Landessynode und Jugend blicken optimistisch in die Zukunft ihrer Kirche
Matthias Kannengießer ist stolz darauf, dass sein Parlament schon wieder Vorreiter sein kann. Vor sieben Jahren hat die Synode der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers bundesweit Maßstäbe gesetzt in Sachen Jugendbeteiligung. Damals tagte erstmals die normale Landessynode gemeinsam mit einer gleichgroßen Delegation von Jugendlichen im hannöverschen Stephansstift.
In den darauffolgenden Jahren kopierten mehrere Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dieses Format. Ähnliche Tagungen gab es etwa in evangelischen Kirchen in Oldenburg, im Rheinland, in Mitteldeutschland und in Baden. Kannengießer, der heute wie damals der Landessynoden vorsitzt, nennt es ein Erfolgsmodell, das sich in diesem Jahr nun in den Räumen des Landeskirchenamtes in der hannöverschen Calenberger Neustadt wiederholt. 79 Synodale treffen auf 79 junge Christen, die gemeinsam über die Zukunft ihrer Kirche ins Gespräch kommen wollen.
„Endlich begegnet man sich auf Augenhöhe“, lobt Sophie Kellner, die Vorsitzende der Landesjugendkammer. „Man begegnet einander und wird mit offenen Armen empfangen“, schwärmt die Jugendsynodale regelrecht über die Offenheit ihrer Kirche. Ihr Stellvertreter an der Spitze der evangelischen Jugendorganisation, Zafer Otamatik Scheel, spricht ähnlich euphorisch vom Austausch mit den Erwachsenen, die schon am Vorabend, dem Abend der Begegnung, neugierig gefragt hätten, was die jungen Leute machen möchten, welche Themen sie mitbringen und was sie besprechen wollen.
Wie kann Kirche 2030 sein?
Doch was sind die Themen, die die Kirchenjugend bewegt? Für Wencke Breyer, stellvertretende Synodenpräsidentin, ist eines klar: „Jugend ist nicht nur Jugendarbeit.“ Die Jugendsynode tritt deshalb nicht bloß zusammen, um über die kirchlichen Angebote von jungen Menschen für junge Menschen zu reden. Vielmehr geht es um die großen Fragen, die Jung und Alt gleichermaßen aber vielleicht doch in unterschiedlichen Nuancen bewegen: „Wie kann Kirche 2030 sein?“, fragt Breyer in den Raum. „Ich denke, da liegen wir gar nicht so weit auseinander. Wir wollen alle über unseren Glauben reden und Kirche gestalten.“
Die konkreten Themen, die von den Synodalen an diesem Tag verhandelt werden, sind also die üblichen großen Felder wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Ehrenamt, die Kirche als Arbeitgeber und die Gestaltung von Übergängen durch die Kirche.
Zafer Otamatik Scheel schildert, dass in der Arbeitsgruppe zur Nachhaltigkeit, in der er mitgearbeitet hat, die Forderung entstanden sei, dass die Landeskirche so etwas wie Nachhaltigkeits-Hilfspakete für die Gemeinden und Kirchenkreise vor Ort schnüren könnte. Neues Personal im Landeskirchenamt in Hannover sollte die Aufgabe übernehmen, den Ortsgemeinden als Experten zur Seite zu stehen und bei der Umsetzung von Klimaschutzprojekten zu helfen.
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Für Sophie Kellner spielte der Umgang sowohl mit der neuen Geschlechtervielfalt als auch mit der neuen Mobilität junger Menschen eine Rolle. Sie selbst lebt inzwischen nämlich in Berlin und nicht mehr im Kirchenkreis Nienburg, für den sie ursprünglich als Delegierte in die Landesjugendkammer entsendet wurde. Wie Kirche damit umgeht, dass junge Menschen wegziehen und zurückkommen oder auch nicht, spielt für sie auch persönlich eine Rolle.
Außerdem will sie, dass ihre Kirche ein „safe space“ ist, in dem Menschen Schutz vor Diskriminierung finden und sich frei entfalten können, erklärt sie. Der Diskriminierungsschutz sollte sich auch im kirchlichen Arbeitsrecht niederschlagen – und frühere Verfehlungen sollten aufgearbeitet werden. „Ausgrenzung muss Konsequenzen haben“, sagt die Jugendsynodale entschieden.
Besondere Aktualität gewinnt diese Forderung durch eine Meldung, die gegen Mittag in die Tagung platzt: Der Bremer Pastor Olaf Latzel, der auf einem Eheseminar Homosexuelle diffamiert haben soll, wird vom Landgericht in zweiter Instanz freigesprochen vom Vorwurf der Volksverhetzung. Die Aussagen seien von der Religionsfreiheit gedeckt. Spontan entschließen sich Sophie Kellner, Wencke Breyer und Landesbischof Ralf Meister am Nachmittag zu einem gemeinsamen Statement: „Für uns ist eindeutig: Alle Menschen, aller geschlechtlichen Identitäten und vielfältiger sexueller Orientierungen sind in der Kirche willkommen. Unsere Kirche soll noch mehr als bisher ein Ort sein, an dem sich alle Menschen zu jeder Zeit akzeptiert, sicher und zu Hause fühlen können.“
Sophie Kellner hat also aus ihrem Anliegen, mit dem sie in den Tag gestartet ist, noch am Nachmittag ein klares und eindeutiges Bekenntnis ihrer Kirche machen können. Das ist also die Kirche von heute mit Blick auf morgen: nachhaltig, mobil und divers.
Doch was bleibt langfristig von dem, was die jungen und die älteren Kirchenparlamentarier einen Tag lang munter diskutieren? Ein Blick zurück zeigt, dass die erste Jugendsynode nicht folgenlos geblieben ist. Vor allem hinsichtlich der längerfristigen Einbeziehungen von jungen Stimmen in die kirchlichen Entscheidungen hatte die Jugendsynode Auswirkungen. So wurde inzwischen die Verfassung der Landeskirche neuorganisiert.
Eine wesentliche Änderung: Die vier Jugendsynodalen, die als Vertretung der Landesjugendkammer Mitglied der Landessynode sind, haben inzwischen im Gegensatz zur vorherigen Legislaturperiode auch Stimmrecht. Zudem sind inzwischen deutlich mehr junge Menschen per Wahl in die Landessynode gelangt, die Kirchenverfassung sieht hier auf den Wahlzetteln eine Quote vor. Ein Fünftel der Kandidaten muss bei der Wahl jünger sein als 30 Jahre.
Es sollte nicht so sein, dass die Jugend auf das Gremium zugehen muss, sondern das Gremium muss auf die Jugend zugehen.
Zafer Otamatik Scheel
Doch dieser neue Geist müsse jetzt noch in die Ortsgemeinden und Kirchenkreise getragen werden, stimmen Breyer und Kannengießer sowie Kellner und Scheel unisono überein. Die Begegnung auf Augenhöhe dürfe nicht nur einmal alle sechs oder sieben Jahre zelebriert werden, sondern müsse Normalität werden. „Es sollte nicht so sein, dass die Jugend auf das Gremium zugehen muss, sondern das Gremium muss auf die Jugend zugehen“, formuliert Zafer Otamatik Scheel seine Erwartungshaltung an die kirchenleitenden Organe. Wencke Breyer meint, man merke schon, dass es selbstverständlicher werde, die Jugend einzubeziehen. Man müsse aber aktiv Begegnungsorte schaffen, an denen man in den Austausch kommen kann.
„Die Landeskirche geht voraus und nimmt die Jugend bei allen gesellschaftlichen Themen mit. Aber auf der Ebene darunter kämpft die Jugend häufig noch darum, sich beteiligen zu dürfen“, sagt Kellner und berichtet, dass in manchen Kirchenkreisen die Jugendlichen nicht einmal im Jugendausschuss vertreten seien. Kannengießer glaubt, dass in der großen Zahl der Jugendlichen der Schlüssel liege: „Sie müssen viele sein, und nicht nur einer allein. In der Gruppe kann man stärker auftreten und sich auch gegenseitig Arbeit abnehmen.“
Bei all der Zufriedenheit mit der eigenen Kirche und dem zuversichtlichen Blick in die Zukunft fällt kaum auf, dass ein Thema nur unterschwellig, wie ein Grundrauschen aber nicht laut ausgesprochen die Jugendsynode begleitet hat. Eine große Sorge, die sonst in öffentlichen Diskussionen über die Kirche in der Regel ganz oben auf der Agenda steht: Mitgliederschwund und Sparzwang. „Es schwingt mit“, sagt Kannengießer, etwa dann, wenn über die Beteiligung von Konfessionslosen gesprochen wird, deren Gruppe immer größer werde in der Gesellschaft.
Der Synodenpräsident plädiert jedoch dafür, sich auf das zu konzentrieren, was man beeinflussen könne. Und das sei es, attraktive Angebote zu machen. Dass die evangelisch-lutherische Kirche einmal weniger lebendig sein könnte als dieser Tage, wenn fast 200 Menschen in der Neustädter Hof- und Stadtkirche über ihren Glauben sprechen, mag sich Kannengießer nicht ausmalen: „Wenn man die Jugendlichen hier sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass es mal nicht klappen könnte in der Zukunft.“
Dieser Artikel erschien am 27.05.2022 in der Ausgabe #099.
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