 Euro brutto. Wohlgemerkt: Arbeitnehmerbrutto - für den Arbeitgeber fallen natürlich noch höhere Kosten an.
„Wer jetzt nach dem Bachelorabschluss einen Praktikumsplatz sucht, der hat ein Problem“, beobachtet auch Lars Alt, Vorsitzender der Jungen Liberalen in Niedersachsen. „Die Absolventenzahlen steigen, die Praktikumsplätze gehen zurück. Da entsteht ein immer stärkeres Missverhältnis“, kritisiert Alt. JU-Landeschef Kuban sagt, früher habe man von der Generation Praktikum gesprochen. „Heute stehen wir vielleicht vor einer Generation von Theoretikern. Denen fehlt später im Beruf der Praxisbezug“, befürchtet Kuban.
Gehört der Mindestlohn deshalb wieder abgeschafft? Soweit wollen sowohl Kuban als auch Alt dann nicht gehen. Man müsse das Rad nicht wieder zurückdrehen, den Mindestlohn aber weiterentwickeln, schlägt Niedersachsens JU-Chef vor. Die Julis im Land fordern, dass grundsätzlich nicht nur drei-, sondern sechsmonatige Praktika möglich sein müssen, ohne dass der Mindestlohn gezahlt werden muss.
Dem widerspricht der Landesvorsitzende der Jusos, Leonard Kuntscher. Es sei der falsche Weg, am Mindestlohn anzusetzen. Alternativ könnte man Kuntscher zufolge über ein staatlich finanziertes Anreizmodell in besonders betroffenen Branchen nachdenken. Dabei könnten Unternehmen, die ihren Praktikanten den Mindestlohn zahlen, zum Beispiel staatliche Zuschüsse bekommen. Auch eine Abgabe für Unternehmen, die keine Praktikumsplätze anbieten, sei denkbar. Kuntschers Vorbild ist dabei die Ausbildungsplatzabgabe.
Das Mehr an Bürokratie will Kuntscher als Argument nicht gelten lassen. Der Praktikant dürfe nicht am Ende der Leidtragende sein. „Er muss für seine Arbeit ein ordentliches Entgelt bekommen“, fordert der Juso-Landesvorsitzende. (MB.)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #135.