Um die Brücken auf den niedersächsischen Fernstraßen ist es schlecht bestellt. Laut der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV) umfasst der „kritische Altbestand“ aus den 50er und 60er Jahren rund 150 Bauwerke. 35 Brücken sind sogar so marode, dass sie nicht mehr zu retten sind und unbedingt durch einen Neubau ersetzt werden müssen. „Das betrifft die Schnellwege in Hannover im Besonderen“, erläutert Jens Hanel, Dezernatsleiter für Brücken und Tunnel. Das Sorgenkind Nummer 1 ist derzeit die Weidetorbrücke auf dem Messeschnellweg, die trotz provisorischer Verstärkung nur noch einspurig und für Fahrzeuge mit höchstens 3,5 Tonnen befahren werden darf.
Doch seit die öffentliche Debatte um den Ausbau des Südschnellwegs wieder aufgeflammt ist, reagiert die Behörde alarmiert. NLStBV-Präsident Eric Oehlmann warnt eindringlich davor, den über Jahre entwickelten Konsens wieder infrage zu stellen. „Wir betrachten mit sehr großer Sorge, wie sich einige Stakeholder jetzt positionieren und das Signal senden: Es geht noch was bei den Planungen“, sagt Oehlmann und betont: „Es gibt keine rechtsstaatliche Alternative zu diesem Bau.“

Zu den Kritikern des Schnellweg-Ausbaus zählen unter anderem Julia Hamburg, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, aber auch Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und Regionspräsident Steffen Krach (SPD). Sie bezeichnen den Südschnellweg-Ausbau als überdimensioniert und fordern Nachbesserungen bei den Planungen. Insbesondere die Fahrbahnverbreiterung von 14,5 auf 25 Meter halten sie für unnötig, während die Landesverkehrsbehörde dafür aufgrund der geltenden Gesetze keinen Spielraum sieht. „Es gibt Sicherheitsstandards, die wir ab einer gewissen Verkehrsstärke einhalten müssen“, sagt Sebastian Tacke, Dezernatsleiter für die Schnellwege Hannover.
Die Vorzugslösung mit einer Fahrbahnbreite von 31 Metern habe die Behörde bereits verworfen, obwohl dadurch die „Leichtigkeit des Verkehrs“ leiden wird. „Beim Lärmschutz und bei der Wiederaufforstung können wir noch etwas machen, ebenso wie bei besonders schützenswerten Einzelbäumen“, sagt Oehlmann. Daran, dass der Südschnellweg in beiden Fahrtrichtungen zwei Fahrstreifen sowie einen Standstreifen bekommt, könne man aber nicht mehr rütteln, was mittlerweile auch richterlich bestätigt worden sei. „Jetzt müssen wir den neutralen Schiedsrichterspruch der Gerichte auch respektieren“, fordert Oehlmann. Weder eine neue Landesregierung in Hannover noch eine Intervention aus Berlin könnten die wesentlichen Planungen jetzt noch ändern. Oehlmann: „Auch der Bundesverkehrsminister kann nicht einfach aus einem Projekt aussteigen.“

Oehlmanns große Sorge ist nun weniger, dass die Landesverkehrsbehörde ihr Konzept zum Südschnellweg noch einmal komplett ändern muss. Er rechnet vielmehr mit öffentlichem Druck und befürchtet, dass die andauernde Kritik zu einem „Protesttourismus“ führt und Umweltaktivisten wie etwa die Gruppen „Extinction Rebellion“ und „Ende Gelände“ bestärken könnte. Auf Telegram würden bereits entsprechende Ausbildungskurse angeboten, um den Widerstand gegen die Bauarbeiten vorzubereiten. Eine Verzögerung des Baustarts würde voraussichtlich aber zu einem Verkehrschaos in Hannover führen. Die Südschnellweg-Brücke über die Hildesheimer Straße darf nur noch bis Ende 2023 benutzt werden, bis dahin muss eine Ersatzbrücke stehen. „Wir können es nach wie vor schaffen, die Brücke rechtzeitig aus dem Verkehr zu nehmen“, beruhigt Chefbrückenplaner Hanel.
Sollte es aber aufgrund von Blockade- und Protestaktionen zu längeren Verzögerungen kommen, könne sich das noch ändern. Die marode Brücke könne zwar 2024 durch zusätzliche Verstärkungen vielleicht noch ein paar Wochen für den Verkehr offengehalten werden. Hanel warnt jedoch: „Nach dem 31. Dezember 2023 steigt das Ausfallrisiko der Brücke extrem an. Und der Südschnellweg als Lebensader der Stadt hat nicht unbedingt eine Umleitung“. Ausweichmöglichkeiten gebe es nur im Süden über die B443 zwischen Rethen und Pattensen sowie durch die Innenstadt.

Im Kern der Debatte um den Südschnellweg geht es um das Verkehrsaufkommen. Laut der jüngsten Verkehrszählung aus dem Jahr 2018 fahren rund 48.000 Fahrzeuge über die Bundesstraße, bis 2030 werden es voraussichtlich 54.000 Fahrzeuge sein. Die Kritiker des Straßenausbaus möchten diesen Trend am liebsten umkehren, die NLStBV-Experten halten das aber für ausgeschlossen. In den vergangenen Jahrzehnten sei das Fahrzeugaufkommen auf den Straßen immer stärker gestiegen. Als einen von mehreren Gründen dafür nennt Schnellweg-Planer Reinmar Wunderling etwa die neue Ortsumgehung Hemmingen, die 2020 freigegeben wurde. „Die Ortsumgehung bündelt viele Verkehre aus Hannovers Süden und bringt sie alle zum Landwehrkreisel.“ Der Anstieg des Fahrzeugaufkommens werde zwar nun langsam verebben, doch einen Rückgang sehen die Experten noch nicht am Horizont. „Weniger Verkehr wird es nicht. Und auf jeden Fall nicht so wenig, dass wir zu einer anderen Planung kämen“, sagt Sebastian Tacke, Dezernatsleiter für die Schnellwege Hannover. Nach seinen Worten müssten weniger als 30.000 Fahrzeuge pro Tag über den Südschnellweg fahren, damit die Straße kleiner geplant werden dürfte.

„Wer Straßen sät, wird Autos ernten“, kommentierte Onay die geplante Fahrbahnverbreiterung des Südschnellwegs. Dazu sagt Oehlmann: „Das Argument verstehe ich, wenn es um kleinteilige, verdichtete Wohnquartiere geht. Dort macht es Sinn, nicht aber für zentrale Verbindungen.“ Zudem sieht Oehlmann keinen Widerspruch zwischen Südschnellweg-Ausbau und Mobilitätswende. Auch Schnellwege-Planer Tacke bestätigt: „Ein funktionierendes Schnellwegesystem schafft Freiräume für die Stadt. Dadurch können alternative Verkehrskonzepte überhaupt erst realisiert werden.“ Der Behördenleiter wundert sich überhaupt über die heftige Kritik am Ausbau. „Es gibt viele Städte, die Hannover um dieses Ringstraßensystem beneiden. Ohne diese Schnellwege würden die Ausweichverkehre der Autobahnen ihren Weg durch die Stadt finden“, sagt Oehlmann. Für die Berufspendler und die regionale Wirtschaft seien die Schnellwege unverzichtbar.
Der NLStBV-Präsident wünscht sich deswegen auch, dass in der Debatte um den Ausbau endlich die vielen positiven Aspekte mehr berücksichtigt werden. „Wir müssen eine andere Akzeptanz für dieses Infrastrukturprojekt bekommen“, fordert Oehlmann. Das sei aber nicht möglich, solange falsche Vorstellungen zum Bauprojekt im Raum stehen. So werde etwa der Flächenverbrauch durch den Seitenstreifen von den Kritikern übertrieben dargestellt. „Der Verzicht darauf würde den Eingriff lediglich um 0,5 bis 0,7 Hektar reduzieren“, stellt er klar. Zudem werde ein Großteil der Fläche, die für die Bauarbeiten gerodet wird, wieder renaturiert. „Und für jeden betroffenen Quadratmeter pflanzen wir an anderer Stelle zwei Quadratmeter neu“, ergänzt Tacke. Zudem werde der Südschnellweg auf Kosten des Bundes lärmschutztechnisch erheblich aufgewertet.
Der Behördenleiter ärgert sich auch über die Kritik an seinen Mitarbeitern. „Wir werden für etwas verprügelt, für das wir gar nichts können“, sagt Oehlmann und betont: „Wir sind die allerletzten, die eine Infrastruktur gegen den Willen der Bevölkerung durchdrücken wollen.“ Die Landesbehörde werde vom Bund zwar mit den Planungen und der Umsetzung beauftragt, setze dabei aber keine eigenen Akzente. „Wir nehmen die Diskussion ernst, aber wir sind nicht diejenigen, die darüber befinden, wie die Mobilität der Zukunft aussehen wird“, so Oehlmann. Die Landesverkehrsbehörde sei zudem nicht auf einen Verkehrsträger festgelegt.
„Wir bauen auch Radwege, wenn wir damit beauftragt werden“, sagt der NLStBV-Präsident. Der Landeshauptstadt Hannover stehe seine Behörde weiterhin im Wort, auch einen Radweg entlang des Südschnellwegs zu planen und zu 90 Prozent zu fördern. Nur eines geht aus Sicht des Behördenleiters nicht: „Wir können nicht einen Verkehrsträger herunterfallen lassen, bevor wir eine funktionierende Alternative haben. Wir müssen die Netzqualität aufrecht erhalten.“
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