24. Sept. 2023 · Finanzen

Landkreistag: Das Land muss Schulden machen, um die Kommunen zu finanzieren

Die Schuldenbremse ist in der Landesverfassung strikt ausgelegt. Nur bei einer Konjunkturkrise darf das Land vorübergehend Kredite aufnehmen – und „in außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. So steht es in Artikel 71 der Landesverfassung. Aber heißt das auch, dass die Zuschüsse an die Kommunen – etwa über den „Kommunalen Finanzausgleich“ (KFA) oder andere Förderprogramme – beschränkt werden dürfen, wenn das Land knapp bei Kasse ist, aber keine „Notsituation“ vorliegt?

Dazu hat jetzt der aus Niedersachsen stammende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages (DLT), Prof. Hans-Günter Henneke, einen längeren Aufsatz für die „Niedersächsischen Verwaltungsblätter“ geschrieben. Sein Ergebnis lautet: Laut Grundgesetz muss das Land die finanzielle Mindestausstattung der Kommunen gewährleisten – und das müsse man zur Not eben auch durch Notlagen-Kredite sicherstellen, also über die in der Verfassung verbriefte Ausnahmevorschrift in außergewöhnlichen Notsituationen.

Hans-Günther Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages | Foto: Marc Darchinger

Aber wie kommt Henneke darauf? Er beschreibt zunächst einen Gegensatz, der sich schon seit Jahren wie ein roter Faden durch die Gesetzgebung und Rechtsprechung in Niedersachsen zieht. Auf der einen Seite sind da die Kommunen, die wiederholt ein Klagelied angestimmt haben, weil sie angeblich vom Land nicht ausreichend Finanzzuweisungen erhalten. Dem stehen Vertreter des Landes gegenüber, die das bestreiten und mit allerhand Berechnungen nachzuweisen versuchen, dass es im Gegenteil das Land sei, das unter Engpässen leide – nicht aber die Kommunen. Der „Kommunale Finanzausgleich“ besteht aus Schlüsselzuweisungen, die sich an der Einwohnerzahl der Kommunen messen. 15,5 Prozent bestimmter Steuereinnahmen des Landes werden automatisch in den KFA geleitet. Daneben gibt es jede Menge Fach-Programme, über die auch Geld fließt. Das geschieht dann häufig aber zweckgebunden und mit der Maßgabe, dass die Empfänger einen Eigenanteil zur Finanzierung aufbringen müssen.

Streitpunkt: Die „finanzielle Leistungsfähigkeit“ des Landes

Henneke wägt nun ab: In Artikel 28 des Grundgesetzes heißt es, dass die Gemeinden ihre örtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln dürfen – die Gewährleistung dieser Selbstverwaltung umfasse „auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung“. Was dann die Schuldenbremse angeht, die in Artikel 109 des Grundgesetzes und in Artikel 71 der Landesverfassung ähnlich formuliert ist, wird auf die „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“ abgehoben. Zunächst fällt es schwer, sich unter diesen Notsituationen auch Finanzknappheit der Gemeinden vorzustellen. Artikel 58 der Landesverfassung klingt zudem viel distanzierter als Artikel 28 des Grundgesetzes. Laut Landesverfassung muss das Land den Kommunen Mittel überweisen „im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit“.

Gegen diesen Vorbehalt der Leistungsfähigkeit kämpfen die Kommunalverbände in Niedersachsen schon lange an – bisher erfolglos. Henneke meint nun, Artikel 28 des Grundgesetzes bedeute schon „eine absolute Mindestfinanzausstattungsgarantie“. Nun hatte aber der Niedersächsische Staatsgerichtshof, in der Folge einiger zunächst kommunalfreundlicher Urteile zum KFA, im März 2008 dann ein aus Sicht von Henneke problematisches Urteil gefällt: Die finanzielle Mindestausstattung der Kommunen könne auch unterschritten werden, wenn das Land vorher auf die Verteilungssymmetrie zwischen Land und Kommunen geachtet habe und feststelle, „keine Seite im Hinblick auf die Verteilung der knappen Ressourcen zu bevorzugen“. Damit, so meint Henneke, habe der Staatsgerichtshof seine grundlegende Rechtsprechung von 1997 „auf schleichende Weise uminterpretiert“.

In seinem Aufsatz zitiert Henneke Juristen, die in einem möglichen neuen Streitfall zu diesem Thema nicht den Staatsgerichtshof in Bückeburg als Adressaten sehen, sondern das Bundesverfassungsgericht. Denn die Praxis würde dann direkt gegen Artikel 28 des Grundgesetzes verstoßen. Dieser Artikel 28 biete „einen absoluten Anspruch gegen das Land auf finanzielle Mindestausstattung ohne Leistungsfähigkeitsvorbehalt“. Diesen Anspruch könnten die Gemeinden auch in Karlsruhe geltend machen, wenn der Staatsgerichtshof in Bückeburg an seiner alten Rechtsprechung festhalte. Henneke meint auch, dass im Notfall das Land Kredite aufnehmen muss, um die Mindestausstattung der Gemeinden zu sichern. Das könne unter die Notsituation-Ausnahmevorschrift in der Schuldenbremse fallen.


Link zum Podcast "Pro und Contra: Was bringt Onays Verkehrswende?"
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Dieser Artikel erschien am 25.9.2023 in Ausgabe #165.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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