Wer muss für die Krankenhäuser aufkommen, wenn sie im gegenwärtigen Finanzierungssystem Defizite anhäufen und zu wenig Mittel für Investitionen zur Verfügung stehen? Eine Analyse des Verdener Landrats Peter Bohlmann (SPD) kommt nun zu einem überraschenden Ergebnis: Es sind eben nicht die Kassen, die in solchen Fällen die Last tragen, sondern zu einem großen Teil die Landkreise und kreisfreien Städte, in denen sich die Kliniken befinden.

Bohlmann ist der Vorsitzende des Sozialausschusses beim Niedersächsischen Landkreistag (NLT) und Aufsichtsratsvorsitzender der Aller-Weser-Klinik (AWK) , er kennt sich in den Verästelungen des komplizierten Sozial- und Gesundheitssystems aus. In einem Beitrag für die NLT-Verbandszeitschrift geht der SPD-Politiker nun näher auf dieses Thema ein. Er nennt die Landkreise „die Lückenbüßer für eine fehlgeleitete Krankenhausfinanzierung des Bundes“.
Dabei erwähnt Bohlmann zunächst das Grundversprechen der Gesundheitsversorgung, das in der Praxis nicht eingehalten werde. Das Angebot an Gesundheitsleistungen, das ein Bürger nutzen kann, hänge eben zunehmend nicht nur vom eigenen Einkommen, sondern auch noch vom Wohnort ab. Und das, obwohl in Städten und auf dem flachen Land der gleiche Krankenkassenbeitrag gezahlt wird. Dieses Missverhältnis sei „nicht mehr nur ein dumpfes Gefühl in der Fläche, sondern zunehmend durch die Faktenlage gedeckt“.
Ausgangspunkt der Analyse ist das 50 Jahre alte System der dualen Krankenhausfinanzierung – auf der einen Seite die Kassen, die über Bundesgesetze die medizinischen Behandlungen bezahlen, auf der anderen Seite die Länder, die Investitionen in den Kliniken zu tragen haben. Zuständig für das Angebot von Krankenhausleistungen seien die Landkreise, die einen Sicherstellungsauftrag hätten und damit auch die Zuständigkeit für den Rettungsdienst. Sie beteiligten sich auch an den Investitionskosten für die Kliniken – in Niedersachsen gar mit 40 Prozent über die gesetzliche Krankenhausumlage. Laut Bohlmann „kriselt“ dieses System seit einem Vierteljahrhundert, in diesem Jahrzehnt stehe es „kurz vor dem Kollaps“. Laut Statistischem Bundesamt hätten die Kliniken 2021 in Deutschland 109,3 Milliarden Euro für Krankenhausbehandlungen ausgegeben, die Gesetzlichen Krankenkassen aber nur 85,9 Milliarden Euro dazugegeben. Das Delta von 23,4 Milliarden Euro könne kaum von den Privatversicherten kommen.

Bohlmann hat nun anhand der elf Landkreise im einstigen Regierungsbezirk Lüneburg errechnet, welche Beträge die Landkreise für ihre Kliniken zuschießen – das waren 2021 noch 60,8 Millionen Euro und 2022 dann 83,4 Millionen, in diesem Jahr springe der Betrag auf 143,3 Millionen Euro. Die Formen sind unterschiedlich, mal sind es Gesellschafterdarlehen der Kreise zur Liquiditätssicherung, mal investive Kapitaleinlagen der Landkreise, mal ist es der Verlustausgleich. Empfänger von Landkreis-Hilfen seien auch Kliniken in nicht kommunaler Trägerschaft. Was die Gesetzlichen Krankenkassen angeht, hatten sie ihre Leistungsausgaben 2022 um 4,3 Prozent gesteigert, die Vergütungen für die Kliniken aber nur um 2,8 Prozent. Warum die Ausgaben für die Kliniken trotz der Krise unterdurchschnittlich gestiegen sind, erklärt Bohlmann mit Blick auf die Fallpauschalen-Finanzierung, DRG genannt. In diesem System sind die Kosten ausschließlich über die Anzahl der behandelten Patienten zu decken. Bei dieser diagnosebezogenen Abrechnungsart wird das vergütet, was erbracht und dokumentiert wird.
Es besteht ein Zwang, mehr Leistungen zu erbringen und exakt zu dokumentieren, gleichzeitig aber die Patienten nicht zu lange in den Klinikbetten zu halten. Angestoßen worden sei durch die DRG ein Wettbewerbssystem, bei dem „juristische Akribie mit dem neoliberalen Zeitgeist“ zusammengefallen seien. Als durch die Änderung der Behandlungsstrategie eine deutliche Kostensteigerung erkennbar wurde, sei ein Abschlagssystem bei jenen Mehrleistungen eingeführt worden, die über das vereinbarte Budget hinausgehen. Das sei ein Beispiel für die deutsche „Regulierungsspirale“: Wenn sich Ideen in der Praxis als untauglich erweisen, antworte man darauf mit immer neuen Detailvorschriften.
Hierzu gehört laut Bohlmann auch die „Pflegepersonaluntergrenzenverordnung“, die eingeführt worden sei, als den Kliniken unterstellt wurde, überdurchschnittlich Pflegepersonalkosten einzusparen. Mit ihr wurde der Anteil der Pflegenden pro Patient vorgeschrieben. Aber in Zeiten des Fachkräftemangels sei dieser schwer zu erreichen – und das führe dann mitunter zu Stationsschließungen, da andernfalls hohe Strafzahlungen drohten. In einer Situation, in der zu wenige Fachkräfte verfügbar sind, zwinge das die Kliniken alternativ dazu, sich teure Leih-Pflegekräfte von Zeitarbeitsfirmen zu organisieren. Die bedrohliche „Expansion der Leiharbeit im Gesundheitswesen“ verursache nach Stichproben 25 Prozent der Verluste der Krankenhäuser. Dass der Bundesgesetzgeber die Leiharbeit nicht reguliere, sondern die Forderung mit fadenscheinigen Argumenten abwehre, sei frappierend. „Das zeigt leider, wie weit der Bundesgesetzgeber von der Praxis entfernt ist“, sagt Bohlmann.